andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 19. August 2010, 06:26
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Typ(isch)?

In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass der Biologismus wieder verstärkt Einzug in die allgemeine Argumentation hält. Das verwundert vielleicht ein wenig, da es in der Vergangenheit einige gravierende Fehlinterpretationen gab, ja sogar gezielten Missbrauch. Das wohl bekannteste Beispiel ist die Rassenlehre der Nationalsozialisten, aber auch unabhängig davon gab es immer wieder Stilblüten und Horrorargumente.
Der Grund für die Häufung biologistischer Erklärungsversuche ist natürlich in dem allgemeinen Trend zu sehen, naturwissenschaftliche Begründungen in die gesellschaftswissenschaftlichen Bereichen einzuführen. Viele menschliche Verhaltensweisen scheinen mit biologischen oder mathematischen Erklärungsansätzen verständlich oder gar steuerbar zu werden. Als Beispiele können hier die Stauforschung (mathematisch) und die Schwarmforschung (biomathematisch) genannt werden, die momentan durch die Love-Parade-Katastrophe medienwirksamen Aufwind bekommen haben.
Das Problem mit dem Biologismus ist aber leider, dass er zur Bestätigung vorher gefasster Ansichten geradezu einlädt. Dabei muss nicht einmal der Vorsatz als Triebfeder dienen, oft läuft es unbewusst ab – und mit den bekannten guten Vorsätzen, die schon so oft zu großen Schwierigkeiten geführt haben.
Nehmen wir einige biologistisch angehauchte Argumentationen, die sich einer gewissen Beliebtheit in der Allgemeinheit erfreuen:
- “Daran, dass Männer größer und kräftiger als Frauen sind, kann die natürliche Rollenverteilung abgeleitet werden“. Meist wird daraus “gelesen“, dass Männer früher Jäger waren und die Frauen das Lagerfeuer und die Kinder beaufsichtigten. Die pseudofeministische Antwort lautet, dass Frauen viel sprachbegabter und kommunikativer seien (wobei diese These nur in das gleiche Horn stößt).
- “Männer sind von Natur aus gewaltbereiter und aggressiv, weil sie früher die Gruppe oder Familie beschützen mussten“.
- “Frauen sind die geborenen Mütter und können nicht aus ihrer Haut“.
- “Manche Menschen sind durch die Gene zu Führungspersönlichkeiten bestimmt, da genetisch alle sozialen Rollen vorgegeben sind. Das kann man bei Kindern durch die unterschiedlichen Rollen in der Gruppe erkennen: Klassenclown, Zicke, Sportskanone …“.
- “Intelligente Eltern bekommen intelligente Kinder“.

Ein Kennzeichen all dieser “Erkenntnisse“ ist, dass Gegenbeweise oder –indizien ausgeklammert werden. Was ist mit kleinen und zarten Männern? Was mit großen und kräftigen Frauen? Was bedeutet die zunehmende Gewaltbereitschaft bei Mädchen? Wie erklärt es sich, dass mache Frauen Kinder scheußlich finden und manche Männer im Kontakt mit Kindern nur noch dümmlich grinsen können? Warum wechseln Kinder nach einem Schulwechsel manchmal ihre Rolle? Und warum wirken manche Professorenkinder so unsäglich dämlich?
Natürlich liegt das Problem darin, dass die kulturellen, sozialen und familiären Prägungen außer Acht gelassen werden. Denn diese Faktoren gelten den Biologisten meist als biologisch gewachsen und somit erklärt. Was vergessen wird, ist die Abhängigkeit von geographischen, geologischen, klimatischen, historischen und anderen Gegebenheiten, die Unterschiede ausgelöst haben können. Vergessen werden aber auch der Zufall, die Eigendynamik, das Unwissen und der Dünkel, wobei nur das Unwissen der Forschenden im Nachhinein mit biologistischen Mitteln nachvollzogen werden könnte (aber meist verdrängt wird).
In meiner Schulzeit wurde noch der Stammbaum von Johann Sebastian Bach gelehrt, wobei es den Lehrern schon damals schwer fiel zu erklären, warum die Nachkommen zwar sehr musikalisch waren, aber keine Musikgenies wurden (bei anderen Komponisten wurde es noch viel schwieriger). Trotzdem galten noch die Dogmen der biologischen Erklärungen, etwa die des jagenden Mannes und der beerensuchenden Frau, die mit den Blagen das Heim hütete. Und es hieß damals auch, dass die Urmenschen in Höhlen wohnten, obwohl schon lange klar war, dass es gar nicht genügend Höhlen in geeigneter Lage gegeben haben konnte. Eigentlich ist da der Weg zu einer Rassenlehre oder Sozialrassenlehre gar nicht mehr weit.
Auf jeden Fall wäre es komplizierter ein System zu beschreiben, in dem Männer UND Frauen bestimmte Typen beinhalten, die angeboren oder geprägt sind, praktisch nie in Reinform vorkommen und von vielen Umwelteinflüssen abhängen.

Darum hat der Biologismus auch heute noch Zulauf. Kaum zu erklärende Umstände bekommen logisch klingende Gründe verpasst, die leicht mit den Beobachtungen des Alltags unter einen Hut gebracht werden können.
Das hieße natürlich, dass das Interesse an den komplexen Gründen eher gering ist, weil sie nicht so leicht mit einigen Schlagwörtern dargestellt werden können … Ob das daran liegt, dass der Mensch nur ein selbstbezogener Affe ist, der den entscheidenden Fehler in dem Moment beging, als er die Bäume verließ?



Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 AlmaMarieSchneider (19.08.10)
Das "Abstempeln" von Menschen ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Diese Stempel sind immer vorteilhaft für den Verteiler.
Eine wissenschaftliche Begründung wäre natürlich ein hervorragendes Argument für ihre Anwendung.
Das Unglück der Love-Parade könnte so wissenschaftlich den Opfern zugeordnet werden, die Benachteiligung von Frauen den Benachteiligten und beim Anblick zarter Männer dürfte wissenschaftlich belegbar sein, daß es sich um Tänzer handelt.
wortverdreher (36)
(19.08.10)
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