Nächtliche Besucherin

Szene zum Thema Angst

von  eiskimo

Spät am Abend kriegt er immer häufiger weiblichen Besuch. Sie kommt einfach so, sie legt sich zu ihm ins Bett,  nimmt Besitz von ihm. Ein fast rituelles Stelldichein, aber sehr intim. Sie kennt ihn und seine Schwächen. Das spielt sie aus. Mit Macht. Und jedes Mal ist er ihr zu Willen. Widerstand zwecklos. Er entblößt sich, lässt nichts verborgen. Jeder Winkel seiner selbst wird ausgeleuchtet. Hinterfragt. Und sie weiß genau, wie sie ihn packt, wie sie seine Selbstzweifel nährt und ihn völlig aus der Fassung bringt. Nass geschwitzt lässt sie ihn zurück. Feige besiegt. Entlarvt als Schwächling und Duckmäuser. Unfähig, Stärke zu zeigen. Sein Ich zu behaupten. Sich psychisch zu wappnen gegen diese nächtliche Feindin.
Jetzt hat er beschlossen, seine Not in Worte zu fassen. Sich durch das Niederschreiben dieser Tortur einen Schutzmantel zu erfinden. Sein Text beginnt wie folgt:
„Spät am Abend kriege ich immer häufiger weiblichen Besuch. Sie kommt einfach so, legt sich zu mir ins Bett, will von mir Besitz ergreifen. Aber ich bin jetzt vorbereitet. Ich habe Papier und Bleistift auf den Knien. Kantige Textbausteine liegen bereit. Mein Kopf ist frei für schlagende Parolen. Trotzig bringen meine Hände die aufs Papier. Papier,  das mir so klare Linien vorgibt. Sprach-Barrieren. Damit komme ich weiter. Damit komme ich durch. Bis sie verflogen ist.“

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Kommentare zu diesem Text

Al-Badri_Sigrun (61)
(23.11.20)
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 eiskimo meinte dazu am 23.11.20:
Hi, Sigrun!
Muse wäre schön.... Ich musste lernen, wie ich ihr begegnen muss.
befreite Grüße
Eiskimo
Noch (74) antwortete darauf am 23.11.20:
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 AchterZwerg (23.11.20)
Aparte Vorstellung. Und passend verschachtelt. :)

Die Weiber - egal ob Musen oder nicht - scheinen nicht immer solche zarten hilflosen Wesen zu sein, wie so mancher glauben möchte ...

Liebe Grüße
der8.

 eiskimo schrieb daraufhin am 23.11.20:
Was Männer heimsucht und fertig macht, das müssen nicht unbedingt Weiber sein
übernächtigte Grüße
Eiskimo

 Enni (24.11.20)
Hallo Eiskimo,

um mit ihr fertig zu werden, muss man sich ihr wohl stellen.
Reden mag eine Möglichkeit sein, das Schreiben mit Sicherheit auch, Worte sind dann festgehalten, verflüchtigen sich nicht so schnell. Man kann immer auf sie zurückgreifen.

Gut beschriebene Szene.
Lieben Gruß
Enni

 eiskimo äußerte darauf am 24.11.20:
Danke! Du hast mich und meine Not gut verstanden.
lG
Eiskimo

 AvaLiam (26.11.20)
Auf Papier gebracht wird sie zu einem Papiertiger...

...und es ist ein Leichtes, diesen Papiertiger zusammenzuknüllen und in den Papierkorb zu kicken.


Wobei ich denke, deine Zeilen haben schon ganz schon Eindruck bei ihr hinterlassen. So schnell legt sie sich nicht mehr mit dir an oder neben dich.


LG - Ava

 eiskimo ergänzte dazu am 26.11.20:
Du hast einen Sinn für Symbolik und fürs Praktische - beides zusammen wird meine Nächte retten.
Danke für Deine Unterstützung!
ciao
Eiskimo
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