keinEinhorn

keinEskapismus, keinRosa, keineLiebe.


Die Kolumne des Teams " keinEinhorn"

Dienstag, 23. April 2019, 22:01
(bisher 277x aufgerufen)

Acht Spinnen im Jahr

von  Judas


Wenn man ich ist, sagt man einen Satz im Leben überraschend häufig; Sorry, dass ich dich da enttäuschen muss, aber das ist 'ne Urban Legend.
Was ist denn bitte eine Urban Legend? fragt jetzt vielleicht der eine. Was für eine Art von Gesprächen führst du?! fragt da vielleicht der andere.
Beide Fragen will ich beantworten.
Urban Legends – urbane Legenden auf deutsch – ist der geläufige Begriff für etwas, was wir Erzählforscher modern urban legends oder – ganz korrekt – friend-of-a-friend-tale kurz: fof-tale nennen. Man lässt das modern und das urban mittlerweile gerne in der Fachliteratur weg, weil man raus fand, dass einige dieser Geschichten genau genommen weder urban noch modern sind.
Und wat is' dat nun, ein fof-tale? In erster Linie ist es eine Geschichte, die geglaubt werden will. Sie hat also genannten Veritas-Anspruch. Ein Märchen zum Beispiel will gar nicht geglaubt werden: deswegen kommen da auch Gold scheißende Esel, zu Fröschen verzauberte Prinzen und singende, klingende Bäumchen drin vor. Und was will das fof-tale noch so? Angst schüren. Eventuell sogar Panik. Skurril sein aber immer noch im Rahmen des Möglichen. Aktuell sein. Und deshalb ist es auch immer vor kurzem und immer jemandem aus dem näheren Umfeld passiert: dem Bekannten einer Oma, dem Schwager der Kollegin, dem Freund eines Freundes halt. Und immer: echt wahr! Wirklich jetzt! Ist zwar nicht mir passiert, aber ich kenne wen, der wen kennt...! Und was alle fof-tales dann eben auch gemeinsam haben: sie sind nicht wahr. Es gibt Null (in Zahlen: 0) nachgewiesene Fälle. Zero. Niente. Nada. Nixus Minimax. Und sie passieren überall. Immer ein bisschen anders erzählt, immer 'ner anderen Nichte des Nachbarn passiert, immer mit etwas Varianz in Ort, Person, Zeit und so. Bissel schwammig halt. Nichts genaues weiß man nicht. Ist ja nicht mir passiert!
Nun zu den Gesprächen, die ich so führe.
„Trink nicht so viel Cola! Die Säure da drin ist echt stark. Die kann über Nacht ein ganzes Steak auflösen!“ Nein. Kann sie nicht. Cola ist wegen der Unmengen an Zucker und Koffein nicht unbedingt gesund, aber die Phosphorsäure kann keinen Gummibären auflösen, geschweige denn ein Steak (über Cola gibt es übrigens so dermaßen viele urban legends, dass sie mittlerweile eine eigene Untergruppe namens Coke-lore bilden! Cool, oder?)
Oder: „... das ist mindestens so eklig, wie der Fakt, dass man im Schlaf durchschnittlich 8 Spinnen pro Jahr verschluckt!“ Nein. Tut man nicht. Spinnen sind doch nicht blöd. Was wollen die in unserem Mund? Ist übrigens ein Hoax, verbreitet von einer netten Dame, die herausfinden wollte, wie schnell sich so ein Hoax im Internet verbreitet.
Marylin Manson nahm sich zwei Rippen aus, um sich selbst einen blasen zu können! In der Spezialsoße vom City Döner ist Sperma drin! An Blaubeeren und Bärlauch können Fuchsbandwurmeier dran kleben! Ein Wels in der Elbe hat mal einen Dackel gefressen! Ein Typ auf dem Spielplatz verteilt Aufklebe-Tattoos an Kinder und da ist LSD drin...!!
Hallo? Wisst ihr eigentlich, wie teuer LSD ist? Und dass man das nicht sehr gut über irgendwelche Aufkleber über die Haut aufnehmen kann? Warum sollte das wer verschenken?!
Ich könnte noch etliche Beispiele nennen. Letztlich gibt es aber gar nicht soooo viele fof-tale-Typen. Ähnlich wie beim Märchen ist die reine Typen-Anzahl überschaubar, die Varianten davon erscheinen aber unzählbar zu sein. Je nach Stimmung in einer Gesellschaft tauchen dann auch immer wieder mal andere urban legends auf, rotieren also so ein bisschen durch die Geschichte. Weil eben immer andere Sorgen und Ängste gerade en vogue sind. Dabei sind jene Ängste, die angesprochen werden, oft so alt wie die Menschheit selbst. Xenophobie, also die Angst vor dem Fremden, ist gerade zum Beispiel wieder voll im Kommen. Und ich gucke echt dumm aus der Wäsche, wenn ich lese und höre, wieviele fof-tales gerade wieder aufgewärmt werden von AFD und Co. KG und anderen Nazi-Spinnern.
Letztlich hat der Mensch ja doch seit jeher Angst vor seinem Nachbarn, Feuer und vielleicht noch davor, gefressen zu werden.
Anbei: wer gerne eine große und gute Sammlung von fof-tales lesen möchte, dem lege ich sehr das Buch „Die Spinne in der Yukka-Palme“ ans Herz.
So. Ich geh dann mal 'nen Döner essen und trink dazu eine Cola.

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Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (24.04.19)
"Rausfinden" ist ein Kompositum. Auch im Präteritum.

Wieso schreiben eigentlich alle "AFD" und kaum einer das korrekte "AfD"? Ist das 'ne verstecke Botschaft?

Ansonsten gerne gelesen, ist mal leichte Kost.

 Judas meinte dazu am 24.04.19:
Da ist auch irgendwo noch ein Tippfehler. Hab das gestern vom Hotel wifi hochgeladen und das ist so super lahm, dass ich Korrekturen erst zu Hause nachholen werde. Ansonsten danke!

 keinB (30.04.19)
Dass das mit den Spinnen eine urbal legend ist, ist eine urban legend. Keine fof-Erfahrung, meine eigene: Mein Zimmer im Haus meiner Eltern befand sich unterm Dach. Altes Haus. Viel Holz, Dachboden nebenan nicht ausgebaut. Ich hab mit 14 oder so einen winzigen Fernseher bekommen, der gegenüber vom Bett an die Wand montiert wurde und lag am Wochenende nachts oft aufm Rücken im Bett und hab irgendnen Schund angeschaut, damals liefen oft irgendwelche Trashhorrorfilme und so Zeug. Ich erinnere mich, dass mir mindestens zweimal Spinnen beim Atmen in den Mund gelaufen sind. Bei der ersten war ich so überrascht, dass ich sie tatsächlich geschluckt habe. Die zweite habe ich im Affekt totgebissen und ausgespuckt ... :D

Eines der Traumata meiner Kindheit.^^

Kommentar geändert am 30.04.2019 um 22:08 Uhr

 Judas antwortete darauf am 30.04.19:
Nagut, das sind dann durchschnittlich aber doch eher 2 Spinnen im Leben gewesen und nicht 8 im Jahr... außerdem bestätigen ja Ausnahmen immer die Regel... :D

Lisa Holst heißt die gute Frau übrigens. Ein schöner Artikel über die ganze Sache ist der hier:  Link

Antwort geändert am 30.04.2019 um 22:16 Uhr
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