Schröder, Richard:

Abschaffung der Religion?

Wissenschaftlicher Fanatismus und die Folgen


Eine Rezension von  JoBo72
veröffentlicht am 08.04.09

Der Theologe und Philosoph Richard Schröder, Verfassungsrichter des Landes Brandenburg und Präsident des Senats der Deutschen Nationalstiftung Weimar, zählt zu den großen Intellektuellen unserer Zeit. Das hat er mit Richard Dawkins gemein. Sonst nichts. Das mag nicht weiter verwundern, denn Schröder ist bekennender evangelischer Christ, Dawkins ein bekennender Atheist, der im freidenkerischen Oxford Thesen zur Religion aufstellte, die nicht nur religionskritisch, sondern in Teilen hetzerisch, beleidigend und im großen Ganzen religionsphilosophisch substanzlos sind. Von verschiedenen Seiten ist der Naturwissenschaftler daher mit dem Ideologievorwurf konfrontiert gewesen.

Schröder wendet sich zwei Schriften des „neuen Atheismus“ zu, Dawkins’ populären Büchern „Das egoistische Gen“ und „Der Gotteswahn“, deren szientistische Kernthesen zum verbindlichen „Credo“ jedes „neuen Atheisten“ gehören, der was auf sich hält: Der Mensch ist ein Tier, Materie ist alles, was existiert, Wissenschaft hat „Allerklärungskompetenz“ (Schröder), Religion ist Wahn, Religionsunterricht ist Kindesmissbrauch, Gott – der nur als Hirngespinst existiert – ist an allem Schuld, weil er Menschen zu stumpfsinnigen Bestien werden lässt, sobald sie beginnen, nach ihm zu suchen.

Obwohl sich Schröder bei seiner Kritik des wissenschaftlichen Fundamentalismus’ im Wesentlichen auf die beiden angeführten Dawkins-Bücher stützt, lassen historische Bezüge erahnen, dass dieses Phänomen nicht ganz neu ist. Der methodologische Hauptfehler jedes Fundamentalismus', sei er wissenschaftlich oder religiös, ist ohnehin zeitlos: Die persönliche Sicht der Dinge zu verabsolutieren, ohne Rücksicht auf die eigenen weltanschaulichen Bedingtheiten und ohne Gespür für die Lebenszusammenhänge, die zu eben dieser Sicht beitragen.

Biografie und Bekenntnis prägen das Denken jedes Menschen, dessen ist Schröder sich bewusst. Er unterscheidet sich damit methodisch von den „neuen Atheisten“, die ihre Weltanschauung für eine „wissenschaftliche“ (und damit überlegene, weil „objektive“) halten. Während sie ihren Glauben beziehungsweise Unglauben als irrelevant für ihre Auffassung darstellen, sich durch und durch als „rational“ verstehen, Lebensvollzüge insgesamt nur durch die wissenschaftliche Brille betrachten und damit die Grenzen von Wissenschaft und Weltanschauung verschleiern, bekennt sich Schröder freimütig zu den Voraussetzungen seiner Position und klärt damit sein erkenntnisleitendes Interesse: Bedingungen seiner Kritik an Dawkins ist zum einen sein christlicher Glaube, zum anderen seine Erfahrung mit atheistischer Religionskritik in der DDR, in der Schröder als Christ lebte.

Schröder spricht aus diesem Bewusstsein mögliche Folgen des „neuen Atheismus“ an, was ihm zuzugestehen ist, schließlich musste er persönlich unten den Folgen des „alten Atheismus“ leiden. Das Besondere, ja regelrecht Bewundernswerte ist, dass er dabei seinen scharfen Verstand nicht gegen das grobe Beil dessen eintauscht, der es dem Gegner heimzahlen will. Schröder gibt Übungseinheiten in Sachen Differenzierungsvermögen. Er verdeutlicht dabei, dass Dawkins nicht nur über alle Maße polemisiert und dazu unsachliche Zuspitzungen vornimmt, sondern dass er in vielen Punkt schlicht falsch liegt - auch wenn er dabei auf sachliche Fehler nicht weiter eingeht, da dies den Rahmen der Abhandlung gesprengt hätte - denn: „Dawkins Religionskenntnisse sind weniger als dürftig“.

Er entlarvt zwei inhaltliche Grundfehler des „neuen Atheismus“, die sich auf dessen Selbstbild und dessen Religionsverständnis beziehen. Im Innenverhältnis diagnostiziert Schröder den Hang des „neuen Atheismus“, sich aus der eigenen Tradition herauszunehmen, mit der Folge: „Dawkins hat den schmerzlichen Schritt zu einer kritischen Sicht der Geschichte des Atheismus noch vor sich“. Im Außenverhältnis entlarvt Schröder das fundamentalistische Schriftverständnis des „neuen Atheismus“: Entweder alles in der Bibel ist wortwörtlich wahr, ohne Unterscheidung der unterschiedlichen Textgattungen, ohne hermeneutische Einordnung der Erzählungen in einen historischen Kontext, ohne Berücksichtigung der Entwicklung innerhalb der Bibel – oder eben nichts.

Das entspricht aber in keiner Weise dem Stand der zeitgenössischen Theologie. Mit dieser „Alles-oder-nichts-Hermeneutik“ verschaffe sich Dawkins bloß „ein sehr schlichtes Diskriminierungsinstrument“. Zudem bezieht sich diese atheistische Bibellektüre mit ihrer fragwürdigen Exegetik auf einseitig ausgesuchte Stellen voller Gewalt, die aber im Selbstverständnis des Christentums nicht den Stellenwert haben, der ihnen mit dieser Fokussierung zugeschrieben wird. Aber warum liest Dawkins die Bibel so? Er brauche die dabei sich ergebenden Resultate, so Schröder, um sein starres Freund-Feind-Schema durchzuhalten. Dawkins mache dabei „nicht den geringsten Versuch, Überzeugungen anderer, die er für falsch hält, aus ihrer Sicht zu rekonstruieren“.

Richard Schröder legt mit seiner differenzierten Analyse des wissenschaftlichen Fanatismus ein argumentativ dichtes und kenntnisreiches Buch gegen jedes Schwarz-Weiß-Denken vor. Es enthält wichtige Einsichten, man möchte fast jeden Satz unterstreichen. An den Seitenrändern wimmelt es nach der Lektüre nur so vor Ausrufungszeichen. Die entlarvende Analyse dürfte vielen religiösen Menschen wohl tun, die oft sprach- und hilflos sind, angesichts der neuen Welle von immer konkreter werdenden Anfeindungen und Gehässigkeiten, die Dawkins & Co. zumindest billigend in Kauf nehmen, wenn sie die Kategorie „religiöses Gefühl“ für nicht relevant halten.

Besonders die Lebenserfahrungen des Autors überzeugen in ihrer Authentizität. Der inhaltlich beachtliche Text ist zudem so verständlich geschrieben, dass er angenehm zu lesen ist; phasenweise ist er richtig unterhaltsam. Ein sehr gelungenes Buch, das informiert, auf der Basis von Fakten und Erfahrungen Partei ergreift und in seinem Duktus großes Vergnügen macht.
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Kommentare zu dieser Rezension


 Nicht registrierter NutzerHedgeGarfield (12.04.09)
Insgesamt eine gut geschriebene Rezension, wie ich finde.
An dem Buch selbst finde ich lediglich höchst problematisch, dass es von der "Gegenseite" geschrieben worden ist. Es müsste eine neutrale Ebene geben, zwischen Atheisten und Gläubigen, und diese netrale Ebene sollte dann so ein Buch schreiben.
Da ich mir nicht vorstellen kann, wie jemand im Zwischenbereich existieren kann (also zwischen Nichtglauben und Glauben), bleibt wohl nichts anderes übrig, als dass die beiden Seiten jeweils immer neue Argumente für ihre Seite der Perspektive suchen. Gläubige wollen möglichst klug den Atheisten eins auswischen und umgekehrt, so sieht es doch aus.

Mir persönlich ist es egal, wer was glaubt. Ich sehe den helfenden, Schutz und Zuversicht schenkenden Nutzen des Glaubens. Trotzdem bin ich überzeugter Atheist, kann mich aber mit vielen radikalen Ansichten sogenannter Neoatheisten nicht anfreunden. Radikalismus in jeder Hinsicht ist ausgemachter Stumpfsinn, was am Menschen aber längst keine neue Regung mehr ist.
Was ich dieser Rezension entnehme, ist, dass da wieder ein Gläubiger versucht, die Position der Gläubigen alt-neu zu rechtfertigen. Wozu? Es gibt sie nicht, die eine wahre Position. Gäubige sollen mit ihrer Perspektive glücklich werden, Atheisten mit der ihren. Es wird bereits an so vieles geglaubt, warum dann nicht auch daran, dass Radikalismus irgendwann abgeschafft wird und tolerante Gläubige neben toleranten Atheisten in Eintracht leben können? Dann werden auch solche (für mich) unnötigen Bücher, die lediglich nach Rechtfertigung vor der Gegenseite aussehen, vom Markt verschwinden. In einer Welt, in der die andere Meinung ebenso respektiert wird wie die eigene, müsste man sich nicht rechtfertigen. Das tut Schröder in meinen Augen aber sehr wohl. Und das finde ich traurig. Weil mal wieder neimand den ersten Schritt aufeinander zu, sondern erneut von einander weg geht.

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