andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 17. Juni 2010, 05:26
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Ist das gerecht?

Immer wieder kommt die Klage auf, dass Recht nichts mit Gerechtigkeit zu tun hätte. Strafen sind nicht gerecht, die Opfer werden nicht gerecht behandelt, das Steuerrecht ist nicht gerecht und so weiter. Renten, Krankenversorgung, Ausbildung, Naturschutz, Politik, Finanzwelt … alles ungerecht.
Dagegen wird uns in Filmen und Romanen seit langer Zeit ein Bild vom gerechten Handeln vermittelt, das dem Helden praktisch alles erlaubt, um das “Böse“ zu besiegen. Meist wird dafür noch als Grund eingeflochten, dass das Böse angefangen hat, damit beim Zuschauer oder Leser auch das Motiv der Vergeltung oder Selbstverteidigung eine Rolle spielt.
Nach diesem Kunstgriff ist es dann nicht nur Westernhelden erlaubt prophylaktisch Gewalt einzusetzen oder zu unfairen Mitteln zu greifen. Helden dürfen das, denn sie kämpfen nicht für Recht, sondern für Gerechtigkeit.

Ehrlich gesagt ist diese Form des Geschichtenerzählens nicht erst ein paar Jahrzehnte alt, sondern begleitet die Menschheit schon lange. Denn auch Märchen und Sagen wurden nach diesem Rezept gekocht, Geschichtsschreibung funktionierte auf diese Weise und selbst die Bibel ist davor nicht gefeit. Ob jetzt der listenreiche Odysseus, David oder Hänsel und Gretel: sie alle waren in ihrem Handeln nicht so, wie es gemeinhin die edlen Helden sein sollten. Im Grunde könnte man sogar sagen, dass sie erst nach ihrem Erfolg zu Helden wurden. Die Gerechtigkeit ihrer Taten wurde also nachträglich festgestellt … und zwar durch den Sieg. – Dafür gibt es natürlich auch eine zynische Volksweisheit: der Sieger hat immer Recht. Oder sollte es eher heißen: der Sieger ist immer gerecht?

Traurig nur, dass diese Prinzipien auch noch in unserer aufgeklärten Zeit gelten: Sieger werden bewundert, auch wenn ihre Mittel vielleicht sehr schmutzig und unfair waren. Und viele meinen, dass für eine gerechte Sache jedes Mittel eingesetzt werden darf. Für Gerechtigkeit sorgen Helden, wobei mit Helden selbstverständlich man selber gemeint ist, denn nur in Hollywoodfilmen gibt es Leute, die sich selber als böse bezeichnen.
So ist es für viele lässlich, wenn sie fehlerhafte Gesetze und Regeln brechen. Tempolimit im Straßenverkehr, rote Ampeln für Fußgänger, Schutzblechpflicht für Fahrräder, Angaben bei der Steuererklärung … eine kleine Notlüge hier oder da. Das ist doch gar nicht so schlimm, die Regeln sind überzogen, nur andere sind damit gemeint, das gilt nur bei schlechtem Wetter oder dichtem Verkehr und außerdem macht es doch jeder. Außerdem ist das Nichterwischtwerden doch ein Zeichen für Gerechtigkeit, oder?
So sieht Gerechtigkeit aus und so sieht das Heldentum aus: subjektiv bis zum Abwinken.
Es ist nicht gerecht, dass jemand aus miesen Verhältnissen, schwerer Kindheit, grausamer Jugend oder einem verpfuschten Leben nie die gleichen Chancen hatte und sich nicht das gleiche leisten kann. Es ist nicht gerecht einen kranken Menschen wegzusperren, weil er etwas tat, für das er nichts kann. Es ist nicht gerecht, dass jemand mit seinem brandneuen Auto, das alle Sicherheitsschikanen hat, die gleichen Regeln befolgen muss wie eine alte Rostlaube mit kaputten Stoßdämpfern. Es ist nicht gerecht einen unverschämten Menschen nicht “dummes Schwein“ nennen zu dürfen. Es ist nicht gerecht!
Ist es gerecht, dass BP jetzt verpflichtet wurde Milliarden in einen Treuhand-Fond einzuzahlen?
Ja – und das ist das Problem: empfundene Gerechtigkeit ist immer ein Zeichen für Subjektivität und für Ungerechtigkeit auf mindestens einer weiteren Seite. Damit ist nicht die vergessene Strafe für die Verantwortlichen gemeint, wie die neue Ölkatastrophe zeigt. Denn die Liste der Verantwortlichen ist so lang, dass sie bei den Politikern nicht aufhört, sondern bis zu den Verbrauchern reicht. Auch die Journalisten und Medien können sich da einreihen, denn sie tun so, als hätte es nie zuvor solche Unfälle auf Ölplattformen gegeben und als seien die gescheiterten Versuche das Leck zu schließen innovativ und neu (dabei hat es da seit Jahrzehnten keine neuen Techniken gegeben). Die anderen Seiten werden vielmehr von den anderen Betreibern von Ölplattformen (Tankern, Kraftwerken, Industrie …) dargestellt, die jetzt einen “ungerechten“ Vorteil haben … oder von den Tieren und Pflanzen, die von dem tollen Fond gar nichts haben … oder von den Firmen und Ingenieuren, die in den letzten Jahrzehnten kein Geld mit der sinnvollen Entwicklung von Sicherheits- und Rettungssystemen verdienen konnten … oder, oder, oder.

Kann es Gerechtigkeit in einem Rechtssystem geben? – Ja. Das nennt sich dann Lynchjustiz oder Willkürrecht. Wenn wir hinschauen, erleben wir es jeden Tag.



Links zur Ölkatastrophe:
[exturl=]sehr ähnlicher Fall 1979[/exturl]
[exturl= http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=19079]nano[/exturl]





Andreas Gahmann

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