andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 07. Oktober 2010, 05:02
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Es ist nicht erst seit ein paar Jahrzehnten in Mode gekommen über die richtige Art zu leben nachzudenken. Schon vor Tausenden von Jahren wurden Verhaltensrichtlinien aufgestellt und immer hatten die entscheidenden Menschen dabei nur das Gute im Sinn.
Hollywood lehrt uns zwar seit knapp einhundert Jahren eine andere Sicht der Dinge, aber Realität und Logik setzen sich für gewöhnlich gegen Wunschbilder durch, auch wenn es manchmal ziemlich lange dauert. Oder besser gesagt: sie setzen sich eh durch, aber das Bewusstsein dafür braucht lange (oft mehrere Generationen).
Das Problem mit dem Guten oder Richtigen ist nämlich, dass sie von der Perspektive abhängen. Der eine will nur das Gute für sich selber, der nächste möchte es für seine Freunde und Bekannte, der dritte für eine wie auch immer definierte Gruppe (soziale Schicht, Volk, Staat, Nation, Kontinent …), doch das viel beschworene Böse will niemand. – Was natürlich nicht heißt, dass sie nichts Böses tun. Sie nennen es nur anders: notwendiges Übel, Wirtschaftlichkeit, den Willen Gottes, Prüfung, Gerechtigkeit, Säuberung oder wie auch immer.
Selbst diejenigen, die von sich behaupten dem Bösen zu dienen (soweit sie nicht völlig durch den Wind sind), wollen nur das Gute; entweder für sich oder weil sie das allgemein als gut Bezeichnete für böse halten. Hier hilft es sicherlich, wenn Gehirnwindungen in Schnörkeln und Schleifen verlaufen.
Böse ist immer nur der andere, wie es schon in geflügelten Worten heißt.

Kann das Gute überhaupt definiert werden? Die Triebfedern scheinen meist recht profan zu sein: ein gutes Gehalt verdienen, in einem guten Wohngebiet wohnen, ein gutes Leben leben, gutes Essen genießen, guten Sex bekommen, eine gute Beziehung führen … doch die Prioritäten ändern sich mit der Zeit. Kinder denken nur an sich und an ihren Spaß, Jugendliche weiten das Denken immer weiter aus, bis sie das Gute und Böse fast im globalen Ausmaß ausmachen und die (so genannten) Erwachsenen schränken ihren Horizont wieder ein auf Essen, Trinken und Wohnen (und natürlich Sex), Macht, Status und Geld (und natürlich Sex) oder Seelenheil, Moral und Recht (und natürlich Sex, wenn auch moralisch verbrämt). Diese Form der Reife kennt man auch von Käse, der schrumpft auch.
Werden die Menschen älter, so verschieben sich die Prioritäten noch weiter. Irgendwann geht es nur noch um die Absicherung im Alter, ums Nochälterwerden und um das Danach. Nur wenige erreichen das, was als Altersweisheit bezeichnet wird.
Wenn nun Wissenschaftler feststellen, dass Mäuse länger leben, wenn ihr Alltag langweilig und regelmäßig ist, sie leider aber dümmer als diejenigen sind, die Abwechslung und Dynamik bekommen, dann führt das zu Gewissenskonflikten (besonders bei den älteren Wissenschaftlern). Wenn aber festgestellt wird, dass hungernde Mäuse gesunder als wohlgenährte sind – und dazu auch noch länger leben – dann muss sich niemand wundern, dass zum nächsten Medizinerkongress ganz viele abgemagerte Gestalten erschienen.
Selbstverständlich wurden die Forschungen ausgeweitet und es scheint eine elegantere Lösung gefunden worden zu sein: wenn die Mitochondrien der Körperzellen weniger Energie produzieren, dann treten die gleichen Effekte auf. Außerdem muss niemand die Ernährungsgewohnheiten umstellen, es muss sogar viel gegessen werden, weil der Körper nur beschränkt Nahrung aufnimmt. Schlemmen ohne Reue, weniger Krebs und höheres Alter. Ist das nicht gut und richtig?
So ist das halt mit dem Wunsch Gutes zu tun. Die Hälfte der Menschheit hungert, doch es wird etwas erforscht, das die Wohlstandsstaaten dazu zwingen würde noch mehr Nahrungsmittel zu verbrauchen. Ob es daran liegt, dass die Verantwortlichen zu langweilig und regelmäßig leben?



Andreas Gahmann

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