Nomadenherz

Gedicht zum Thema Aufbruch

von  Isaban

Das Fernweh wohnt in deinen Augen,
die sich am Fensterkreuz festsaugen.
Die Flügel gehen auf und nieder,
dein Herzschlag taktet Abschiedslieder;
der Westwind ruft dich und das Blau.
Mir wollen keine Worte taugen.
Ich senke meine Lider wieder
und fürchte mich: Der Wind weht rau.

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Kommentare zu diesem Text


 Didi.Costaire (18.01.19)
Nomanden? Ich kenne nur Konfirmanden.

 DanceWith1Life meinte dazu am 18.01.19:
hessisch: no man den herz
no woman no cry

 Isaban antwortete darauf am 18.01.19:
Hm. 1 x Konfirmanden und 1x Demonstration der hessischen Zweisprachigkeit - entweder die Kommentatoren haben einen Schelm gefrühstückt oder ich muss diesen Text tüchtig in den Sand gesetzt haben. Gehen wir mal von Letzterem aus.

Besten Dank für die äußerst aufschlussreichen, textbezogenen Rückmeldungen.

Freundliche Grüße
Isaban

Edit: RS

Noch'n Edit: Nun ist das Brett vom Kopf.

Antwort geändert am 18.01.2019 um 16:51 Uhr
Jack (36)
(18.01.19)
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 Reliwette schrieb daraufhin am 18.01.19:
Ich befürchte, dass die Silbenfee unseren Ex-Bundespräsidenten meint: Johannes Rau. Geht aber doch nicht, denn der Wind hat ihn ja schon wieder weggeweht. Nein! Ich interpretiere das natürlich aus der Sicht eines Meermannes, gelle. Damit ist bestimmt der Sextourismus gemeint - oder etwa doch nicht?../ die fest am Fensterkreuze saugen. Nee, war Spaß! Liebe Grüße! Hartmut

Antwort geändert am 18.01.2019 um 11:30 Uhr

 Isaban äußerte darauf am 18.01.19:
Ahja, 1 x wird das LI mit dem LD gleichgesetzt und 1 x Johannes und der Sextourismus.
Ok, jetzt steht es fest, der Text muss anscheinend ein wenig kryptisch geraten sein.

Besten Dank für die hilfreichen Rückmeldungen.

Freundliche Grüße
Isaban

Antwort geändert am 18.01.2019 um 16:31 Uhr

 Oreste (18.01.19)
Ein Wort: Gänsehaut.

 Isaban ergänzte dazu am 18.01.19:
Ein Wort: Danke!

 Vaga (18.01.19)
Natürlich blieb auch ich zunächst am Titel hängen. Diesen als 'fehlerhaft' anzuzweifeln, kam mir jedoch nicht in den Sinn, da ich die Autorin seit langen Jahren als außerordentlich gewissenhafte 'Wortsetzerin' wahrnehme.

Beim Lesen des Gedichts entstand dann ein 'inneres Bild', das mich wieder zum Titel zurückschweifen ließ. Und so sah ich plötzlich dieses LyrDu, diesen, sich in einem anderen (vielleicht letzten) Lebensabschnitt befindenden Mannes, der sich schmerzlich als eine Art No-man (Niemand) erkennt, der einst ein Jemand war, der als Reisender in alle Welten vorstieß. Dem zwar das Nomadenherz immer noch innewohnt, das aber für ein Nomadenleben, wie es ihm einst so lieb war, nicht mehr 'stark genug' ist.
Und dann steht auch in den Zeilen, wie erbarmungslos der 'Atem der Zeit' ist, der hier so 'bewegend' durch die 'Fensterflügel' symbolisiert wird: (Die Flügel gehen auf und nieder). Aus jeder weiteren Zeile spricht diese fühlbare Fernweh. Dieses 'Abschiedsgefühl', dem das Endgültige immanent ist.
Dieses Status-quo-No-man's-Land scheint der Raum zu sein, in dem sich auch das LyrIch befindet, dem die Worte im 'Mund stecken bleiben', das nichts mehr sagen kann, weil es um die Tragik der Unerbittlichkeit dieser veränderten Lebenssituation weiß.
So hab' ich Gänsehaut am Ende, und zwar 'pur'!!!
Liebe Grüße - Vaga, die ja eigentlich auch eine 'Vagabundin' ist/war ;).

 Isaban meinte dazu am 18.01.19:
Was für eine wundervolle Interpretation, liebe Vaga!
Du ahnst gar nicht, wie sehr ich gerade bedauere, das n nicht im Titel belassen zu haben.
Hab vielen herzlichen Dank, ganz besonders für dein (unverdientes) Vertrsuern in mich und für den "vielleicht letzten Lebensabschnitt".
Deine Rückmeldung war mir eine Freude.

Liebe Grüße,
Sabine

 EkkehartMittelberg (18.01.19)
In der Romantik war das Fenster als Motiv der Scheidung zwischen Innen-und Außenwelt sehr beliebt. Das Bild "Frau am Fenster (entstanden zwischen 1818 und 1822) von Caspar David Friedrich ist noch heute recht bekannt und wird zum Beispiel so gedeutet: "Für Jens Christian Jensen ergibt sich der Bildsinn durch die Bildgestalt.[10] Danach besitzt das Zimmer etwas von einem Gefängnisraum und die Frau möchte hinaus in die Freiheit, die in der im Fensterausschnitt offenbarten reichen Ferne und Unermesslichkeit sichtbar ist. Das Gemälde sei ein Bild menschlicher Sehnsucht. Friedrich wird der Gedanke unterstellt, dass die Frau für ein freies Leben in der Welt nicht gerüstet und in solcher Rolle von der Gesellschaft auch nicht geduldet ist.[11] "
In diesem Text sind die Akzente anders gesetzt. Die Sehnsucht am Fenster ist heute nicht mehr das allgemein verbreitete Motiv, sondern das Fernweh eines Nomadenherzens. Das Fenster ist auch nicht für die Außenwelt geöffnet, sondern die Augen des Nomadenherzens saugen sich am Fensterkreuz fest. Es fühlt sich offensichtlich eingesperrt.. Mit dem Vers I,3 haben ich etwas Schwierigkeiten. Die Fensterflügel scheinen nicht gemeint zu sein, denn dann müsste es heißen: Die Flügel gehen auf und zu. Also handelt es sich um die aufbruchbereiten Flügel des LyrDu, dessen Herzschlag schon Abschiedslieder taktet. Das Nomadenherz des LyrDu fürchtet sich nicht wie das LyrIch vor dem rauen Wind. Das LyrIch ist dem LyrDu so entfremdet, dass ihm keine Worte taugen wollen. Es senkt seine Lider aus Furcht vor der Außenwelt, in die das Nomadenherz hinaus will. In der weht ein rauer Wind. Bei Brentano in der Romantik klingt das noch ganz anders: "Es schienen so golden die Sterne, am Fenster ich einsam stand..."
Da möchte das LyrIch mitreisen in die prächtige Sommernacht.
Vielleicht ist dein Gedicht, in der sich das LyrIch der romantischen Sehnsucht entfremdet hat, doch nicht misslungen. Isaban.

 Isaban meinte dazu am 18.01.19:
Lieber Ekki,

herzlichen Dank für den spannenden und informativen Ausflug in die Motive der Romantik! Die Rolle der Frau zu Beginn des 19. Jahrhunderts ließ ihr nicht viele Freiheiten, einzig KKK war angesagt - kein Wunder, dass die Damen auf den Bildern immer so sehnsüchtig in die Ferne schauen.

Zu den Flügeln: Ich habe sie gemeinerweise zwischen Fenster, Vogel und Lunge angesiedelt - jeder darf sich aussuchen, welche Auslegung ihm näher ist. Deine Interpretation ist in sich stimmig und gefällt mir sehr gut.

Ich freue mich, dass du dich so intensiv mit dem Text beschäftigen mochtest und natürlich ganz besonders über den tröstlichen letzten Satz - noch einmal vielen Dank!

Liebe Grüße,
Isaban

 Vaga (18.01.19)
Oh - ich sehe gerade, dass du den Titel geändert hast. Schade! Aber immerhin hat mich der ursprüngliche Titel assoziativ 'voll erwischt'. ;)

 Isaban meinte dazu am 18.01.19:
Sorry, Vaga, das war (leider!) nur ein blöder Tippfehler - allerdings gefällt mir deine Interpretation so verflixt gut, dass ich inzwischen überlege, ob ich das "n" nicht blitzschnell wieder einbauen soll!

 Irma (18.01.19)
Am Fensterkreuz stehend die Flügel ausbreiten, dem Ruf des Westwinds folgend ...
Traurige Grüße, Irma

Kommentar geändert am 18.01.2019 um 17:54 Uhr

 Isaban meinte dazu am 18.01.19:
Vielen Dank für das Bild!
Liebe Grüße,
Sabine

 monalisa (18.01.19)
Nein Sabine, in den Sand gesetzt/geschrieben hast du diese Verse bestimmt nicht, auch wenn vieles eher angedeutet als ausgeschrieben wurde.
Obwohl, wenn das Fernweh in den Augen wohnt, ist das schon eine sehr klare Aussage: LD zieht es fort, so sehr fort, dass auch ein Beobachter das an den Augen ablesen kann/muss.
Dieser "Am-Fensterkreuz-festsaugen-Vers' hat mich jetzt eine ganze Weile gefangen, ist mir bei näherem Hinsehen auch immer näher gegangen. Wenn Sabine, so einen schrägen Reim (schräg, weil festsaugen ja auf fest und nicht auf saugen betont wird!) installiert, muss man ihn genau unter die Lupe nehmen!
Und ja, da stimmt etwas nicht. LDs Augen saugen sich lieber am Fensterkreuz fest, als LI in die Augen zu schauen, als sich wenigstens blickmäßig zu erklären, wenn schon die Worte fehlen, auch bei LI fehlen, wie wir in V6 erfahren - auch LI spricht nicht an, was es fühlt, beobachtet, erkennt ... Es läuft alles auf Abschied hinaus, weil man halt so ein Nomadenherz nicht festhalten, nur unter großen Einbußen sesshaft machen kann.
Am-Fensterkreuz-Festsaugen ist ja auch noch nicht davonflattern, möglicherweise ist da ja ein gegen das Fernweh ankämpfen, ein Bleiben-, sich Festhalten-Wollen. Jedenfalls denke ich, dass man es so interpretieren kann. Der nächste Vers mit den Flügeln scheint das noch zu unterstreichen. Natürlich gehe ich erst mal von den Lungenflügeln aus, die auf und nieder gehen, aber da Bild von einem Adler, der in die Lüfte aufsteigt, sich frei bewegt drängt sich geradezu auf, das Fensterkreuz dann als Gitter (Gefängnis), das der Freiheit im Wege steht. Grandios, wie du das hier vielschichtig verwoben hast. Die Lungenflügel mit dem 'Herzschlag' im nächsten Vers wieder ganz präsent sind. Eine weitere Ebene, könnte in Verbindung mit dem 'Lider-Senken' des LI im vorletzten Vers entstehen: Die Flügel als die bewimperten Augenlider, die sich heben und senken, flattern, Nervosität und Unruhe verraten.
LI fürchtet sich am Ende, fürchtet sich vor dem rauen Wind, dem es allein standhalten soll, fürchtet auch den rauen Wind für LD, wenn es geht ...?
Ich glaube am Ende könnte man das Ganze auch als inneren Dialog sehen, zwei Herzen, die in einer Brust schlagen, ein Hin- und Hergerissen-Sein zwischen In-die Welt-Hinausziehen und Bleiben-Wollen. Wenn LI sich selbst (jenen Teil, der fort möchte) mit DU anspricht, Dann könnte man die Schlussverse auch als Kapitulation lesen:
"Ich senke meine Lider wieder
und fürchte mich: Der Wind weht rau."
LI fürchtet sich vor dem rauen Wind und bleibt …!

Abschied, oder Nomadentum versus Sesshaftigkeit wurden schon oft beschrieben, aber in dieser Dichte, Vielschichtig- und Eindringlichkeit habe ich es noch nie gelesen. Sehr fühlbar!

Liebe Grüße
Mona

 Isaban meinte dazu am 18.01.19:
Liebe Mona,
wehe, du verschwindest wieder!
Die Interpretation ist überwältigend, in sich stimmig, überaus textnah - und was für Bilder bringst du uns hier noch naher!
Ich gestehe, dass meine Intentionen zwar über weite Strecken, aber nicht immer 100%ig mit deiner Interpretation übereinstimmen, aber das muss ja auch nicht sein, ganz besonders wenn ein Leser wie du eine solche Geschichte aus den Versen machen kann. Hab tausend Dank für deine Rückmeldung, für deine Einfühlsamkeit und die Zärtlichkeit und Wehmut, die deine Auslegung aus meinen Versen schöpfen konnte.
Du wirst immer eine Bereicherung für KV sein. Bleib uns bitte erhalten.

Liebe Grüße

Sabine, die heute mit unerwartet vielen tollen Kommentaren beschenkt wurde.

 Xenia (25.02.19)
Das ist wundervoll.

 Isaban meinte dazu am 25.02.19:
Danke schön! Deine Rückmeldung freut mich sehr.

Lieben Gruß
Isaban
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