andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 22. Juli 2010, 04:49
(bisher 956x aufgerufen)

früher war alles besser

Früher war alles besser, sagte man früher. Heute ist das selten zu hören, was aber nicht heißen muss, dass der Spruch nicht mehr gedacht wird. Vielleicht ist die Formulierung einfach etwas abgegriffen oder hat den Geruch von Mottenkugeln.
Die Tradition des “früher war alles besser“ ist uralt. Ob alte Römer, antike Griechen oder Perser, immer wieder finden sich Überlieferungen, die den Moralverfall, die unmögliche Jugend, die schlechte wirtschaftliche Situation, die fehlende Religiosität oder was auch immer beklagen. Vermutlich haben schon Affen ihren Frust darüber in Bäume geritzt.
Dabei wird selbstverständlich keine Verbesserung erwähnt, denn dadurch könnte die Aussage verwässert werden. Wenn also – zum Beispiel – die Autos von heute beklagt werden, so wird nicht die bessere Haltbarkeit erwähnt. Oft wird sogar die Wahrheit verdreht, wie bei dem legendärem Käfer, dem eine unerreichte Robustheit attestiert wird, obwohl die damaligen Kisten alle 10.000 Kilometer komplett abgeschmiert werden mussten und nur selten eine Laufleistung von 100.000 Kilometern erreichten.
Woran liegt es dann, dass immer auf das Früher herumgeritten wird? – Ist es die zunehmende Unflexibilität der Älteren, die ein konservatives Beharren fördert? Behalten die Leute nur die schönen Dinge und verklären dadurch die Vergangenheit? Oder vergessen die Menschen einfach, dass sie sich selber auch verändern und entwickeln?
Bei der Bildungsfrage könnte Letzteres angenommen werden. Seit Jahrzehnten ist es schöne Tradition, dass diejenigen, die durch ein Schul- und Universitätssystem gegangen sind, dieses dann später verschärfen. Plötzlich reicht der Lehrstoff nicht mehr aus, die Allgemeinbildung ist zu niedrig, die Kids können viel weniger als früher und es müssen unbedingt weitere Prüfungen eingeführt werden. Gleichzeitig wird die Zeit bis zum Abitur um ein Jahr gekappt und die Studiendauer schärfer kontrolliert. Ganz so, als würde die heutige Jugend aus dem alten Bildungssystem schlechter herauskommen als die frühere Jugend das geschafft hat. Die Jugendlichen müssen früher einfach besser gewesen sein ... oder will da jemand seine eigenen Abschlüsse nachträglich vergolden?
Auf unserer Plattform ist ein ähnliches Phänomen zu beobachten, wenn in schöner Regelmäßigkeit beklagt wird, dass die Texte und Kommentare viel schlechter geworden sind. Dabei ist es nicht so, dass vor einigen Jahren kein Mist veröffentlicht wurde oder Dutzende von hervorragenden AutorInnen und KommentatorInnen auf keinVerlag lustwandelten. Eigentlich waren es immer nur eine Handvoll guter Leute, eine große Zahl Durchschnitt und ziemlich viel Müll. Viele der schlechteren AutorInnen lernten und verbesserten sich, der Durchschnitt blieb meist durchschnittlich und die guten Schreiber entwickelten sich kaum, verloren dafür aber mit der Zeit die Lust, den Elan oder die Inspiration. Ist es da ein Wunder, dass die eigene Zeit voller Lust, neuen Eindrücken, Elan und Inspiration verklärt wird?
Im Berufsleben ist es jedenfalls immer wieder zu beobachten, dass jemand die Früchte aus jahrzehntelanger Erfahrung plötzlich auch bei den Neuanfängern sehen will. Da heißt es dann von Handwerksmeistern, die in der Schule gar keine Mathematik hatten, die über das Niveau der großen Einmaleins hinaus ging, dass die Lehrlingsbewerber keinen Dreisatz könnten, mit Flächenberechnungen Schwierigkeiten hätten und vor der Prozentrechnung wie Esel ständen.
Gut, nachzuvollziehen ist es sicherlich, dass sich niemand gerne an seine Zeit als Dummi erinnern möchte. Die Lehre mit der Berufsschule waren früher wohl auch nicht so, an das man sich gerne erinnern möchte. Aber warum wird allgemein so ein Fass aufgemacht?
Na?
Weil früher alles besser war, ist doch klar.





Andreas Gahmann

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Jorge (22.07.10)
Ein lesenswertes Essay.
In Spanien gibt es einen ähnlichen Spruch:
antes todo era diferente. (früher war alles anders)
saludos Jorge

 AlmaMarieSchneider (22.07.10)
Ja, ein lesenswerter Artikel, das finde ich auch.
Diesen Spruch konnte ich noch nie etwas abgewinnen. Anders war es, das stimmt, aber daß ALLES besser war??
Rückblickend kann ich nur sagen, um mal ein Beispiel zu erwähnen, daß es keinen Markendruck gab und gebrauchte Kleidung kein Makel war. Nachteilig war: Für neue Kleidung war gar kein Geld vorhanden.

Das durch die Medien geschürte Wettbewerbsdenken, in denen schon Jugendliche nur noch zu funtionieren und perfekt zu sein haben (siehe Topmodell usw.) ist vielleicht nur die Fortsetzung dessen, daß nichts mehr genügt.
Früher war es genügsamer und vielleicht wird das als besser empfunden.
Der spanische Ausspruch kommt mir da schon eher entgegen.

Wieder einmal gerne gelesen.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram