andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 24. Juni 2010, 00:18
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Hundejahre

Letztens wurde ich gefragt, wie viele Menschenjahre mein Hund alt sei, weil ich ihn vorher “alter Mann“ nannte. Das ließ mich ins Stottern kommen, denn diese Frage ist – wie so oft – gar nicht so einfach zu beantworten; wenn überhaupt.
Faszinierend bei der Frage ist vor allem, dass sie einen Spagat im menschlichen Denken aufzeigt, einen Widerspruch in den Einstellungen. Einerseits sehen die meisten Menschen immer noch etwas Besonderes und Außergewöhnliches in der Menschheit, das sich fundamental von der Tierwelt unterscheidet, andererseits wird immer wieder der direkte Vergleich zu Tieren gesucht. Das will im ersten Moment nicht zueinander passen, doch es ist typisch für die inhaltliche Zerrissenheit von Ansichten.
Allein schon die Trennung zwischen Menschenjahren und Hundejahren zeigt das. Das Jahr, eine weltraumphysikalische Größe, wird auf den Menschen projiziert und dann erst als Vergleichseinheit genommen. Dabei stellt das Jahr für den Menschen keine biologische Einheit dar, die eine große Aussage hat. Schwangerschaften dauern neun Monate, die Stillzeit ist variabel, der weibliche Zyklus schert sich nicht ums Jahr, Entwicklung und Wachstum können kaum nach einem Zwölfmonatsrhythmus eingeteilt werden und die eingefleischten Altersgrenzen sind nur auf die Jahreslänge aufgepfropft. Niemand würde behaupten, dass jemand genau im 18. Lebensjahr reif für Entscheidungen würde oder ab dem 16. Geburtstag automatisch Verantwortungen tragen könnte.
Reichlich schwammig sind die so genannten Menschenjahre also, ganz im Gegenteil zu den Hundejahren: der Sexualzyklus findet zwei Mal im Jahr statt und Schwangerschaft und Entwicklung sind so abgestimmt, dass ein Jahr nach der Zeugung ein selbstständig lebens- und zeugungsfähiger Hund entstanden ist. Wenn also eines der beiden Lebewesen das Jahr als biologische Einteilung hat, dann ist das der Hund. Es müsste also umgekehrt gefragt werden.

Aber kommen wir nun wieder zur Eingangsfrage: wie viele Menschenjahre entsprechen einem Hundejahr?
Schwierig. Die Experten sind sich nicht einig und von der Volksweisheit “sieben Menschenjahre entsprechen einem Hundejahr“ bis zur genauen Jahresaufschlüsselung für jede Hunderasse ist so manches dabei. Kleine Hunderassen sind schneller ausgewachsen als große, aber sie werden auch älter. Fünfzehn bis achtzehn Jahre kann so mancher kleine Fiffi werden, aber mittelgroße oder große Hunderassen schaffen oft nur zehn Jahre. Dementsprechend erscheint es logisch, dass bei den kleinen Hunden weniger Menschenjahre pro Hundejahr vergehen, vielleicht vier oder fünf, bei den größeren Hunden könnten es aber durchaus sieben oder mehr Jahre sein (so werden Bernhardiner meist nicht älter als acht Jahre).
Trotzdem wird immer wieder versucht eine einheitliche Formel für alle Hunde zu finden. Hier die gängigsten:
1. 1 Menschenjahr zählt 7 Hundejahre
2. das erste Jahr zählt 14, die weiteren 7
3. das erste Jahr eines Hundes entspricht 15 Menschenjahren, das zweite Jahr 10 Jahren und jedes weitere Jahr 5 Jahren
4. das erste Jahr zählt 16 Menschenjahre, das zweite 8 und alle weiteren 4
5. zwei der Tabellen:  einfache Tabelle [exturl=]dreiteilige Tabelle[/exturl]

Ausgerechnet für meinen Hund, dem Boxer Paul, käme ich auf ein Alter von 84 Jahren, 91 Jahren, 75 Jahren, 64 Jahren oder 85 Jahren. Das kommt mir nicht sehr einheitlich oder genau für den “alten Mann“ vor. Oder anders ausgedrückt: das ist ziemlicher Quatsch.

Oder ist das nur eines von den vielen wortmalerischen Hundebildern, nur das dieses leider wörtlich verstanden wird? Beim Hundewetter denkt ja auch keiner an ein hundegeeignetes Klima. Läge hier der Hund begraben, so wäre das ein dicker Hund.
Andererseits stimmt es schon: wer schon mal Hundejahre erlebt hat, dem kommen sie im Nachhinein wie lange sieben Jahre vor. Und das erste vielleicht sogar noch länger.



Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 BrigitteG (24.06.10)
Ja, das erste Jahr... eine Tulpe anbellen, weil sie umgefallen ist und alle anderen Tulpen noch stehen. Das Metallgestell vom Wohnzimmertisch annagen wollen, aber die Schlappen ignorieren. Ein Meter von der offenen Tür in den Hof entfernt schnell noch mal aufs PVC pinkeln... toitoitoi für den alten Mann, dass er sich noch tapfer hält.

 Maya_Gähler (24.06.10)
Mein Sohn hat jetzt seit knapp vier Monaten einen Hund. Ich staune immer wieder wie rasant die Vierbeiner wachsen. Wie rasch aus dem Hundebaby eine Halbstarke wird, sie in die Flegelzeit kommt und bald schon eine geschlechtsreife Dame wird. Faszinierend und beängstigend zugleich. Ich stelle mir immer vor, wenn meine Kinder so turbomäßig durch die Kinder- und Jugendzeit gerast wären. Es kommt einem ja so schon mächtig schnell vor, wie sie 23 und 19 Jahre wurden.
Deinem "alten Herrn" wünsche ich noch viele feine Jahre, mit interessanten Begegnungen, ob mit Tulpen oder Metallbeinen, mit Schlappen oder anderen Hunden. Dir noch viel Freude und tolle Erlebnisse mit ihm.
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