Deutsch - Pfui

Text zum Thema Feigheit

von  Lala

Deutsch Pfui

Da steht auf der Produktbeschreibung, Land der Dichter, Land der Denker, der Tüftler und der Häuslebauer. Da steht: Deutschland ist ein freies Land. Komm rein. Wer Du auch bist - gesell Dich zu uns. Sei Mensch, hier darfst Du es sein.

Man kann dieses Land nicht in der Badewanne runterdukern, um zu schauen, ob es wasserdicht sei, so als sei es eine Uhr aus  Hongkong, die mit einer solchen Fähigkeit beworben wird. Man kann es leider nicht wie ein Auto gegen die Wand semmeln, um zu schauen, wie sicher es ist. Wie also prüft man die Produktbeschreibung?

Man kann sich verkleiden und den braven Bürgern Bären aufbinden, sich wie ein Mohr anmalen und die Angst vor dem schwarzen Mann herauskitzeln, man kann dafür plädieren, Stolpersteine ins Pflaster zu legen, oder dafür, dass eine Straße nicht mehr Kinkel- sondern wieder Jüdenstraße heißt oder gar umgewidmet werden soll von Koch in Rudi Dutschke Straße. Oder gar drauf achten, welche Adresse im Briefbogen der thüringischen Fraktion der Linken lange prangte. Das ist aber alles unsportlich und entspricht auch nicht der Wahrheit. Die Menschen hier sind nicht nur unverbesserliche Nazis oder Stasis. Nein. So sind sie nicht. Denn eines ist doch klar, der Nazi, wie der furchtbarste Kommunist, die sind politisch. Die hauen auf den Putz. Und solange es noch nicht legal oder nicht mehrheitskonform ist, hauen die auch nur, wenn keiner zuguckt. Dann aber auch gerne auf den Schädel. Nein, solche Menschen, mag der normale Deutsche nicht.

Aber frage nicht nach dem Normalen. Wenn Du normal bist, weißt Du, wer es auch ist. So einfach, wie genial ist dieses Spiel. Doch darum geht es nicht. Zu ergründen ist das Wesen, zu ergründen ist der Kern des Normalen. Denn merke: welche Werte gerade hoch im Kurs stehen oder nicht, das ist nur Beiwerk, Drumherum und im schlimmsten Falle Politik.
Politik, fand schon Thomas Mann zum Kotzen. Die Politik - nicht die Normalen und er scheute die französische Art der Zivilisation. Das war und ist auch heute kein ausgeflippter Snobismus, nein, es ist normal. Denn normal ist es für den Deutschen, seine Ruhe und sein Auskommen zu haben.

Was der Deutsche nicht leiden kann, sind Fragensteller. Fragensteller können ihn zur Verzweiflung treiben. Z. B. Fragen wie: warum er denn mit Holzkohle grille, warum er nicht zur Wahl gehe, oder schlimmer noch: was er denn an der Musik oder an dem Film gut gefunden hätte bzw. warum er sie denn überhaupt höre, die Musik, wo sie doch so schlecht ist. Das nervt ihn.

Das nervt ihn in Remscheid oder  Gifhorn oder Meißen. Diskussionen kann er erst recht nicht leiden. Gleich schon gar nicht, wenn so ein Kerl, so ein Schaumschläger kommt, vielleicht auch noch mit viel Gebrüll, dann macht der Deutsche zu und die Schotten dicht. Diskussionen beinhalten ja Fragen, könnten beinhalten, dass man sich positionieren müsse. Das ist ganz schlimm. Dafür hat der Deutsche eigentlich ein Navigationsgerät. Das ist hinreichende Positionierung. Alles, was darüber hinausgeht, was über den geografischen Standort hinausgeht, ist verdächtig, denn es könnte das, was die normalen Deutschen als normal erleben, diskreditieren bzw. schlecht machen.

Und schlecht klingt ja schon fürchterlich, riecht nach falsch und unrecht und das mag der normale Deutsche nun gar nicht sein: schlecht, falsch, unrecht. Aber warum passiert es ihm dann doch immer wieder, dass er sich übertölpeln lässt von bösen Buben, argen Schergen, links wie rechts?
Weil er so gerne richtig und normal lebt und ungern darüber diskutiert, was denn richtig ist? Das wird es sein. Lieber wird ja auch der Fachmann konsultiert. Aber wer nicht selbst diskutiert, oder nur ungern, der muss sich daran orientieren, wie es die anderen Deutschen machen. Und da immer wieder normale Deutsche in den Pool der normalen Deutschen hineingeboren werden, lernt der heranwachsende normale Deutsche schnell, wie das so geht, mit dem Orientieren.
So lernt er, sich so anzuziehen wie die anderen, die Musik zu hören wie die anderen, die gleichen Bücher zu lesen und nicht zu diskutieren. Vielleicht eine gepflegte Unterhaltung führen. Aber nicht diskutieren, gar streiten. Das machen nur die Schwätzer, Politiker, Schaumschläger und Tunichtgute.

Diese Orientierung läuft nicht bildungsneutral ab. Der ungebildete normale Deutsche hat sein Milieu und schwimmt dort wie die anderen und der gebildete, normale Deutsche hat ein anderes Milieu zu dessen Folklore es gehört die Nase über die ungebildeten normalen Deutschen zu rümpfen, aber beide Fraktionen verstehen sich gut auf den Satz: „Hör auf zu diskutieren. Es bringt doch nichts.“ Oder gar: „Das ist Geschmackssache, darüber lässt sich doch nicht streiten. Ich darf doch meine Meinung haben!“

Sie machen lieber „pst“ und fühlen sich von jedem lauten Geräusch von jedem Ruf, von jedem Signal, dass anders ist, als die Gewohnten fürchterlich unter Druck gesetzt, denn es treibt sie um, dass man sich ja vielleicht dazu verhalten müsse? Ach, Du Schreck.

„Wie geht das denn? Verhalten? Wie verhalte ich mich denn? Was machen denn die Anderen? Wie verhalten die sich denn? Ach, sie machen ja nichts. Ja, dann ist ja gut, dann muss ich ja auch nichts machen.“

Lieber Konsument, der Du Deutschland benutzen willst, achte darauf, dass die U-Bahn eher leer als voll ist, denn wenn ein Ausgeflippter, Dir die Fresse poliert, dann bleiben die normalen Deutschen sitzen. Gucken weg. Delegieren schnell die Verantwortung von einem zum anderen. Warum?

„Wieso? Mein Nachbar hat doch auch nix gesagt?“

Der normale Deutsche geht davon aus, dass alles schon seine Richtigkeit hat. Denn so hat er sich orientiert, so ist er erzogen worden: „Geh halt raus und sei wie die Anderen. Fall bloß nicht auf und streite dich ja nicht.“

Weshalb es hier auch Nachbarschaftsklagen hagelt. Wer kann es schon vor seiner Haustür ertragen, wenn jemand offensichtlich oder nur ein bisserl anders lebt und die stumme Orientierung nach den Anderen nicht mehr reicht bzw. man in Gefahr läuft, sich nur noch nach sich selbst richten zu können. Sich selbst zu richten? Nein! Da muss ein Richter her, um ein für alle Mal zu klären wer hier im Recht und wer im Unrecht ist. Das ist keine Diskussion, das ist ein überlebensnotwendiges shoot out. Natürlich zivilisiert und vor Gericht.

Ja, so sind sie, die Normalen hier. Sie orientieren sich. Sagen das was die Anderen sagen, und nennen es Höflichkeit. „Wenn jetzt immer mehr solche Hemden tragen, dann trage ich die halt auch, aber da denke ich mir nix bei und das ist auch nicht böse gemeint. Ist ja nur ein Hemd. Noch nicht mal ‚ne Fahne.“

Das geht im kleinen wie im Großen. Sagen sie mal einem normalen, gebildeten Deutschen ob Goethe, Mann oder Tucholsky, dass die mehr Murks als Gutes fabriziert haben. Sie werden erschlagen mit Argumenten wie großartig die Künstler und die Menschen gewesen seien und jeder Schnipsel, jedes Wort, jeder Rülpser zu Tisch sei von überragender Bedeutung. Überragender Bedeutung? Na klar. Ist doch logisch. Weshalb auch jetzt die Regale leergekauft werden, wenn da ein Buchrücken mit Müller verziert ist. Die großen Gestalten und Künstler der deutschen Geschichte, die wo sich jetzt wirklich alle einig sind, und die Abstimmung, die beim ZDF das auch gesagt hat, dass die gut waren, und bei Tucholsky war man sich schon vor 1933 auch nicht so einig, die sind für die gebildeten normalen Deutschen wie Nachbarn.

Das passende Zitat, dem Schnipsel, vom guten Deutschen im Mund und den Kanon guter deutscher Literatur zur Hand, lässt es sich auch in Literaturlatrinen wie dieser hier, gut leben. Natürlich ohne eine eigene Meinung.

Ja, Dieter Nuhr, Sie haben wahrscheinlich gar nicht gewusst, wie viele normale Deutsche aufgeatmet haben, als sie den Schwätzern wie mir die Rote Karte mit: Einfach mal die Fresse halten, zeigten nur leider vergaßen Sie, dass Sie in einem Land leben, wo, wie Herr Pispers schon richtig bemerkte, die Streitkultur derartig hoch entwickelt ist, dass bei fast jeder Abstimmung über ein Amt nur ein Kandidat zur Wahl steht. Was natürlich jeder Wahl Hohn spricht. Aber ansonsten droht der Untergang des Abendlandes, wenn ein Gegenkandidat auf einmal auf dem Plan steht. Oskar Lafontaine hat die Herzen seiner damaligen Genossen erobert und ließ sich zum Gegenkandidaten zwangsweise küren, worauf der Kandidat zurückzog. Merke: Diskutiere nicht in diesem Land, sondern: Erobere die Herzen. Das sind die Deutschen empfindlich. Sie wollen berührt werden, die normalen Deutschen. Nicht überzeugt. Übermannt vom Gefühl. Auch verständlich, wenn man so ständig unter der Kontrolle seiner Nachbarn lebt, dass man mal berührt werden will. Dass man seine Seele spüren will. Und jetzt ist klar warum die normalen Deutschen immer wieder auf die bösen Buben, die argen Schergen reinfallen, was sie leider keine Meinung haben, weil sie ständig Orientierung brauchen, weil sie alleine nicht in der Lage sind, gut, falsch, richtig, besser, für ’n Arsch zu sagen, weil sie immer einen brauchen, der für sie das übernimmt, weil sie so verhaltensauffällig und deformiert sind, dass sie es sich nicht mehr getrauen verhaltensauffällig zu werden. Scheißvolk. Land der Dichter und Denker? Ja, so toll wie das verächtliche Lachen über ausländische Produktversprechungen. Scheiß normales Volk, das.


Anmerkung von Lala:

Gewidmet: Lehrern in Deutschland und dem kleinen Volk.

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Kommentare zu diesem Text

fdöobsah (54)
(09.12.09)
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wortverdreher (36) meinte dazu am 11.12.09:
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fdöobsah (54) antwortete darauf am 11.12.09:
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 Lala schrieb daraufhin am 14.12.09:
Hallo fdöobsah,

es scheint, dass ich bei Dir einen Nerv getroffen habe. Jedenfalls bin ich fasziniert, dass Du dem Text anscheinend alle Attribute zuorndnen konntest. Mit der Rechtschutzversicherung. tja, das wäre wirklich ein Knaller gewesen. Aber immerhin konnte so

@wortverdreher,

ein Irrtum aus der Welt geschafft werden. Danke dafür, auch wenn ich nicht der Urheber bin. Und natürlich, wortverdreher, verallgemeinere ich. Würde ich das nicht tun, würde ich wohl die Festplatte auf dem kV Server vollschreiben müssen, um wirklich allen und allem gerecht zu werden. Es ging mir aber um Zuspitzung und darum, dass mir der Text Hong Kong - Pfui von Stimulanzia im Halse stecken geblieben war bzw. die mir arg dümmlichen und in meinen Augen chauvinistischnen Komms trieben mich zu dieser Antwort. Wenn nun, wie die selbst sagst, mache Verallgemeinerungen zutreffen, so ist mir das Bestätigung, interessanter sind natürlich die Irrtümer, die Fehleinschätzungen.

Gruß Lala
DerPrediger (40)
(12.12.09)
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 Lala äußerte darauf am 14.12.09:
Hallo DerPrediger,

natürlich gelten manche Beobachtungen oder bösartige Unterstellungen auch für andere Nationen resp. Nachbarn. Aber darum ging es mir ja, dass ich dieses Schielen nach den Anderen für mehr als ärgerlich und feige halte mindestens für konfliktscheu. Also ich würde lieber in Deutschland bei dieser Diskussion bleiben wollen, als wieder mit : die anderen sind genauso.

Zum Zweiten sehe ich natürlich auch, dass es (- hoffentlich erwischt mich nicht die müller-polizei wenn ich dass mit ss schreibe -) getreu der maslowschen Bedürfnispyramide zunächst einmal um die Befriedigung elementarer Bedürfnisse - Essen, Schlafen, Dach über dem Kopf geht.
Diese Wünsche erfülle ich mir am Einfachsten durch bezahlte Arbeit. Meinung, Deinung, Seinung - spielt vorerst keine Rolle.
Aber dann geht es ja weiter und am Ende steht die Selbstverwirklichung. Die Frage, die ich mir gerade stelle ist, ob die Spitze - Selbstverwirklichung - tatsächlich Ziel eines Menschen ist oder nicht eher die Befriedigung seiner sozialen Bedürfnisse - Lebenspartner, Kinder, Anerkennung in der Gemeinschaft. Und das die Erfüllung dieser Bedürfnisse durch das Schwimmen auf der Welle der Mehrheitsvernunft, wie Du es ausgedrückt hast, und das eher egoistische oder egoistisch anmutende Ziel sich selber zu verwirklichen, sich gegenseitig ausschließen?

Auf meinen Text bezogen: wenn ich mich anfange selbser zu verwirklichen, weil ich mein haus grün streiche, verliere ich wohlmöglich Anerkennung. Wenn aber das Erreichen der sozialen Anerkennung die Vorstufe der Selbstverwirklichung ist, dann hänge ich plötzlich in der Luft und krache herunter.

Ob die Arbeitslosigkeit unser preußisch-lutheranisches Weltbild - und das will ich nicht so nolens-volens den Bayern unterstellen - aufweicht, glaube ich nicht. Schlimmer scheint mir die allgemeine Korruption im Denken zu sein. Wie oft lasse ich fünfe gerade sein? Nehme mich selbst nicht aus. Diese "Großzügigkeit im Kleinen" oder in der Mittelmäßigkeit bekommt dann für mich bei der Gier von z.B. Investmentbankern gigantische Ausmaße. obwohl ich behaupte, dass die nicht korrupter sind als ich. Nur die Ausmaße, die Wirkung ist ungleich größer.

Danke für die Beschäftigung mit dem Text.

Gruß

Lala
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