Suicide Romantico

Text

von  qwert

Es ist das teuerste Zimmer in einem billigen Hotel. Die Wände sind vergilbt und die Vorhänge sehen auch so aus, als wären ihre besten Tage längst vergangen. Das Fenster steht offen, der müde Hauch eines Sommertages strömt ins Zimmer. Sie sitzen nebeneinander auf dem großen Bett, lauschen der Musik und trinken abwechselnd aus einer Flasche Cognac. Mittlerweile ist es Nacht geworden und die Straße hat ihre Stimme gesenkt. Auf dem Nachttisch flackert eine goldgelbe Kerze und Wachstropfen rinnen den schlanken Hals hinab.

Sie schweigen. Schweigen in die Nacht mit einem Lächeln auf den alten Lippen. In den vergangenen Jahren wurden alle Worte gesprochen und alle Gedanken gedacht.

Herz an Herz hören sie das entschlossene Schlagen in der Brust und atmen tief durch.

Ja, treuer Freund. Es ist soweit.

Seine dürre Hand greift zur Schublade des Nachttisches und zieht sie behutsam auf.

Er nimmt die kleine Dose und legt sie zwischen sich und seine Frau auf das weiße Leintuch. Lange ruhen ihre Blicke auf dem schwarzen Gegenstand.

Der Cognac neigt sich zum Ende und sie hält die Flasche gegen das fahle Licht. Die Welt wird zu Gold und ihr Mann fährt sich durch das schütternde Haar. Seine Hand zittert ein wenig und sie weiß, dass Parkinson ihn irgendwann zugrunde gerichtet hätte. Er hat heute seinen schönsten Pyjama angezogen. Es ist sein Sonntagspyjama.

Hier in diesem Zimmer fühlt sie sich, als wäre es der Tag, an dem sie sich das erste Mal vor den empörten Eltern versteckt hatten. Sie waren so wild entschlossen und so verliebt.

Damals trug sie nur Unterwäsche. Heute hat sie sich für ihr grünes Sommerkleid entschieden. Es ist wie der erste Tag. Ihr Herz klopft leidenschaftlich und er wippt mit den Füßen im Rhythmus des Liedes. Als sich ihre Blicke treffen lächelt der Mann sein altes Lächeln und nickt langsam. Er nickt einfach nur für sich, ohne eine Aussage, die der Zustimmung bedürfe.

Es ist diese Nacht, welche er benickt. Und sie nickt auch. Es ist die Nacht.

Sie sitzen noch ein wenig nebeneinander auf dem Bett und schweigen. Straßengeflüster und eine Sonate von Bach begleiten diesen Moment. Ihr Blick verliert sich in einem kitschigen Landschaftsgemälde neben der Toilettentür. Eine hölzerne Brücke auf der ein Mädchen neben einem Jungen sitzt. Sie lassen die Beine baumeln und blicken auf stilles Gewässer. Vermutlich schweigen sie und das Mädchen trägt ein grünes Sommerkleid. Schließlich wendet sie den Blick ab und klemmt die Cognacflache zwischen ihre Schenkel - ergreift die schwarze Dose.

Nach einem Kerzenflackern öffnet sie das Gefäß in ihrer Hand und hebt den Kopf.

Er schaut sie ehrfürchtig an. In seinen Augen erkennt man diese Angst vor der eigenen Entschlossenheit. Diese bittersüße Angst vor der eigenen Fähigkeit. Vor der eigenen Macht.

Es ist ein sonderbares Gefühl. Man hat die Möglichkeit, wenn man es nur genug will und man muss nicht ausharren, bis es passiert. Man kann, wenn man möchte.

Mit einem leisen Lächeln rückt der Mann näher an sie heran und bietet ihr seine Handfläche. Kleine, weiße Pillen kullern wie Tränen auf die Haut und werden alsbald von faltigen Fingern umschlossen.

Sie muss ihn wieder ansehen und soviel wie nur möglich von diesem Moment einfangen. Mit dem Blick streicht sie über die Furchen seines Gesichtes.

Mit den Jahren hat alles seinen Glanz verloren, mit den Jahren sind die Farben verblasst.

Piano forte, mein Liebling.

Er  lächelt und nimmt ihr die Dose aus der Hand. Dann tropfen die restlichen Pillen in ihren Schoß. Sie fühlt sich kühn, als sie ihrem Mann den Cognac reicht. Er spült die Pillen mit einem Schluck runter, hüstelt und gibt ihr die Flasche zurück. Die goldene Flüssigkeit schwappt unruhig in dem kalte Glas hin und her.

Der Blick des Mannes hängt an ihr und die Lippen zittern. Seine Augen sind blassblau und irgendwo in den Pupillen flackert eine erwartungsvolle Flamme.

Sie beobachtet Licht und Schatten, als sie Pille für Pille in ihren Mund steckt, als sie die Flasche ansetzt. Der Cognac schmeckt seifig und brennt sich durch den Mund. Es kostet sie an Überwindung die Flüssigkeit herunter zu schlucken. Ein paar Pillen bleiben an ihrem Gaumen kleben und verströmen sofort diesen mehlig-bitteren Geschmack. Sie bekommt eine Gänsehaut und entfernt mit der Zunge die letzten Pillenreste. Die Flasche lässt sie auf den Boden gleiten.

Das Licht der Kerze tänzelt an der Tapete, wirft Schatten und begleitet die Musik.

Der Mann rutscht langsam in das weiße Bett. Sie legt sich neben ihn und greift nach seiner Hand. Es ist eine unbekannte Stimmung und sie kann nicht einordnen, wie es sich anfühlt.

Eigentlich dachte sie alle Stimmungen zu kennen, die sie mit ihm empfinden konnte.

Der Herzschlag wird dumpfer, die Musik vibriert in der Luft. Der Mann drückt ihre Hand und sie lächelt. An der Decke hängt ein Kronleuchter und es ist eine Sonate von Bach.

Irgendwas hält sie davon ab die Augen zu schließen. Es ist wie der erste Tag.
Damals hat sie sich nicht satt sehen können an dem Mann, der nun neben ihr liegt und dessen Hand sie festhält. Gedankenbilder und Gedankenstimmen. Sie schließt. Ab und zu.

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Kommentare zu diesem Text

FINNUCANE (44)
(23.09.07)
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 qwert meinte dazu am 23.09.07:
Vielen Dank.
Irgendwie steckt mir der Text im Herzen - ich weiß auch nicht.
War nicht in melancholischer Stimmung, sondern lediglich fasziniert von dem Gedanken 'zu gehen', wenn man selbst dazu bereit ist.
Den Film kenne ich nicht - bin auch kein sonderlicher Filmfan. Aber klingt so, als würde er mir sicherlich gefallen.
Ob das nun ein Tipp deinerseits war, oder nicht ?!
Ich begreife es jedenfalls als einen.
Liebe Grüße und nochmal vielen Dank...
Pringle (27)
(03.10.07)
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