Die plötzliche Erleuchtung der Simone Weil

Essay zum Thema Mystik

von  Bluebird

Illustration zum Text
(von Bluebird)
Im Jahre 1938, im Alter von 29 Jahren, will die französische Philosophin und politische Aktivistin Simone Weil während einer katholischen Pfingstmesse eine tiefe mystische Christuserfahrung gemacht haben: 
da zwang mich etwas, das stärker war als ich selbst, zum erstenmal in meinem Leben auf die Knie. ...eine persönliche, gewissere, wirklichere Gegenwart als die eines menschlichen Wesens, ……(Es war)  eine plötzliche Übermächtigung durch Christus …“
Sie bestand zeitlebens darauf, dass es sich hier keineswegs um eine Sinnestäuschung oder eine Einbildung gehandelt habe. Und das völlig überrascht worden sei von dieser Erfahrung. In einem Brief an ihre Eltern schrieb sie:
„In meinen Überlegungen über die Unlösbarkeit des Gottesproblems hatte ich diese Möglichkeit nicht vorausgesehen: die einer wirklichen Berührung von Person zu Person hienieden, zwischen dem menschlichen Wesen und Gott. Ich hatte wohl unbestimmt von dergleichen reden gehört, aber ich hatte es niemals geglaubt.“

Die intensiven Bemühungen des Dominikanerpaters Perrin, sie zum Eintritt in die katholische Kirche zu bewegen, schlugen aber fehl. Ihr war die Vergangenheit der Kirche mit Inquisition, Kreuzzügen und mangelndem Reformeifer suspekt. Bis zu ihrem frühen Tode im Jahre 1943 blieb sie bei ihrer Überzeugung, dass eine Mitgliedschaft in der Kirche nicht heilsnotwendig sei.
    Was übrigens auch meinem Bibelverständnis entspricht, obwohl ich ihr vermutlich dennoch zu einem Kircheneintritt  geraten hätte.

Gedankenimpuls:
Ist es nicht erstaunlich, dass Menschen immer wieder von solchen Christus-/oder Gotteserfahrungen berichten und darauf bestehen, dass es sich dabei um ein wirkliches Geschehen gehandelt habe?

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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (31.01.21)
Dein erstes Zitat läßt noch gut den Unterschied zwischen (a) dem Erlebnis und (b) seiner Deutung durch die Person, die es hatte, erkennen.

Von (b) nehme ich an, daß sie - die Deutung - abhängt von dem kulturellen Kontext und den gesamten Lebenszusammenhang, in dem sich die Person befindet. Was liegt für sie als Deutungsmuster am nächsten?

(a) hingegen ist wirklich spannend. Was genau erlebt eine Person, das sie dann anschließend als Epiphanie des Dionysos, Jahwes, Christi oder Allahs usw. deutet? Spielt sich dieser Vorgang nur im Gehirn ab, oder hat er eine äußere Ursache? Und wie kann man das feststellen?

 DanceWith1Life meinte dazu am 31.01.21:
Regenwasser fliesst und reinigt Kirchen, Moscheen und buddhistische oder hinduistische Bauwerke ohne Kenntnis oder Bezugnahme auf deren Bedeutung oder Funktion. Dasselbe gilt für den Staub der Interpretation, sehr anpassungsfähig, diese Elemente, wie mir scheint.

 Bluebird antwortete darauf am 31.01.21:
Solche mystischen Erfahrungen sind nicht immer leicht in Worte zu fassen, aber - mal auf eigene Erfahrungen zurückgreifend- überrascht die unmittbar als überdeutlich erlebte Wirklichkeit des Erlebnisses.
Es ist für einen selber ein ( übernatürliches) Geschehen jenseits eines berechtigten Zweifels.

Und natürlich wird erst einmal es in dem naheliegenden Kontext gedeutet:  Der nächtliche Besucher

 Graeculus schrieb daraufhin am 31.01.21:
Das Erlebnis selbst unterliegt keinem Zweifel. Diese beginnen erst dann, wenn man es - im Sinne eines bestimmten Horizontes - deutet. Letzteres macht ein Christ, wenn er es als Epiphanie Christi deutet, ebenso wie ein Neurologe, der es durch eine Art Neuronen-Gewitter (ähnlich einem epileptischen Anfall) erklärt.

Nun wird es spannend, wenn wir den Zweifel als Offenheit für verschiedene Deutungen verstehen und dann experimentieren. Kann ein Neurologe durch eine spezifische Stimulation bestimmter Hirnareale ein solches 'Gotteserlebnis' erzeugen?

 Bluebird äußerte darauf am 31.01.21:
Selbst wenn er das könnte, bewiese das keineswegs, dass dies adäquat zu geschilderten Gotteserfahrungen wäre. Es wäre bestenfalls ein Indiz für eine mögliche Täuschung

Aber letztlich müssen Neurologen spätestens da passen, wo es im Erlebnis zu zielführenden Informationen kommt, die derjenige nicht gewusst haben kann oder gewusst hat

 Graeculus ergänzte dazu am 31.01.21:
wo es im Erlebnis zu zielführenden Informationen kommt, die derjenige nicht gewusst haben kann oder gewusst hat
Diesen Nachweis wasserdicht zu führen, ist freilich außerordentlich schwierig - wie sich an Deinen Beispielfällen immer wieder zeigt: ist doch auch 'zielführende Information' durchweg eine Deutung, welche andere Deutungen (z.B. "Zufall") kaum auszuschließen vermag.
Immerhin lassen sich Experimente denken, in denen bestimmte Deutungen systematisch ausgeschlossen werden können.

 Regina (31.01.21)
" Was übrigens auch meinem Bibelverständnis entspricht, ich ihr aber dennoch auch zu diesem Schritt (vielleicht) geraten hätte."
Ja, was von beiden nun?

 DanceWith1Life meinte dazu am 31.01.21:
die künstliche beleuchtung einer zitrone auf dem seil

 Bluebird meinte dazu am 31.01.21:
zum Kircheneintritt geraten ... nicht unbedingt heilsnotwendig, aber möglicherweise hilfreich ... z.B auch wegen Taufe, Sakramenten usw

 DanceWith1Life meinte dazu am 31.01.21:
soll heissen, wenn schon erleuchtet, dann wenigstens getauft, da ist man in gesellschaft richtiger heiliger? und und und

Antwort geändert am 31.01.2021 um 18:25 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 31.01.21:
" Was übrigens auch meinem Bibelverständnis entspricht, ich ihr aber dennoch auch zu diesem Schritt (vielleicht) geraten hätte."
Dieser Satz ist grammatisch mißlungen. Vorschlag: " Was übrigens auch meinem Bibelverständnis entspricht, obwohl ich ihr auch zu diesem Schritt (vielleicht) geraten hätte."

 loslosch (31.01.21)
die "plötzliche Erleuchtung" hatte Simone Weil und nicht die frühere franz. gesundheitsministerin Simone Veil:  hier.

bluebird glaubt jeder beteuerten erleuchtung, weil er selbst erleuchtet wurde.

Simone Weil war quasi von geburt an hochbegabt, wie ihr bruder André, der ein berühmter franz. mathematiker war. ihr leben war bewegt, will sagen, sie quecksilberte zwischen politischen und auch religiösen positionen. als 12-jährige schrieb sie einen appell ans franz. militär. motto: hört auf mit dem schlachten. (laut wdr5 heute!)

"Der portugiesische Fado hinterließ in ihr einen unauslöschen Eindruck: Sie kam zur Ansicht, dass das Christentum die Religion der Sklaven sei." (wiki.)

der wiki-artikel ist überaus informativ. gegen lebensende befiel sie magersucht. ihr bruder André wurde 92. er hat sich meines wissens nie öffentlich über seine schwester geäußert.

nb: wer erinnert sich noch an Anneliese Michel?

 Graeculus meinte dazu am 01.02.21:
Es muß wirklich Simone Weil heißen.
Hat man einmal begriffen, daß man nichts ist, so ist das Ziel aller Anstrengungen, nichts zu werden.
(Simone Weil)

 Bluebird meinte dazu am 01.02.21:
Ja, stimmt!

 loslosch (01.02.21)
wer immer auch eine erleuchtung hatte, muss morgen zum schulpsychologen.

albert einstein äußerte in privaten briefen die ansicht, der glaube an einen persönlichen gott sei ausdruck menschlicher schwäche. dem füge ich hinzu: menschen streben nach absoluter sicherheit, die es aber hienieden nicht geben kann.
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