Teil 08

Roman

von  AnastasiaCeléste

Die nächsten Tage lagen in einem trüben Grau. Asher hasste dieses Wetter. Hätte Ave nicht gewusst, dass er anwesend ist, er hätte oftmals schwören können, allein zu sein. Der Jüngere verschwand oft stundenlang in sein Zimmer und flüchtete sich in seine Bücherwelt. Ave hatte diese Leidenschaft nie verstanden. Aber vielleicht war dieses Unverständnis auch nur das Resultat unterbewussten Neids. Neid darauf, dass Asher es noch schaffte, sich einer so einfachen Sache hingeben zu können, gelöst von allem. Fern von Zeit und Raum. Weit weg von allem Schlechten.
Der Wolken verhangene Himmel spendete der ebenso tristen Stadt unter sich kaum Licht. Das Leben krauchte in ihr dahin, bröckelte an vielen Stellen. Man konnte die Augen gerade an Tagen wie diesen nicht mehr davor verschließen - die Stadt litt, sie litt an einem bösartigen Tumor, der an dem kranken Leben zerrte, dass sie bevölkerte.
Und Ave jagte durch ihre Venen um neuen Platz zu schaffen für dieses krebsartige Geschwür, dem er half neue Zellen zu bilden und Schwache zu zerstören, zu übernehmen.
Er wurde von Corvin getrieben, mit immer neuen Ausmaßen an Wahnsinn. Und wieder und wieder legte er sein Leben die letzten Tage in die Hände seines Schicksals und in das Vertrauen in sich selbst.
Bei einer schweren Schießerei vor zwei Tagen kam er mit einem Streifschuss am Arm davon. Die physische Wunde, war nur eine Art Begleiterscheinung, ein Berufsrisiko. Sie würde nur zu einer weiteren Narbe in seiner Sammlung werden.
Die psychische Wunde, die diese Kugel jedoch geschlagen hat, war größer. Sie ging mit einem hallenden Aufschrei durch seinen Körper und verblieb mit einem unerbittlichen Hämmern in seinem Kopf zurück, dass ihn erinnerte, was er aufs Spiel setze. Sie holte ihn ruckartig in die Realität zurück, die er gern während seinen Aufträgen ausblendete.
Die letzte Verletzung lag schon eine ganze Weile zurück. Es war also mal wieder höchste Zeit für einen Dämpfer, der ihn auf die echte Gefahr stieß, der er ausgesetzt war.
Ave verhielt sich ruhig seit diesem Vorfall. Er ließ Asher mit seiner fast schon mütterlichen Sorge gewähren. Schon allein das war ein Zeichen dafür, dass Ave sehr mit sich selbst und seinen Gedanken beschäftigt war. Normalerweise, hätten Ashers ewige Moralpredigten in hitzigen Streits zwischen den Brüdern geendet.
Diese seltene Atmosphäre führte die Brüder an diesem Abend in eine kleine Bar in der Nähe. Asher konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal mit seinem großen Bruder unterwegs war. Er genoss diese Zeit mit jeder Faser. Seine Sorge um Ave, war das Resultat einer tiefen Verlustangst. Nach dem Tod der Eltern, war Ave das letzte Stück Familie, dass ihm auf dieser Welt geblieben war. Um so schlimmer diese Familie jeden Tag unter Beschuss zu wissen.
Ave wirkte an diesem Abend nach einigen Drinks wirklich entspannt. Er hatte sich vorgenommen, alles auszublenden. Während draußen der Regen vom schwarzen Himmel prasselte, scharrten sich einige Bekannte um die Geschwister und verhalfen zu einer ausgelassenen Stimmung. Die schummrige kleine Kneipe mit ihrem rustikalen Innenleben war ein kleiner, eigener Mikrokosmos in der großen Stadt. Außer Reichweite von Corvins Interessen. Das Treiben hier hatte etwas vollkommen Normales. Die Waffen, die so ziemlich jeder bei sich trug wurden unsichtbar. Das ständige Kribbeln im Nacken schwand zu einem kaum merkbaren Kitzeln.
Ausgelassen plauderte die Gruppe. Es wurde geschwätzt über Frauen und Liebeleien. Über Erlebnisse der früheren Zeit. Man scherzte, man lachte, man erzählte Geschichten, durchtränkt von Bier und Schnaps.
Der Barmann, trocknete hinter seiner Theke die frisch gespülten Gläser und fing mal hier und mal dort ein Gesprächsfetzen auf, froh nichts Beunruhigendes mitzubekommen. Er war ein zufriedener Mann, der sich aus allem raus hielt und sich stets soweit duckte, dass er nicht auffiel. Als ihm Ave ein Zeichen für die nächste Runde gab, warf er sein klatschnasses Handtuch über die Schulter, füllte die Gläser und lieferte sie aus. Das Alltagsleben war hier vollkommen vergessen.
Erst weit nach Mitternacht löste sich die kleine Gruppe um Ave und Asher auf. Als sie hinaustraten, waren die Brüder erleichtert, denn der Regen hatte sich samt Wolken verzogen und gab dem Mondlicht den Weg auf die Erde frei. Sie waren angesteckt von guter Laune und leicht angeheitert. Eine gute Entscheidung den Chevy zu Haus zu lassen, obwohl es heute niemanden mehr interessierte, in welchem Zustand man am Steuer saß. Der Weg zu ihrer Wohnung dauerte höchstens fünfzehn Minuten zu Fuß und die klare Luft konnte nach Stunden im Zigarettendunst nicht schaden.
Ave ließ sich Zeit auf dem Weg und Asher beobachtete eine merkwürdige Ruhe an seinem Bruder. Als hätte dieser etwas von sich abgestreift, dass ihn sonst schwer auf den Schultern lag. Ave musste plötzlich lächeln
„Was ist?“ wollte Asher wissen und war ziemlich verwirrt. „Wie lange willst du mich noch so mustern, hm?“ fragte Ave zurück, ohne dass er dabei genervt schien. Asher fühlte sich ertappt. Er lachte: „Keine Ahnung. Dich so gelassen zu sehen, ist ein seltener Anblick. Dieses Bild muss ich mir eben gut einprägen. Was dagegen?“ „Mach doch ein Foto“, schlug Ave scherzhaft vor und boxte Asher freundschaftlich in die Seite, wie er es immer getan hatte, als die beiden noch im Teenie Alter waren.
Die Nacht war ausgesprochen still. Hin und wieder hörte man dass Röhren eines entfernten Motors. Die Straßen waren menschenleer zu dieser frühen Stunde und das silberne Mondlicht glänze auf dem nassen Asphalt. Die Brüder zogen endlos lange Schatten hinter sich her - Ihre einzigen Begleiter.
Ave warf einen gedankenvollen Blick zum Mond. Er mochte diesen unendlich weit entfernten Erdtrabanten. Er war sein stiller Begleiter in so vielen rotgetränkten Nächten, der ihn immer wieder mit seinem kühlen, starren Licht nach Hause führte. In Gedanken versunken zog er seine Zigaretten hervor und mit einem metallischen Geräusch schlug sein Zippo, dass ihm dabei aus der Manteltasche fiel, auf dem harten Boden auf. Laut fluchend über dieses Missgeschick, ging Ave in die Hocke um es aufzuheben. Doch sein Ärger über hässliche Kratzer an seinem geliebten Feuerzeug wichen einem skeptischen Innehalten.
Asher schaute nervös über seine Schulter. „Ave? Was ist los?“ Ave hob die Hand, in der er sein Zippo hielt, das mit einem roten Schleier überzogen war, ebenso wie seine Finger.
„Scheiße, deine Wunde…“, „Nein, nein das ist nicht mein Blut“, beruhigte er seinen Bruder.
Er wischte die rote Flüssigkeit von dem kalten Metall und steckte es wieder ein, bevor sein Blick über den Asphalt wanderte. Eine dunkle Spur, die in dem pfahlen Licht eher schwarz aussah, zog sich vor ihnen über die Straße. Sofort stand er wieder unter Strom. Er scannte mit allen Sinnen die Umgebung und suchte das Gewicht der Waffen unter seinem Mantel. Ave stand auf. Er folgte dem Wirrwarr aus Flecken und Schleifspuren ein paar Schritte, dicht gefolgt von Asher, als sein Blick endlich das Ende dieser Spur erreichte.

Leicht versteckt zwischen Abfalltüten und hinter einigen Müllcontainern lag, in einer unnatürlichen Haltung, der geschundene und leblose Körper einer jungen Frau. Ihre Haut strahlte schneeweiß und nass unter dem Blut hervor, dass sie einhüllte. Sie trug nichts weiter als eine Art dunkles Negligee, das an einigen Stellen zerrissen war und sich durch den Regen nahezu transparent und eng an ihren zarten Leib presste.
Asher trat vor ihn, den Blick auf das grausame Bild gerichtet, als er das Verharren seines Bruders bemerkte. „Komm schon…“, forderte Asher ihn auf und näherte sich dann der jungen Frau.
„Sie ist tot, lass gut sein“, sagte Ave tonlos, während er sich nun seine Zigarette anzündete, und andeutete, dass er weiter wollte. Asher überhörte diesen Kommentar und konnte diese plötzliche Emotionslosigkeit seines Bruders nicht verstehen.
Asher hockte sich vorsichtig neben sie. Ihr Gesicht war von nassen Haarsträhnen bedeckt.
Als er ihren Körper genauer musterte, entdeckte er Schnittwunden und einige dunkle Verfärbungen unter der Haut. Mit großer Vorsicht strich er das Haar beiseite. Ihre aufgeplatzten Lippen, sowie eine Schürfwunde über dem rechten Auge, verunstalteten ihr sonst hübsches Gesicht.
Er suchte etwas unbeholfen ihren Puls an der Halsschlagader. Gerade als er aufgeben wollte, spürte er ein schwaches Pochen an seinen Fingerkuppen. Er fühlte jetzt ganz genau. Da war ein Pochen, nicht stark, aber es war da. „Sie lebt. Wir müssen sie mitnehmen Ave“.
Dieser war plötzlich ganz verändert. „Das geht uns nichts an, Asher!“ antwortete Ave barsch. Der Jüngere war fassungslos. „ Willst du sie hier einfach so sterben lassen?“ Ave funkelte ihn an. „Wir mischen uns hier in etwas ein, von dem wir nichts wissen! Komm jetzt!“ Er drehte sich um. „Wir wissen aber, dass diese Frau brutal verletzt wurde und womöglich stirbt“, erinnerte er ihn eindringlich.
Ave drehte sich nicht um. Asher war eine gute Seele und er rechnete ihm dieses selbstlose Verhalten hoch an. Aber er wusste von so vielen Dingen nichts. Er wusste nicht wie diese Welt ticken konnte. Diese Frau vermochte ernsthafte Schwierigkeiten bedeuten. Wer wusste schon, wer hinter dieser Sache steckte. Und diese Sache gefiel ihm ganz und gar nicht.
Währenddessen machte sich Asher daran, die verletzte Frau vorsichtig auf seine Arme zu nehmen. Aves Ansichten waren ihm egal. Er würde sich nicht mit dem Wissen quälen, dass er hätte helfen können. 
Ungeachtet all des Blutes, trug er sie schützend an sich gelehnt, zwischen dem Müll hervor.
Ave warf seinem Bruder einen scharfen Blick zu.
Asher ließ sich nicht beirren. So schnell sie konnten, begaben sie sich zu ihrer Wohnung.
Dort angekommen, legte Asher die Verletzte auf ein Sofa, das Ave nach einiger Überredung mit einer Decke abgedeckt hatte. „Und was hast du jetzt vor?“ wollte Ave wissen. Asher reagierte angespannt: „Wir bringen sie zu Ian, was dachtest du denn? Wenn du nicht mitkommen willst, mach ich das auch alleine!“ Ave musterte den Jüngeren. „Was ist nun? Wo sind die Wagenschlüssel?“, drängte Asher.
Ave hatte kein gutes Gefühl und auf seinen Instinkt konnte er sich eigentlich verlassen. Es dauerte einige Sekunden, bis er sich einen Ruck gab. „Ich fahre!“

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (22.02.13)
Mir gefällt der Gegensatz zwischen dem 'schönen Abend' in der Kneipe und der knappe Dialog der Brüder bei der Verletzten. Dieser zeigt auch ganz deutlich den Unterschied zwischen beiden. Der eine, sich verzweifelt und mit begrenzten Mitteln gegen die Welt in der er leben muss auflehnend, und der andere, der sich für einen 'Realisten' hält, jedoch dem dient, was er gar nicht will. Ich denke, so oder so sind beide dem Untergang geweiht.

Aber da ich die weiteren Fortsetzungen nicht kenne, kann ich das nur vermuten.

T.B.
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