Sekundenbruchteile [wirken sich wie Splitterbomben auf Herzen aus]

Text zum Thema Ausweglosigkeit/ Dilemma

von  ZornDerFinsternis

Dein Blick schweift in die Ferne, während du dir die nächste Zigarette in den Mund steckst, anzündest und hastig an ihr ziehst. Der Himmel ist trist. Und der Sommer längst vorbeigerauscht.
Der Dreitagebart steht dir gut, weißt du?
Und ich schaue stumm zu, wie der Wind deine langen Haare umspielt. Dein Kinn kitzelt.
Du verziehst keine Miene. Schweigst Löcher in den Dunst.
Diese Momente haben uns immer etwas Besonderes gegeben. Auch, wenn da keine Worte waren, die wir uns mitteilten.
Keine offensichtlichen Gefühle, die wir teilten. Da war bloß diese tiefe, seelische Verbundenheit.
Man brauchte nicht mal genauer hinsehen, um den Schmerz, den die Jahre hinterlassen haben mussten, an dir zu erkennen. Das blasse Himmelblau deiner Augen war mehr als ein offenes Buch. Eine unendliche Geschichte.
Wir brauchten keine Worte, um zu wissen, was im anderen vorging. Wonach seine Seele verlangte.
Brauchten niemanden, der uns wachrütteln kam - es gab niemanden, außer uns.
Du hast aufgeraucht und schon die nächste im Hals. Drehst dich zu mir rüber und hältst mir die geöffnete Schachtel hin. Ich fische mir eine der letzten drei Kippen heraus, lächle. Leicht, aber, wenn man genau hinschaut, erkennt man ein winziges, schmerzliches Lächeln.
Du drehst dich zur Seite, mit dem Anflug eines leichten Nickens. Mit der linken Hand fährst du durch dein Haar, mit dem der Wind so gerne spielt.
Narben blitzen unter dem schwarzen Hemdärmel hervor. Schon verblichen. Und irgendein schlechter Tattoowierer hat sich im Suff an einem Totenschädel versucht.
Naja, wie sagtest du immer "Man lernt aus seinen Fehlern."?
Mag sein. Aber heute steht die Zeit. Ist festgefahren und jeder Sekundenbruchteil schmerzt. Zerreißt mich innerlich und zerfetzt mein Herz, wie die Druckwelle eines Bombenanschlags.
Ich kann es dir nicht verübeln. Und doch, tue ich es.
Warst mir so nah, auch, wenn du niemals Nähe zugelassen hast.
In all den Jahren, kann ich mich kaum daran entsinnen, dass wir uns einmal in den Armen gelgen hätten.
Dabei warst du so viel für mich. Mehr, als ein guter Kumpel. Mehr, als jede Beziehung hätte geben können.
Selenverwandt? Hmm... wahrscheinlich zu abgehoben und kitschig. Irgendwas, in der Mitte davon. Von Familie und so.
Drei einhalb Jahre liegt dieser Abend zurück. Dazwischen, viel Whisky und unzählige Biere und Kippen.
Manche Aufenthalte in irgendeiner Klinik, wegen Depressions-Wirrwarr und dem angeblichen Problem, dass ich mit dem Alkohol hätte.
Ich habe kein Problem mit Alkohol. Ich kann gut und viel davon vertragen. Und am Ende, habe ich immer das bekommen, was ich wollte. Einen klaren Kopf. Zumindest, hat irgendwer den Schalter für meine scheiss Vergangenheit und die Erinnerung, umgelegt. Und diese Schwärze, die sich dreht und windet, und nichts hinterlässt, außer Leere und Benommenheit, ist einfach genial.
In nüchternem Zustand, kann ich mir gleich die Kugel geben. Zu viele Bilder. Von Menschen, die in mein Leben traten. Einzig, um es weiter in die letzte, zugekotzte Gosse zu zerren.
Und ich flüchte mich gerne in den Alkohol, seitdem du gingst. Die Straßenlaternen bieten mir keinen Trost mehr, wenn deine Kerze im Fenster erlischt.
Jetzt sitze ich hier, auf deinem Platz. Auf dem viel zu kleinen, abgewetzten Balkon. Irgendwo, im 9. Stock.
Kriege nichts mehr mit. Die randallierenden, pöbelnden Nachbarn können sich zum Teufel scheren.
Nur der Verlust von dir ist allgegenwärtig und schmerzt mit jedem Tag.
Heute, regnet es. Und ich befürchte, die Blumen, die ich letzte Woche an dein Grab gebracht habe, wird es wohl langsam dahingerafft haben.
Stecke mir die nächste Zigarette an. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Einzelne Laternen flackern auf. Die Stadt strahlt unmenschlich hell und fröhlich aus der Ferne zu mir hoch. Die Sterne sind noch nicht an ihrem Platz angekommen. Ich auch nicht.
Ich stehe auf. Leere die Flasche Whisky. Nehme die letzten Züge. Irgendwie, intensiver als sonst. Schließe die Balkontür hinter mir. Und ich wühle den kleinen Fetzen Papier aus meiner rechten Jackentasche hervor. Beuge mich nach unten, hebe den Stuhl an und klemme den Zettel zwischen Stuhlbein und Beton fest.
Streiche die Haare aus meinem Gesicht. Drücke ein letztes Mal die Glut der Zigarette in mein Fleisch und spüre dieses genugtuende Kribbeln, durch meinen Körper fließen. Und ich schließe die Augen, schaue nicht zurück. Bin in meinem letzten Gedanken bei dir. Steige über das Geländer und breite die Arme im Fall erleichtert aus.
"Ich hab' dich viel zu lange vermisst."

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Kommentare zu diesem Text

EliasRafael (50)
(31.08.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 AZU20 meinte dazu am 01.09.10:
Schließe mich an. LG

 ZornDerFinsternis antwortete darauf am 01.09.10:
Dankeschön :)
Aber heeey, das sehe ich nicht als wirkliche Kritik an, es ist ein netter, gut gemeinter Stubbser, um in die richtige Richtung zu kommen. Früher oder später... :)
Freut mich sehr, dass immer so liebe Hinweise zurückgelassen werden :)
Ich habe noch einiges an Jahren vor mir, um vllt. irgendwann einmal, auch nur gaaaaaanz evtl., mit euch aufzuschließen. Und bis dahin ist es steinig, und wunderbar erfahrene Künstler hinter sich zu haben, die einlenken :D
Dankeschön euch beiden :]

LG, Anni

 Dieter Wal (01.09.10)
Ausnahmsweise bezieht sich dieser Kommentar überhaupt nicht auf den Text und seine Sprache, sondern auf den Inhalt.


Warum sollte, wem es danach ist, nicht über Suizidgedanken schreiben? Erhält ein Autor, der solche autobiografischen Texte postet, auf diese Weise größere Anteilnahme? Ich weiß es nicht. Möglicherweise. Spreche mit Freunden über dich und deine Probleme, obwohl ich dir als Mensch nie begegnet bin. Möchte gern verhindern, dass du eines Tages wirklich Suizid begehst. Du machst mir und anderen damit Sorgen. Das ist in Ordnung. Daher freue ich mich umso mehr, wenn ich von dir höre, dass in deinem ganz realen Leben nicht alles so gewitterschwül und grauschwarz drohend aussieht, wie das deine Texte, die viel zu oft von Suizid handeln, andeuten! Sensible Menschen wie dich benötigt unsere Gesellschaft. Und ich möchte dich eines Tages auch einmal wirklich in den Arm nehmen. Lieber lebendig! :)
(Kommentar korrigiert am 01.09.2010)

 ZornDerFinsternis schrieb daraufhin am 01.09.10:
Dieter..., du bringst mich immer wieder zum Heulen :)
Es ist nicht die Anteilnahme, die ich haben möchte, bzw, die ich mir wünsche. Zumindest, wünsche ich sie mir nicht für mich selbst. Ich wünsche, dass die Gesellschaft sensibler und verständnissvoller miteinander umgeht, bzw, umgehen kann. Auch, wenn das wahrscheinlich ein infantiles und sehr naives Denken ist, eine ziemliche Utopie, aber, es würde mir schon die Welt bedeuten, könnten wir uns alle ein wenig mehr für die Menschen neben uns interessieren. Bemerken, wenn es dem anderen schlecht geht und nicht einfach mit unserer Scheissegaleinstellung an den Problemen vorbeirennen.
Es ist mein großer Wunsch, irgendwann einmal das Einfühlungsvermögen der Mitmenschen und vllt. auch deren Verständnis zu treffen. Jemandem zu helfen.
Irgendwie sowas... auch, wenn mir das sicher nie gelingen wird. Der Gedanke daran, ist schon schön. Zumindest für den Augenblick, hilft er mir.
Lass dich drücken, Dieter :)

Anni
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