DIT ISS BERLIN: Wenn sich eine Stadt neu erfindet!

Erzählung zum Thema Aktuelles

von  Klattke

Klattke bekam Besuch. Seine Jugendfreundin Mirjam, kurz Mimi genannt, hatte ihr Kommen angekündigt. Die beiden hatten in den 1980er Jahren gemeinsam die Berufsschule im damaligen Westberlin absolviert und einiges zusammen erlebt. Dann zog Mimi in ihre hessische Heimat in der Nähe von Frankfurt zurück. Seither hatten sie sich nur selten gesehen. Nun war es Mimi wie Klattke ergangen. Sie war nach langjähriger Tätigkeit entlassen worden und bekam jetzt ebenfalls Hartz IV. Mit einem Billigbusticket für 15 Euro fuhr sie nach Berlin, um ihren alten Freund zu besuchen. Dieser wartete am Busbahnhof und beide begrüßten sich herzlich mit "Ei guuude wie, Klaus?" und "Juten Tach ooch, Mimi" und fuhren in Klattkes Wohnung, wo Mimi aus Kostengründen natürlich wohnte.

Klattke hatte selbstgemachte Bouletten vorbereitet und man aß zu Abendbrot. Dabei erzählte sie ihrem alten Freund ihre Geschichte, die dieser nur zu gut aus eigener Erfahrung kannte: die übliche Kostenoptimierung im Unternehmen, dass anschließende Mobbing gegen ältere, "zu teure" Mitarbeiter und schließlich gab sie auf und fand sich letzthin beim Jobcenter wieder. Irgendwann hatten Mimi und Klattke genug von diesem unsäglichen Zeitgeist und legten sich schlafen.

Am nächsten Tag machten sie sich auf dem Weg, um einen Kudamm-Bummel zu machen. Hier hatten sie in ihrer Jugend viel unternommen und Mimi war ja schon lange nicht mehr dort gewesen. Sie erinnerte sich gern an das pralle bunte Leben der 1980er Jahre mit Lichtspielhäusern, weltberühmten Cafés wie dem Kranzler und jede Menge Läden. Außerdem hatte sie in der Zeitung vom Aufschwung der "City-West" gelesen, mit Neubauvorhaben und dass diese sich gerade neu erfindet und war wahnsinnig gespannt.

Sie begannen am Tauentzien und spazierten Richtung Kurfürstendamm. "Kärlle, hier sieht´s joa groaad so aus wie uff de Zeil inn Frankfurdt" entfuhr es ihr alsbald. "Die Lääde hammer bei uns in Frankfurdt aaach alll." Ein Drogeriemarkt eröffnete gerade ein neues Geschäft, und ein Promoter wollte den beiden eine Tüte mit Proben mitgeben, doch Mimi bemerkte "Däss brauche merr nätt, däss hammer bei uns in Frankfurdt aach!".

Am Europacenter, wo der Royal-Palast, früher eines ihrer Lieblingskinos, stand, fand sie einen Elektromarkt vor: "Kärlle, däss iss joa zum Forddlaaafe, den hammer bei uns aaach!" Nach einem kurzen Abstecher ins Europacenter, wo Mimi zu Klattkes Leidwesen mehrmals bemerkte "Kärlle, däss hammer doch aaach bei uns uff de Zeil!" kamen sie am Breitscheidplatz an. Im Hintergrund am Zoo stand ein gerade neu errichtetes Hochhaus, wie es wohl auch hätte in Frankfurt stehen können. Da Klattke wusste, dass sich darin ein Luxushotel und einige Nobelläden befanden, schauten sie sich das Haus gar nicht erst näher an, was sollten sie dort? Immerhin stand die Gedächtniskirche noch und Klattke atmete auf. Endlich mal etwas nicht wie in Frankfurt!

Doch da kam eine Frau vorbei, die ein Schild mit der Aufschrift "JESUS LEBT" mit sich trug und Mimi entfuhr es "So oah habb isch neulisch in Frankfurdt aach gesehje!" Klattke wurde langsam wütend. Doch dann musste er daran denken, wie er vor einigen Wochen in Hamburg gewesen war und dort letzthin alles ebenso ausgesehen hatte. Und langsam wusste er auch nicht mehr, wo er eigentlich war. In Hamburg, in Frankfurt, Berlin, Köln oder sonst wo auf der Welt… Eigentlich hätten sie Lust gehabt, sich in ein Café zu setzen, doch die waren durch unzählige "Coffee-To-Goes" und Kleingebäck, welches hastig im Gehen verschlungen wurde, ersetzt worden. Eben wie "uff de Zeil in Frankfurdt", dachte sich Klattke.

Schließlich kamen sie am Kranzlereck an. Hier hatten Mimi und Klattke früher immer Eis aus einer Muschelwaffel gegessen und dann auf das bunte Kudammeck geblickt. Doch auch bei Kranzler gab es einen Laden wie in Frankfurt, das bunte Kudammeck hatte sich in einen schlichten kühlen "städtebaulich wertvollen" Komplex verwandelt, und ein Bekleidungsgeschäft betrieb dort seine Geschäfte. Mimi setzte schon an "Kärlle, den hamer aach in…", doch sie biss sich mit Blick auf Klattke auf die Zunge. "Sach nur, watte denkst Mimi, hast ja vollkommn recht!", kommentierte dieser.

Nun hatten sie genug. Sie fanden einen SB-Backshop mit Stehtischen, zogen sich jeder einen Kaffee aus dem Automaten und aßen eine angewärmte Apfeltasche. Die hatte immerhin etwas von einer Muschelform und Klattke bemerkte: "Kiek ma Mimi, wie früha die Eiswaffeln bei Kranzla."

Doch Mimi reichte es für heute. Glücklicherweise war sie nach Berlin gekommen, um ihren Jugendfreund wieder zu treffen. Denn für das, was sie gerade gesehen hatte, war Berlin keine Reise wert. Auch nicht für 15 Euro…

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Kommentare zu diesem Text

parkfüralteprofs (57)
(09.05.15)
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Sätzer (77)
(09.05.15)
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