Der Affe

Dialog zum Thema Sport

von  Dart

Schönen guten Tag bei einer neuen Ausgabe von „The amazing thrill of chess“, der Sendung über die schönen Dinge des wunderbaren Kosmos der Schachwelt. Bei uns zu Gast ist heute der Vorsitzende von einem der beiden großen nationalen Schachverbände – Herr Topf.

Guten Tag.

Herr Topf, lassen Sie uns nicht um den heißen Brei herumreden und gleich auf den Punkt kommen: Der Affe. Wie konnte es dazu kommen, dass bei der Partie um den Titel des nationalen Schachmeisters ein Affe gewinnen konnte.

Nun, alles weist daraufhin, dass der Affe betrogen hat. Und wir werden daher alles dafür tun, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Die ganze Situation ist schließlich schon lächerlich genug.

Betrug?

Ja natürlich! Wie sonst konnte es soweit kommen, dass ein Affe gewinnt? Er muss betrogen haben! Oder können Sie sich einen Affen vorstellen, der ein Schachspiel gewinnt?

Okay. Lassen Sie uns dafür einen Blick auf die Partie werfen, Herr Topf. Der Affe ist weiß. Erster Zug: Bauer auf a4.

Völlig unsinniger Zug des Affen – damit macht er ja seinen gesamten Damenflügel zu einer unhaltsamen Verteidigungsstellung und exponiert den Turm. Das kann man doch nicht so anfassen!

Weiß antwortet mit Bauer auf e5.

Klassische Eröffnung – das Zentrum wird besetzt und öffnet die Diagonale um den Turm auf der a-Linie anzugreifen.

Der Affe setzt einen Bauern auf e4.

Ja, der Affe setzt jetzt auf die Überleitung in eine offene Stellung.

Schwarz spielt Bauer auf b6.

Sehr gut! Damit wird der schwache Bauer bald auf a4 angegriffen und der weißfeldrige Läufer bekommt die Diagonale.

Weiß setzt Dame auf h5.

Jajaja, Druck auf das Zentrum und Verlagerung zum Königsflügel. Das kennen wir ja. Aber damit exponiert der Affe in gefährlicher Art und Weise seine stärkste Figur. Ein schwacher Zug.

Schwarz Springer c6.

Sehen sie? Ganz einfach den angegriffenen e-Bauern gedeckt und die Möglichkeit bekommen, weiter auf dem Damenflügel zu punkten.

Weiß spielt Läufer c4…

Ganz offenbar merkt der Affe, dass es auf der linken Seite für ihn gar nichts zu holen gibt. Also versucht er nun das Zentrum für sich zu gewinnen, in dem er alles radikal aggressiv nach rechts mobilisiert.

Ahaa…Schwarz antwortet mit Springer f6.

Sehr clever, sehr clever. Schwarz löst damit alle Probleme auf einmal, in dem es sowohl die feindliche Dame, als auch den Zentrumsbauern auf e4 angreift. Damit wird ein Einsickern in das Zentrum über den rechten Rand bereits im Kern erstickt. Sehr schöner Zug von Schwarz!

Ja...Dame schlägt den Bauern auf f7...Matt…

Hm…Das kam unerwartet.

Was heißt denn hier unerwartet, Herr Topf? Das ist ein Schäfermatt! Das bringt man Anfängern bei zu vermeiden. Wie konnte das denn passieren?!

Wie ich bereits sagte – der Affe hat betrogen.

Betrogen? Mit einem Schäfermatt?

Natürlich. Der russische Großmeister Wladimir, der sieben Bretter weiter saß, hat auffällig oft zur Partie hinübergesehen und es gibt Vermutungen darüber, dass man Handzeichen gesehen haben könnte. Ganz offenbar hatte er ein verdächtig großes Interesse an der Partie gezeigt.

Es war die Partie um den Meistertitel! Alle hatten ein großes Interesse gezeigt! Und sie sind der eigentlichen Frage ausgewichen – wie betrügt man denn bitte mit einem Schäfermatt?

Die Einzelheiten versuchen wir noch heraus zu finden. Aber sobald wir so weit sind, kann dem Affen der Titel wieder entzogen werden.

Ich glaube, dass sie das Problem überhaupt nicht verstanden haben. Für einen Schäfermatt benötigt man zwei Fehler – den des Ausführenden, es in Betracht zu ziehen und den des Nachziehenden, es überhaupt zu zulassen. Schwarz hat einfach schlecht gespielt.

Was reden sie denn da? Schwarz hat eindeutig eröffnungstheoretisch alles sehr sauber gespielt. Zentrum besetzt, Läuferdiagonalen geöffnet und Figuren entwickelt. Damit gehört doch Schwarz der eigentliche Sieg.

Wie bitte? Eine Mattsetzung ist eine Mattsetzung. Egal, wie toll entwickelt eine Stellung ist.

Sie machen es sich zu einfach, wenn sie nur die Regeln sehen wollen. Schließlich hat der Affe betrogen. Und Betrug kann in einer so ernsten Angelegenheit wie Schach nicht einfach geduldet werden.

Was den Betrug betrifft – mittlerweile hat doch sogar der von ihnen eingesetzte Untersuchungsausschuss festgestellt, dass die Faktenlage keinen Betrug nachweisbar macht.

Das zeigt nur, dass der Affe sehr clever agiert hat. Wir müssen einfach noch investigativer vorgehen.

Clever agiert? Es ist ein Affe! Und der Affe hat mit einer geradezu lächerlichen Taktik Schwarz matt gesetzt. Sollte man bei der Faktenlage nicht erst einmal prüfen, wo eigene Fehler liegen könnten?

Wir haben selbstverständlich unser Vorgehen überprüft. Das haben sie doch gerade an meiner Analyse der Partie gehört. Aber das ist doch irrelevant, wo der Affe eh geschummelt hat.

Schwarz hat sich eindeutig selbst in eine Position gebracht, in der es matt gesetzt werden konnte!

Sie.

Wer?

Schwarz! Schwarz ist eine Frau. Ist ihnen schon mal aufgefallen, dass sie die Spieler bislang nur als Schwarz und Weiß bezeichnet haben? Hinter den Farben einer Schachpartie stehen immer noch Menschen und Geschlechter!

Ich weiß, dass Schwarz von einer Frau gespielt worden ist. Was hat das mit dem Ergebnis zu tun?

Nun, offenbar ist die Schachwelt nicht bereit, eine Frau als Meisterin zu akzeptieren. Schauen sie sich doch mal die Reihe der Weltmeister an – nur Männer!

Sagten sie nicht gerade noch, die Niederlage sei wegen Betrugs durch den Affen entstanden?!

Hören sie mal, wieso greifen sie eigentlich die ganze Zeit unsere Kandidatin an? Sind sie etwa auf der Seite des Affen?

Selbstverständlich nicht! Seit der Affe zum Schachmeister erklärt worden ist, bewirft er bei jeder Partie seine Gegenüber mit den Spielfiguren, brüllt in den Spielsälen, zertrümmert die Schachbretter und beschmiert alle Anwesenden mit seinen Exkrementen. Der Affe ist eine Katastrophe! Und ich will wissen, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte!

Der Affe hat betrogen.

Woooaa!!! Ok, ok – lassen sie uns über die Vorrunden reden! Die Vorrunden, in denen bestimmt werden sollte, wer ihre Vereinigung bei der finalen Partie vertreten sollte.

Da hat sich unsere Kandidatin sehr souverän durchgesetzt, ja.

Hm…souverän…Wenn ich den Ablauf richtig in Erinnerung habe, gab es noch ein Extragremium, die NACH den Vorrunden noch einmal zu allen Kandidaten eine Expertenmeinung abgeben sollten, die zu einem Zehntel in die Wertung eingehen sollte.

Ja, um das Problem von Punktgleichheiten zu vermeiden.

Wieso haben sich dann alle Experten für ihre Kandidatin ausgesprochen? VOR den ersten Spielen? Damit ist doch ihre Kandidatin mit einem zehn-Prozent-Vorsprung ins Rennen gegangen, den alle anderen erst einmal aufholen mussten. Das war doch gegen die Regeln!

Also ich kann keinem Experten seine Meinung verbieten. Und wer hätte auch sonst die moderne Schachwelt besser vertreten können als unsere Kandidatin?

Was ist mit ihrem Gegenkandidaten? Er konnte sich auf eine sehr solide, in den Augen mancher vielleicht etwas veraltete, aber trotzdem starke Schachtheorie stützen. Und alle Prognosen hatten im Vorfeld gezeigt, dass er den Affen deutlich geschlagen hätte.

Ja hätte, hätte…Der alte Zausel hat aber in den Vorrunden nach Punkten gegen die Kandidatin verloren. Sie hat deutlich mehr Spiele gewonnen als er!

Da würde ich doch gerne mal die Vorrundenpartien von New York heranziehen.

Da hat sie zwei zu eins gewonnen, wenn ich mich recht erinnere.

Korrekt. Nur -  es wurden fünf Partien gespielt. Aber bei zweien stand nach allen Analysen der Gegenkandidat erheblich besser und der Kandidatin wurden keine echten Chancen mehr eingeräumt. Genau diese Partien wurden jedoch einfach abgebrochen und nicht gewertet. Finden sie nicht, dass das Betrug ist?

Ja, ganz recht – der Affe hat betrogen.

Auch gut, der Affe an sich – aus den Unterlagen geht hervor, dass ihre Kandidatin, kaum dass sie auch offiziell für die Partie um den Meistertitel nominiert war, intern ganz offen dafür war, dass ihr der Affe als Gegner am liebsten gewesen wäre. Und das darauf hin gearbeitet wurde, dass er es auch tatsächlich werden konnte.

Natürlich. Einen Affen als Gegner im Schach zu haben ist doch fantastisch. Da kann man ja nicht verlieren.

Ihre Kandidatin hat bereits im fünften Zug verloren!

Der Affe hat ja auch betrogen.

Das hält man ja im Kopf nicht aus! Sie stellen für einen sehr wichtigen Meistertitel mit fragwürdigen Methoden eine Kandidatin auf, deren spieltheoretische Kenntnisse selten durchdacht sind, die die Bedingungen für den Sieg einer Schachpartie gar nicht zu kennen scheint, aber durch das Glück ihres Lebens den lächerlichsten aller möglichen Gegner bekommt und trotzdem in rasender Geschwindigkeit die hinreichende Partie bereits in der Eröffnung auf geradezu katastrophale Art und Weise verliert. Und sie glauben, dass das alles die Schuld eines betrügenden Affen ist, der seither alle vernünftigen Maßstäbe der Schachwelt durch das Schmeißen seines eigenen Kots zertrümmert? Eines Affen, für dessen Teilnahme sie auch noch mitgearbeitet haben? Glauben sie denn gar nicht, wenigstens irgendeine Form der Verantwortung tragen zu müssen?!

Also selbstverständlich handeln wir verantwortungsvoll. Erstens tun wir alles, um den Affen des Betrugs zu überführen. Und zweitens - wir haben unsere Kandidatin im Nachhinein noch mal schachtheoretisch verstärkt, sodass sie bei, nächsten Turnier um die Meisterschaft gegen den Affen gewinnen kann.

Sie tritt noch mal an?!

Selbstverständlich.

Ich werde Reporter übers Halmaspielen!

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Thomas-Wiefelhaus (20.10.20)
Super Text!

- Übrigens habe ich mit 14 Jahren gegen (m)einen Psychiater gewonnen. Im Schäfermatt! (Kein Scherz!)

Kommentar geändert am 20.10.2020 um 04:22 Uhr
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram