KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Freitag, 16. Januar 2015, 23:44
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ÜBER MUT ZUR UNFREUNDLICHKEIT

Thesen zum Klima auf KV

Der Mut zur Unfreundlichkeit ist – besonders in den Threads – auffällig groß.

Warum?

Diese Unfreundlichkeit ist leicht. Leichter als ein wirklicher Gedanke. Leichter als eine Argumentation, die überzeugen will.

(Ich unterscheide aber die Unfreundlichkeit von der Polemik mit didaktischer Intention.)

Die Unfreundlichkeit ist taktlos, manchmal auch unverschämt und diffam und will verletzen, beleidigen, erzürnen.

Ihr Ziel kann die gewollte Eskalation sein – um den Gegner (nicht Partner) immer wieder zu überbieten. Es soll ein Unterhaltungswert für die Geilheit auf das Niedrige entstehen.

Im Sumpf der gegenseitigen Verletzungen ist dann die Gedanklichkeit ausgeschaltet – die Gegner sind, wenn sie sich auf die Eskalation einlassen, bald auf das niedrigste Niveau hinunter gezogen.

Genau das will der Unfreundliche. Oft versucht er den Überlegenen in einen Streit geistloser Subjektivität hinein zu ziehen, um auf diese Weise sich selbst aufzuwerten.

Unfreundlichkeit ist also oft Kompensation für Gefühle von Unterlegenheit und Minderwertigkeit.

Sich in unfreundlichen, taktlosen und schamlosen Tiraden einen Anstrich von Genie geben zu wollen ist auch sehr oft eine Variante der Kompensation von Minderwertigkeitsgefühlen.

(Es gibt andererseits lustvolle Streiter – sie erscheinen leicht arrogant und müssen sich dann viel gefallen lassen von maßlos unfreundlicher Abwehr derjenigen, die zum Nachvollzug und zur Einsicht nicht willens sind, manchmal auch nicht fähig.)

Unfreundlichkeiten erzwingen Aufmerksamkeit (Du hast überhaupt keine Ahnung! Du weißt viel, aber du hast kein Herz! Du bist mir unsympathisch, mir gefällt nicht, was und wie du redest! Du bist arrogant! Du Besserwisser, Rechthaber! Du bist zu alt, du bist zu jung! Du kannst nicht denken! Deine Worte sind unwahr, unecht! Du Schwafler, Sie Schwätzer Sie!) – solche Taktlosigkeiten wollen verletzen, um Nähe zu erzwingen, aber es ist nur eine kompensatorische Nähe. Anerkennung oder gar Liebe wird so unmöglich.

Die Unfreundlichen instrumentalisieren die attackierte Person (oder ihr Werk oder ihre Aussagen) zur Befriedigung eigener Bedürfnisse, die mit der Sache, um die es eigentlich geht, der Literatur, nichts zu tun hat.

Unfreundlichkeit entfaltet sich besonders leicht im Medium des Virtuellen, der Angegriffene ist nicht sichtbar, er bleibt weitgehend abstrakt – die Worte fallen auf ihn wie die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki.

(Ich weiß, wovon ich hier rede. Ich war und bin immer wieder in der Gefahr, die Grenzen meiner Freundlichkeit so weit zu fassen, dass ich mit einem Bein manchmal schon auf dem Gebiet der Unfreundlichkeit stehe – und ich muss mich fragen, ob meine polemische Lust nicht doch ab und zu ins Niedrige absinkt. Auch das zu hart gesagte Urteil kann unbeabsichtigt dieses Niveau erreichen, auch übertriebene Spiele in Übermut und Albernheit.)

Fortiter in re, suaviter in modo! – Sei stark in der Sache, aber mild in der Form!

Ulrich Bergmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 AndreasG (04.08.06)
Jau. Über weite Strecken kann ich Deine Aussage(n) nur unterstreichen, ich würde sogar etwas weiter gehen und den Effekt der Abschreckung miteinbeziehen (man lässt die Äußerungen von Person X unwidersprochen stehen, weil er/sie zuvor Person Y zur Minna gemacht hat). Allerdings finde ich das Wort "Liebe" im Kontext der virtuellen Realität etwas fragwürdig ...
Oder ist das wieder eine Frage der Definition?
Liebe Grüße,
Andreas
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