andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 29. Juli 2010, 02:36
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riecht wie ein ...

Die Werbindustrie zielt auf Emotionen und nicht auf den logischen Verstand der Kunden. Argumente verlieren gegen Gefühle (was kein sehr gutes Licht auf den homo sapiens wirft) und darum werden sie auch nur zum Übertünchen allzu platter Werbeaussagen benutzt. Das ist ein offenes Geheimnis, denn die Werbeschaffenden sehen sich auch als Kunst- und Kulturschaffende (denn Werbekonsum gilt als der Kunstkonsum des kleinen Mannes) und sind darum nicht sehr verschwiegen.

Den unterschiedlichen Moderichtungen der Werbung folgend, wird diese emotionale Schiene humorvoll, kitschig, vorgeblich sachlich, sexuell oder wie auch immer gefahren. Peinlichkeit, Neid, Gerechtigkeit, Angst, Rache, Vertrauen, Konkurrenzkampf, Niedlichkeit, Gier, Elterninstinkt … kaum eine menschliche Ebene wird nicht genutzt. In der Fernsehwerbung werden sogar kleine Geschichten erzählt: Schokoriegel werden zur Geheimwaffe im Kampf um Frauen, der richtige Kaffee rettet den Familienfrieden und Tiefkühlpizza wird zum Inbegriff der Romantik (zumindest für denjenigen, der Candle-Light-Dinner auf Brücken mag). Dabei ist das Abdriften ins Surreale zur Zeit sehr gewollt, etwa beim Sparkassenkunden, der von mordlüsternen Agenten gejagt wird …
Allerdings stellt sich dabei auch so manches Mal die Frage, ob die gewünschte Aussage überhaupt erreicht wird. Wer mit Gefühlen jongliert spart sich zwar die Argumente, aber kommt dafür in die Gefahr missverstanden zu werden. Denn Menschen empfinden nicht alle gleich.
Als Beispiel drei aktuelle Werbungen für Autos, denn mit Autos wird auch immer versucht ein Stück Persönlichkeit zu verkaufen. Autos machen angeblich attraktiv, sexy oder sportlich, da sind neue Aussagen gefragt:
1. nacheinander treten Straßenkünstler, Künstler und Lebenskünstler auf, um ihr Lebensgefühl in wenigen Worten zu umreißen. Umrahmt wird das von Werbung für den Wagen..
2. ein SUV wird mit Farbbeuteln beworfen, weicht ihnen aber aus. Erst ein kleinerer Wagen der gleichen Marke kann ihn mit einer Farbbombe treffen. Der abschließende Spruch: kleine Brüder dürfen das.
3. ein Mann mit Augenbinde wird in einen Kleinwagen ersetzt, tastet über Funktionsschalter, Lenkrad und Armaturenbrett, lächelt dabei vor sich hin und kann blind den Wagen benennen.

Klar ist, was die Werbung aussagen soll. Die Autos stehen selbstverständlich für Selbstverwirklichung und Individualität, sie sollen Überlegenheit ausdrücken und unverkennbar sein. - Aber sagt die Werbung das wirklich?

Meine erste Assoziation zur ersten Werbung war: nur abgedrehte Spinner fahren SEAT. Weitere Assoziationen folgten leider nicht, denn sonderlich sympathisch ist mir noch immer keiner der Akteure geworden.
Die zweite Werbung hat mich nach dem ersten Anschauen rätselnd hinterlassen. Noch vor dem Zusatz mit dem “kleinen Bruder“ warb das Filmchen für Nissan, doch eher Fragezeichen als Ausrufezeichen waren die Folge. Farbbeutel assoziieren linke Demonstranten, daher müsste das also ein Auto für Konservative sein, die unpopuläre Entscheidungen treffen … oder?
Oder ist es symbolisch gemeint? Nicht für die Farbe im Leben, natürlich, das wäre eine schlechte Werbeaussage, da das Auto den bunten Aspekten der Existenz ausweichen würde. Also eher Schmutzwerfer, die aus Neid das tolle Auto verschandeln wollen? – Hä?
Nestbeschmutzer ginge auch … aber dagegen spricht der kleine Bruder, der es doch noch schafft den großen Bruder voll zu kübeln.
Apropos kleiner Bruder: was macht ein großer Bruder, wenn ihn der kleine Bruder mit Farbe beschmiert? – Von wegen: kleine Brüder dürfen das, - das gibt Senge!
Und die dritte Werbung? – Einen Polo kann man mit verbundenen Augen erkennen … riecht der etwa nach Pferdesport? Nach schwitzigen Pferden oder der Unterwäsche von Poloreitern? Lecker.
Für jeden zu ertasten kann der Polo ja nicht sein, wo die meisten Menschen schon Schwierigkeiten haben Holz von Kunststoff zu unterscheiden. Also vielleicht die Geräusche? – Kein Auto klappert wie ein Polo? Polo, das Auto, das Sie am Schnarren der Fensterheber erkennen?

Es heißt immer wieder, dass es bei Werbung primär darauf ankäme ein Produkt in den Köpfen zu platzieren. Dabei soll es egal sein, ob dieses Bild negativ oder positiv besetzt ist, weil der erste Impuls des Wiedererkennens wichtig sei. Mir kam das schon immer wie eine Ausrede der Werbeschaffenden vor, wenn sie eine Kampagne in den Sand gesetzt haben. So argumentiert hätte BP mit der aktuellen Ölkatastrophe wohl ein echtes Husarenstück der Werbung abgeliefert.




Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (07.08.10)
Andreas, Du sprichst mir aus der Seele, wie man so schön sagt! Ich komme mir manchmal richtig blöd vor, weil manche Spots so negative Empfindungen hervorrufen. Zum Beispiel zur Zeit dieser extrem unsympathische Typ, der Werbung für eine Versicherung namens "Ergo" macht.
Nicht, dass ich für Werbung unempfänglich wäre (keiner ist das), aber gerade die Filmchen erzeugen bei mir nicht selten eher Ekel als Sympathie...
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