Aus dem Gartentagebuch I, 3. Urlaub

Lyrischer Prosatext zum Thema Geister

von  LotharAtzert

3. Urlaub
Spaziert eine Hainbuche vom Hain ins Reisebüro: "Bin ich hier richtig? - Schwarzspecht Klopfi meint, man könne bei Ihnen günstig Urlaub buchen."

Der AW-Schreiber Arne, oder "K.A.F." mokierte sich unlängst über die Verweiblichung des Basses bezüglich einer vorbeifliegenden Hornisse. (GT I, Teil 1) Da fiel mir das mit dem Urlaub wieder ein: DER Urlaub!
Der Laub? - Was erlauben Deutsch!

Eine geradezu furchtbare Entwertung der Bildsprache ist es, die aus dem Urlaub, das aus Wurzel, Stamm und Krone einst gebildete, ein industriell gesteuertes Freizeitspektakel - Pauschaltourismus - hat werden lassen. Eine durchs Kalkül der Gewinnmaximierung beispiellose Seelenverrohung. Noch schlimmer, von Bildungsurlaub wagen pseudogebildete Falschmünzer inzwischen offen zu sprechen.
Kindern bringt man noch nahe, dass es DAS Laub heißt. Wobei der Begriff Ur-Laub tunlichst nicht mehr damit in Sinnzusammenhang gebracht wird.

Das bleibt dann für uns mitleidigbelächelt geduldete Inoffizielle: Die Silbe Ur ... weist immer noch auf ein Anfängliches hin - wo das Ewige in die Dualität des Endlichen zerreißt, um den Kreis von Werden und Entwerden zwecks Erfahrung, die durch bestandene Gefahren erfahren macht, zu durchlaufen. Mithin wäre Urlaub das erste Verblättern des frühesten Baumes, als dem Ur- oder Archetyp des Ur-Waldes. Lange vor den Farnwälder der Kreidezeit. Vielleicht ist es gar Ygdrasil, der Baum, der den Himmel trägt.
Man stelle sich ruhig für einige Momente vor, wie die Bäume dieser Erde unablässig Blätter austreiben, unzählige, sie abwerfen, um neuerlich ... um zu ahnen, wie das, was wir Erde nennen, nichts anderes ist, als eben jenes Urlaub, das jahrein, jahraus über Millionen von Jahren überdeckt wird von den nachfogenden Blattgenerationen und so, durch Bakterien zersetzt, zu dem wird, worin Bäume und alles Verwurzelnde "wurzeln." Dafür haben wir dann das Wort "Geschichte."
Und nicht nur Blätter - aus Blüten werden Früchte, neues Leben, wiederum sterbend, ohne Anfang, ohne Ende - bis hinab zum Urlaub bzw. über den Stamm hinauf zur Krone des Baum-Archetyps.
Wurzel, Stamm und Krone, Erde und werde. ... und so ganz nebenbei atmen wir durch diesen Vorgang, konnten durch Lungenentwicklung das Wasser verlassen, aufrecht gehen, Wortwurzel, Wortstämme, Wortkronen bilden etc. etc. etc.

Schwarzspecht Klopfi klopft hier schon lange nicht mehr. Die Hainbuchen mussten weichen, wurden abgeholzt, damit eine Startbahn für Flugzeuge gebaut werden konnte, um den Ansturm der Reisewilligen zu bewältigen. Von Logistik, von Mobilität spricht man da - damit die Entwurzelten ihren Jahresurlaub vor Ort unbeschwert genießen können. Dort, wo Bäume, Tiere, Menschen den Hotels, den Landebahnen und Vergnügungstempel weichen mussten.

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Kommentare zu diesem Text


 Ganna (13.05.14)
"Man stelle sich ruhig für einige Momente vor, wie die Bäume dieser Erde unablässig Blätter austreiben, unzählige, sie abwerfen, um neuerlich..."

...was für ein schönes Bild...

...eine Wortspielerei, die mir sehr gefällt...das Wort Urlaub soll aber im eigentlichen Sinne von erlauben kommen, da die Rekruten früher um Erlaubnis bitten mussten, sich von der Truppe entfernen zu dürfen...

LG Ganna

 LotharAtzert meinte dazu am 13.05.14:
Danke, Ganna.
Urlaub von erlauben ... ja, dieser Zwischenschritt ist einleuchtend. Doch im Begriff Erlaubnis steckt ja bereits das Abartige, die Ausübung von Zwang.
Der Baum braucht die Erlaubnis fürs Laub nicht von Menschen einzuholen. Sondern wenn der Frühling kommt, kommt auch das Blatt ...

Ur-sprünglich wollte ich noch vom Ur zur Uhr, der Zerstückelung der Zeit - aber das vielleicht ein ander mal..
LG
Lothar
BabetteDalüge (67)
(16.05.14)
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 LotharAtzert antwortete darauf am 16.05.14:
Ich würde eher sagen, bei einigen ist nur der Baum gefällt, aber die Wurzel ist noch in der Erde und ein paar wenige Triebe treiben noch aus - vor allem der Geschlechtstrieb.
Gruß retour
(Antwort korrigiert am 16.05.2014)
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