Maier, Karin:

Übadacht

Boarische Gedichte


Eine Rezension von  Bergmann
veröffentlicht am 08.09.08

Karin Maiers Gedichte erinnern mich an die logische Schärfe Erich Frieds, sind aber bildreicher. Die bayerische Lyrikerin denkt vom Dialekt her punktgenau und kommt so zu einer Prägnanz des Logischen, die den Leser frappiert. Sie liebt das literarische Paradoxon und die Antithese, die Dialektik. Das zeigt schon der Titel des Gedichts „sichtlich blind“. Heimlich korrespondiert das vordergründig so lustig scheinende Gedicht mit der Position des Lyrikers, des Künstlers, der eine ganz anders kartierte Welt im Kopf hat und der vermeintlichen Realität der ersten Ordnung andere Realitäten gegenüberstellt. Antithetisch gebaut ist auch das folgende Gedicht:

s fernsehkastl

so a fernsehkastl
is wia a wunder

oiwei
wenns d eischaltst
schaugd di s lebn o

oiwei
wenns d neischaugst
schaltst dei lebn aus

Das „wunder“ ironisiert die schreckliche Metamorphose des alltäglichen Eskapismus (in der letzten Strophe). Dem „fernsehkastl“ folgt das „hirnkastl“, jetzt geht es tiefer in uns hinein: Das lyrische Ich fragt sich gespielt naiv, wie das Gehirn eines Singvogels funktioniert – anders gesagt: Selbstreflexion scheitert wie die Frage nach dem Sinn unseres gesamten Seins. Bewusstsein ist nur eine Chimäre. Wir sind nur höhere Tiere, nichts weiter.

s hirnkastl

manchmoi kommt mir
mei hirnkastl
wia a ramschladl vor

i wühl
wia varruckt drin rum
und suach nach am ton

nix kommt

i frag mi
wia die amsl des macht
die draußn singt

Poetischer – im Sinne sinnlich verbildlichter Gedanken – sind die beiden folgenden Gedichte:


winta hamma ?

d wiesn
schaugd a weng oid aus
in da fruah

da see
hod nix zum beißn
er derf nur ab und zua
an himmi schlucka

s radl wundert se a
es draht
sicher durch

wenn s so weida geht
kann se da winta
wenna no reischneid
nimma an sich selba erinnern

Dieses ‚Wintergedicht’ ließe sich im Unterschied zu den meisten anderen ins Hochdeutsche setzen und verlöre dann kaum seine Kraft. Die sanfte Ironie, wie die unvollendete Natur mit sich selbst redet – obwohl wir doch aus den anderen Gedichten wissen, dass Selbstreflexion zum Scheitern verurteilt ist – steigt vom Grund des unverfrorenen Sees bis hinauf zum Himmel. Der kleine See schluckt den großen Himmel, das Diesseits vereinnahmt das Jenseits, wir projizieren unsere geistige Nahrung… und so wird das Sollipsistische oder einfach nur das Subjektive unserer Existenz in grotesker Weise deutlich. Und zum Schluss wird der potentielle Alzheimer der Jahreszeit, die gar nicht recht geboren wurde, zum Bild der Unfähigkeit aller Selbsterkenntnis. Das ist einfach wunderbar gemacht.
Noch perspektivistischer ist dieses Gedicht:

regnbognforelln

de oan sagn
des
de andern sagn
des andere

de oan ham recht
de andern s große wort

s geht
durch mi durch
wia vo oam ufer
zum andern

manchmoi bleibt wos hänga

de forelln wissn s


Offenbar hängt das lyrische Ich mitten in der Luft, es schwebt über dem Fluss und ist lieber Teil der unbewussten Natur, mit der es sich versteht, als Teilnehmer des geistigen Diskurses unserer Zeit. Er versteht davon nur wenig, sagt er, hier rein da raus, aber das ist nur ein Spiel – das lyrische Ich ist nicht so naiv, wie es tut! Die Forellen als Zeugen der Skepsis zu benennen, ist eine heftige Verurteilung der Möglichkeiten und Ergebnisse menschlichen Denkens.

So gesehen sind Karin Maiers Mundartgedichte Gedankengedichte – die Hauptthemen sind Erkenntnis, Selbsterkenntnis, insgesamt: Skepsis gegenüber der Kultur und daher Sehnsucht nach einer einfacheren Harmonie, für die die Natur als Bild (weniger sie selbst im eigentlichen Sinn) steht.

Noch nie war mir das Bayerische derart sympathisch wie in solchen Gedichten. Welch eine starke Sprache und sensibel zugleich. Bei Karl Valentin ist mir das Bayerische nicht so nah gekommen. Und auch die besten bayerischen Kabarettisten von heute schaffen nicht diese Dichte und die wunderbare Aufhebung des Derben, das jedem Dialekt innewohnt. Karin Maiers Mundartgedichte entwickeln eine unglaubliche Zartheit und Leichtigkeit, ohne an Tiefe zu verlieren. Dem Dialekt verdankt sich die Kraft und die Bildprägnanz nicht allein, es liegt vielleicht tatsächlich auch daran, dass die Dichterin im Bayerischen von innen heraus das Wesentliche so leicht sagen kann, dass es zugleich auf engstem Raum Tiefe gewinnt.


Ulrich Bergmann
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