2003
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2004 

2003/04

Absurdes Theaterstück zum Thema Depression

von  Terminator

Und wieder einmal checken sie mich an der Kasse: Rucksack auf, reingucken. Schwarzkopf halt. Aber ich fühle mich auch erleichtert. Kein Erschießungskommando? Geil. Nie im Leben gestohlen. Die Schultern wiegen schon Tonnen, und dann noch all die Last der Erwatungen, Hoffnungen, Enttäuschungen. Ich bin ein Loser. Ein Versager. Versàger.


Auf dem Fahrrad scheine ich zu schweben. Leider werde ich am Abend vom Fahrrad absteigen. In die Zelle, Verzeihung, ins Zimmer, und dann ins Bett, Horrorfilme gucken. Lieber würde ich schlafen: normal, erholsam schlafen. Bald ist Abitur.


Auf einem Wald- und Wiesenweg an der Fuhse stelle ich mein Fahrrad ab, setze mich auf die Bank. Die Verzweiflung ist so total, dass sie befreiend wirkt. In einer Stunde ist mündliche Prüfung, ich werde ihnen etwas über die Antigone stottern. Nicht aus Nervosität, aus extremer Anspannung, die den Sprachfehler verstärkt, welcher an sich nach dem Del-Ferro-Kurs in Amsterdam mit mittelschwerer Leichtigkeit überwunden war. Die Depression brachte das Stottern umgehend zurück. Depression ist nicht Antriebslosigkeit, sondern Anspannung, extremer Stress. Entzündete Nerven. Hätte ich wenigstens gewusst, dass Zink und Magnesium die physiologischen Symptome lindern. Mit der Verzweiflung wäre ich bei normaler Nervengesundheit kreativ zurechtgekommen: ich hätte sie in edle Melancholie verwandelt.


Der Lebensüberdruss am Tag der Abiturzeugnisse ist unbeschreibbar. Und jetzt: was? Schule vorbei, ich habe die freie Wahl: Suizid oder Tod. Ich entscheide mich frei für den Tod. Aber die Schuld. Ich darf nicht sterben, ich muss noch leiden. Wer leidet daran, dass diese Welt verflucht ist, wenn ich tot bin?


Selbsthass, Selbstverachtung, Selbstsabotage, Selbstkampf, Selbstlosigkeit: alles war drin, außer Selbstmitleid. Dafür war ich wohl zu selbstmasochosadistisch. Aber es ist gutgegangen. Die Zustände sind meiner heutigen Gefühlswelt fremd geworden. Ich kann daran zurückdenken, wie ich damals empfunden habe, nachfühlen kann ich es nicht mehr.


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Kommentare zu diesem Text

Taina (39)
(16.04.23, 06:34)
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 Terminator meinte dazu am 16.04.23 um 08:12:
Verklärt zurecht. Durchlitten durch das Unrecht, das andere tun. Es sollte ein Recht auf schöne Kindheit und süße Jugend geben.
Daniel (50)
(16.04.23, 21:03)
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 Terminator antwortete darauf am 16.04.23 um 21:40:
Die Idee mit dem schlechten Karma hatte ich bis ins Extremste ausgereizt, und die Vorstellung, im vorigen Leben Hitler oder Schlimmeres gewesen zu sein, ließ das Leiden rechtfertigen. Hielt nur 1,5 Jahre. Ende 2005 war ich mit Emil Cioran Radikalnihilist. Die Vorstellung, dass alles objektiv gesehen scheyßegal ist, hilft sogar noch mehr als die willkürliche Zuschreibung von schlechtem Karma. Was erbaulich ist, stinkt nach Verarsche. Die bitterste Wahrheit schmeckt besser als die süßeste Lüge (aber nur für den Wahrhaftigen).
Daniel (50) schrieb daraufhin am 16.04.23 um 22:05:
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 Terminator äußerte darauf am 16.04.23 um 22:19:
Dieses Gefühl kenne ich, aber nicht im Zusammenhang mit Nihilismus. Wohlwollende, entspannte Gleichgültigkeit ist ja im Grunde Gleichmut. Bei mir kam es nicht durch eine Erfahrung dazu, sondern an einem bestimmten Punkt der Persönlichkeitsentwicklung (das Haben loslassen, im Sein aufgehen, um eine Radikalinterpretation von Erich Fromm zu bemühen). Ciorans Nihilismus ist dagegen bitter, resignativ.
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