Club der literarischen Figuren

Gedanke zum Thema Literatur

von  bluedotexec

Isja zog den schweren schwarzen Stuhl mit der hohen Lehne vom Massivholzesstisch ab und ließ sich darauf nieder. Andrej tat es ihm gleich, nicht jedoch, ohne vorher seine Pistolentasche auf korrekten Sitz zu überprüfen. Artemis, der die ganze Prozedur stehend verfolgte, wie es sich für einen Gastgeber gehörte, rückte schweigend und mit süffisant hochgezogener Augenbraue seine Krawatte zurecht. Die Tür des großen Speisesaals des Anwesens knarrte leise, als Merle die restlichen Gäste einließ, Roderick, Maxim und Tyler.
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis alle Gäste sich am Tisch nieder gelassen hatten.
"Meine sehr verehrte Dame," er warf Merle einen Blick zu, "und die werten Herren. Ich freue mich, Sie auf Fowl Manor begrüßen zu dürfen. Bedauerlicherweise hatten wir bisher keine Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch, und das, wo wir doch in beruflicher Hinsicht so dicht zusammen arbeiten, dass Kontaktknüpfungen unvermeidlich sein sollten."
Andrej hustete trocken.
"Herr Voronin, ist alles in Ordnung?"
"Sie reden mit uns, als seien wir Geschäftsmänner. Politiker oder sowas."
Tyler fiel ihm ins Wort: "Sind wir aber nicht!"
Isja kicherte. "Der Komsomolze hat recht. Wir sind hier doch nicht auf einer Kundgebung. Überhaupt - sollte nicht längst das Essen aufgetischt sein?"
Er kratzte sich an seiner Warze.
"Entspannt euch doch." versuchte Merle mit leiser Stimme zu beschwichtigen.
"Wir dem auch sei," sagte Artemis trocken und mit dem ihm eigenen Anflug von Kälte in der Stimme, "Ich denke, wir sollten beginnen."
Eine Seitentür öffnete sich, und einige Bedienstete, die eigens für dieses Festessen bestellt wurden, trugen auf. Geflügel- und Schweinefleisch, Schüsseln mit Kartoffeln und Sauerkraut, Reis und Currysaucen standen schließlich direkt neben Kaviar, teurem Chardonnay-Käse und Haggis, auf der anderen Seite wiederum Tamagoyaki, Sushi und tausendjährige Eier. Ein Truthahn zierte die eine Seite des Tisches, in der Mitte stand eine riesige Pavlova.
"Junge, Artemis. Da, wo ich gerade her komme, musstest du drei Tage mit der Schanuze im Dreck herumliegen, um genug Geld für'n paar Äpfel und ein Bier zu haben." Sagte Roderick trocken, während er sich eine Keule vom Truthahn abschnitt.
"Red," sagte Isja, "wo du her kommst, kannst du froh sein, wenn der Apfel nicht mit dir redet."
"Ihr habt beide keine Ahnung," meinte Merle mit leiser Stimme. "Flieg' du mal dreitausend Kilometer auf einem Obsidianlöwen. Ich wüsste gern, ob es dir das zynische Grinsen aus dem Gesicht blasen würde."
Isja streckte die verkrüppelte Hand nach der Currysauce aus und tauchte ein Stück Schweinenacken hinein.
"Obsidian, hm? Andrej, wann hast du das letzte Mal Obsidian gesehen?"
Tyler, der die Beine in einer fast rüpelhaften Geste übereinander geschlagen hatte und die Sohle des linken Schuhs am Tisch abstützte, lachte kurz und trocken auf. "Scheiße, Mann, Obsidian. Eure Welt ist aus Beton und Glas, und ihr sehnt euch nach noch mehr Stein."
"Tyler - Contenance." meinte Maxim, der zum ersten mal an dem Abend den Mund öffnete. "Außerdem - nicht jede Welt ist aus Glas und Beton."
Tyler lachte noch einmal, diesmal lauter. "Na und? Dann ist unser Stahlbeton eben dein Rost. Was bei uns die Zeitungsfetzen sind, die durch die Luft wehen, sind bei euch Strahlung und Eisenspäne. Was ändert das?"
"Mr. Durden - Tyler -, Ihr Nihilismus ist hier fehl am Platz."
"Mein Nihilismus? Verdammt. Du sprichst wie einer der Großen, Artemis."
Artemis lächelte spitz wie ein Vampir.
"Die Großen sind alle untergegangen. Und Sie sitzen an meinem Tisch."
Tyler überlegte nur einen Moment.
"Genau das meine ich. Dein Tisch. Deine Pavlova, deine Stühle, und doch parke ich meinen Arsch darauf."
Währenddessen öffnete Isja eine Flasche Rotwein und roch daran. Seine Miene ließ verlauten, dass der Wein für gut genug befunden wurde. Er goss Andrej, Maxim, Roderick und sich selbst großzügig ein und stellte die Flasche wieder hin.
Andrej griff nach der Flasche, hob sie und fragte laut:
"Noch jemand?"
Tyler, der rechts neben ihm saß, nahm ihm die Flasche aus der Hand, noch ehe Andrej den Satz beendet hatte, setzte sie an und trank sie in einem Zug leer.
Die nächste Stunde verlief heiter. Andrej und Maxim unterhielten sich angeregt über den Untergang von Kulturen, während Merle und Artemis sich über Magie austauschten. Artemis vergaß im Gespräch sogar seine herablassende Blasiertheit. Tyler, der inzwischen die zweite Flasche angesetzt hatte, diskutierte mit Roderick über die Gesellschaft und die Auswirkungen von Unvorhersehbarem darauf, während Isja immer wieder Kommentare einwarf.
"Ich meine, sie benutzen die Dinger schon als Energiequelle. Keiner weiß, wie sie arbeiten. Kirill hätte es herausgefunden, da bin ich sicher... auf Kirill!" sagte Roderick und hob das Glas, dann trank er es aus.
Tyler lehnte sich noch ein Stück weiter zurück.
"Red - so sind die Menschen. Sie nehmen, was sie kriegen können, und es ist ihnen egal, für wen oder was sie es tun. Die Frage, die sie sich stellen, ist nie 'kann es mir schaden?' sondern immer 'wie kann ich es nutzen?'. Nun, vordergründig behaupten sie immer, es sei anders herum. Aber das stimmt nicht."
"Du sagst also, die Menschen richten sich mit ihrer eigenen Neugier zugrunde?" Isja kicherte erneut. "Herr Durden, verfolgen Sie den Gedanken."

"Jedenfalls ist es im Wasser." Sagte Merle ruhig und bestimmt.
"Ich habe die Erfahrung machen müssen, dass sie eher irdischer Natur ist. Im herkömmlichen Sinn." Fügte Artemis hinzu, als Maxim sich umdrehte. Das Wort "irdisch" machte ihn immer hellhörig.
"Nun, du meinst also, Meister Arcimboldo hätte Spiegel auch aus Sand machen können?"
Artemis lächelte. "Merle - wir machen Spiegel immer aus Sand."
"Seltsam."

"Und du bist dir sicher, dass sie den Krieg nicht wieder aufnehmen?" Fragte Andrej.
"Ziemlich. Der Planet untersteht der Beobachtung durch die Freie Suche." Meinte Maxim schmatzend.
"Wissen die Bewohner davon?"
"Natürlich nicht. Würdest du dich natürlich verhalten, wenn du wüsstest, dass du beobachtet wirst?"
Andrej lächelte.
"Erzähl' mir nichts davon, Maxim, ich kenne das Gefühl."
"Ach, Andrjuscha. Auf Experimente!"
"Ja. Auf Experimente."

"Sag mal, Tyler," sagte Roderick, "Dieser Typ, mit dem du unterwegs warst, ich vergesse seinen Namen immer - wie geht es dem eigentlich?"
Tylers Miene verfinsterte sich. "Wir hängen nicht mehr zusammen 'rum. Mehr will ich dazu nicht sagen."
"Na schön," meinte Roderick stirnrunzelnd.

Gegen halb Zwölf in der Nacht erhob sich Artemis wieder von seinem Platz am Kopf der Tafel. Inzwischen waren die Speisen abgeräumt und hatten verschiedenen Flaschen Platz gemacht.
"So, meine Herrschaften. Ich möchte mich herzlich für Ihr Kommen bedanken. Die Angestellten des Hauses werden Sie auf Ihre Zimmer begleiten, falls Ihnen der Sinn nach ein wenig Schlaf steht. Es steht Ihnen selbstredend frei, den Saal weiter für Ihre Gespräche zu nutzen. Butler wird Ihnen ein Feuer im Kamin entfachen. Ich jedoch werde das Bett aufsuchen."
Bevor er sein Schlafzimmer aufsuchte, ging er noch in die Küche und füllte eine kleine Karaffe mit irischem Quellwasser und gab sie Merle.

Andrej, Isja und Tyler waren weit nach zwei Uhr mit ihrem Trinkspiel fertig und verschwanden auf ihre Zimmer, Merle war zeitgleich mit Artemis schlafen gegangen. Nur Maxim und Roderick saßen noch in den beiden großen Sesseln vor dem Kamin. Roderick saß noch immer der Schreck in den Knochen, den ihm Butler eingejagt hatte.
"So, du sagst, du kommst viel herum?" Fragte er Maxim.
"Ich weiß, was du wissen willst." Sagte der leise, und das Feuer spiegelte sich in seinen Augen wider.
"Was will ich denn wissen?"
"Ich bin nicht in die Richtung geflogen."
"Und du kennst auch niemanden, der weiß, wo sie her gekommen sind?"
"Na ja, ihr wisst doch, wo sie her kamen." Widersprach Maxim. "Sternbild Deneb, du weißt doch."
"Ja. Aber ich will wissen, wer sie sind, was sie sind, und viel wichtiger, was wollten sie auf der Erde, oder warum sind sie gegangen?"
Maxim schwieg.
"Vielleicht sind sie lange genug geblieben, um die oberste Regel der Nichteinmischung zu lernen." Meinte er dann.
"Was meinst du?"
"Deswegen mischt sich die Freie Suche so selten in fremde Kulturen ein. Ich musste das auch erst lernen. Manche Dinge sind wie Öl und Wasser, du kannst sie nicht vermischen, nicht vereinen."


Anmerkung von bluedotexec:

Im Prinzip recht stumpf, das gebe ich zu.
Bei Bedarf hierzu:
"Das Experiment", Arkadi und Boris Strugatzki
"Die bewohnte Insel", Arkadi und Boris Strugatzki
"Picknick am Wegesrand", Arkadi und Boris Strugatzki
"Die fließende Königin, das steinerne Licht, das gläserne Wort", Kai Meyer
"Artemis Fowl", Eoin Colfer
"Fight Club", Chuck Palahniuk

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