andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 09. September 2010, 03:45
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verflogene Worte

Es ist inzwischen groß in Mode gekommen, dass Altes entweder verlacht oder verklärt wird. Ein gutes Beispiel dafür sind Autos, die auf ihrem Weg des Alterns fließend vom Neuwagen zur alten Kiste übergehen, um dann irgendwann zum geliebten Oldtimer zu werden. Das gilt natürlich nicht für alle Automodelle, denn ziemlich viele von ihnen gehen sang- und klanglos den Weg auf die Schrottplätze.
Zumindest gibt es einige Autos, die es schaffen ihr Alter in einer Atmosphäre der Liebe und Bewunderung zu verbringen. Bei anderen technischen Geräten funktioniert das nicht so gut (zumindest aus der Sicht der Geräte). So gibt es noch keinen Markt für alte Handys oder Computer, obwohl es schon Sammler gibt, die nach den Kriterien: “war schon immer selten“, “war mal teuer“, “war exotisch“, “ist hübsch“ und “habe ich auch mal gehabt“ die alten Schätzchen auf Dachböden oder in Garagen horten.
Bei Radios und Fernsehgeräten gibt es das auch schon länger, aber viele andere Geräte gehen einfach unter oder landen als Einzelstücke in Museen. Doch niemand käme auf die Idee alte Kühlschränke, Herde oder Rasenmäher zu restaurieren und sie normal im Alltag zu verwenden. Alt bedeutet hier nämlich auch “veraltet“.

Bei der Sprache gelten allerdings andere Regeln. Hier sind veraltete Begriffe und Sprachbilder oft sogar besonders chic und werden verwendet, obwohl kaum jemand die Bedeutung kennt. Oder, was noch seltsamer ist: obwohl die Bedeutung ganz anders ist. Oder, was noch viel krummer erscheinen mag: obwohl die Bedeutung einfach falsch ist. Alte Begriffe, Sinnbilder, Vergleiche und geflügelte Worte spiegeln nämlich auch immer das Wissen und die Einstellungen der Zeit wider, in der sie entstanden sind.
Besonders gilt das bei Vergleichen mit Tieren, was immer schon gerne verwendet wurde, um andere Menschen zu beleidigen, zu verletzen oder sie im Gegenteil sogar zu erhöhen. Wo ein “durch die Blume“ noch zurückhaltend und versteckt geschieht, da ist ein “durch das Tier“ sehr viel offener. So offen, dass sogar auf beschreibende Zusätze verzichtet wird. Es ist meist nicht mehr nötig einen Löwen tapfer zu nennen, einen Fuchs gerissen oder eine Schlange falsch. Die Assoziationen zu den Tieren sind so fest im Bewusstsein verankert, dass zu Kaninchen, Hyänen, Schakalen, Frettchen oder Wölfen gar nicht mehr so viel gesagt werden kann, wie der jeweilige Begriff auszudrücken in der Lage ist.
Einige dieser Zuordnungen stammen aus Fabeln oder aus der Bibel, sind also die Form geflügelter Worte, die sich aus der Literatur bedienen. Andere stammen aus Beobachtungen oder Zitaten aus der Vergangenheit. Immer sind jedoch alt und spiegeln nicht unbedingt unser heutiges Wissen wider.
Sind Löwen tapfer? Sind Füchse klug? Sind Kaninchen ängstlich? Sind Schlangen falsch oder Geier gierig?
„Sie kämpfte wie eine Löwin um ihre Kinder …“ – bedeutet im Licht heutiger Erkenntnisse entweder, dass sie drohte, fauchte und Scheinattacken lief, um dann nach einem kurzen Scharmützel ihre Kinder aufzugeben, oder, dass sie einem körperlich unterlegenen Gegner standhielt, oder, dass sie ohne einzugreifen zuschaute, wie ihr neuer “Gatte“ die Kinder vom Vorgänger umbrachte.
„Wie Hyänen fielen sie darüber her …“ – heißt nicht, dass Hyänen unzivilisierter als Löwen fressen würden, sondern eher, dass diese hochsozialen Tiere (zumindest die Tüpfelhyänen) ihren Hunger stillen und dabei nicht viel übrig lassen. In vielen Fällen scheint es sich um ihre eigene Beute zu handeln, die sie in der Nacht geschlagen haben und die ihnen dann von Löwen weggenommen wurde. Manchmal müssen die Tiere mehrere Tage warten, bis ihnen endlich die schäbigen Reste überlassen werden.
„Sie war eine richtige Schlange …“ – müsste biologisch betrachtet auf einen arm- und beinlosen Kaltblüter deuten, der seltsam anmutende Sinneswahrnehmungen hat. Viele Schlangen können Wärme “sehen“, dreidimensional riechen und sich nach Erschütterungen orientieren. Sie nehmen die Welt also anders wahr als es ein Mensch tut.
„Er war ein einsamer Wolf …“ – meint wohl einen recht unglücklichen Wolf, denn die mitteleuropäischen Wölfe leben praktisch immer im Rudel. Einsame Wölfe sind also entweder auf der Suche nach ihrer Familie, oder sie wurden aus der Gruppe geworfen. Von Freiwilligkeit keine Spur. Vermutlich sind sie verängstigt, hungrig und vielleicht auch alt oder krank, zufrieden sind sie mit Sicherheit nicht.
„Ein Mann wie ein Bär …“ – bezieht sich auf den Braunbär, der den Menschen früher präsent war. Heute kennen die Menschen aber auch andere Bärenarten. Das bietet natürlich völlig neue Bildmöglichkeiten. Etwa: „Ein Mann wie ein Bär, sie nannte ihn Panda“.

Manchmal wäre es wohl doch gut, wenn nicht nur alte Autos auf den Schrottplatz, zum Liebhaber oder ins Museum wandern würden.





Andreas Gahmann

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