Der Kardinal

Kurzgeschichte zum Thema Eitelkeit

von  EkkehartMittelberg

Wie lange hatte er auf diesen Tag hin gearbeitet, ihn herbeigesehnt. Endlich hatte er es geschafft. Er durfte die Kardinalsrobe tragen.

Den ganzen Tag fieberte er dem Augenblick entgegen, an dem die Einführungsfeierlichkeiten beendet und er allein war.

Im Flur seines Palais gab es einen großen Spiegel. Dort konnte er sich endlich in seinem prächtigen roten Gewand beobachten und feststellen, inwieweit die Robe seine innere Würde angemessen unterstrich. Gelöst von den Zwängen des Protokolls lächelte er seiner imposanten Erscheinung zu und war rundum mit sich zufrieden, am Ziel seiner Wünsche.

Da durchzuckte ihn der Gedanke, dass er sich eitler Hoffahrt hingab. Er wollte den Spiegel schon fluchtartig verlassen, doch die Sünde war nicht mehr rückgängig zu machen. Er besann sich kurzerhand, sie jetzt in vollen Zügen zu genießen, bevor er sich morgen mit den Exerzitien der Buße kasteien würde.

Also stellte er die Kerzen auf dem Vertiko so, dass das Rot der Robe verführerisch aufflammte und er probierte vor dem verschwiegenen Spiegel alle Posen mächtiger Gebärden durch, die er in jahrelangen Träumen geschaut hatte.

Als er sich schließlich ermattet aufs Sofa setzte, fragte er sich, ob er glücklich sei. Es fiel ihm schwer, es sich einzugestehen. Die Sünde der Selbstbespiegelung war so süß, aber er konnte sie mit niemandem teilen.



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (26.10.23, 07:17)



        "Drum wird nicht an die Bibel mehr gedacht, 
        Doch hat man sehr genau – war’s zu verhehlen, 
        So zeigt’s der Rand – der Dekretalen Acht.
        Drin wird studiert von Papst und Kardinälen 
        Und Nazareth, wo Gabriel das Wort 
        Verkündigt hat, wird fremd den geiz’gen Seelen.
        Doch Vatikan, samt jedem heil’gen Ort In Rom, wo Petri Folger einst gepredigt, 
        Der Märtyrer geweihte Gräber dort,
        Bald werden sie der Eitelkeit entledigt."

        schreibt Dante in seinem neunten Gesang der Göttlichen Komödie. Statt der Eitelkeit setzt er den Ehebruch. Aber gerade auf jene passt sein Gesang vortrefflich! :) 

        Herzliche Grüße Piccola

        Kommentar geändert am 26.10.2023 um 07:22 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.10.23 um 10:33:
Merci, Piccola, eine bessere Zeugin für Eitelkeit als Dantes "Göttliche Komödie" kann ich mir kaum vorstellen.

Herzliche Grüße
Ekki

 harzgebirgler (26.10.23, 08:40)
hieronymus saß im gehäus *
sogar mit heil'genschein,
den kardinalshut an der wand,
und mochte doch kaum eitel sein.

lg
henning

*kupferstich von dürer
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_heilige_Hieronymus_im_Gehäus

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 26.10.23 um 10:38:
Vielen Dank, Henning. Dürers schöne heile Welt ist unendlich weit von der in Kardinalspalästen entfernt. Aber es muss Ideale als Gegenbild geben.
LG
Ekki

 Saira (26.10.23, 08:51)
Moin Ekki,

wer nur sich selbst sieht und sich in seiner Eigenverliebtheit suhlt, erkennt wahrscheinlich erst, wenn überhaupt und wahrscheinlich zu spät, dass diese Eigenschaft sehr einsam macht. Wer will schon mit einem selbstverliebten Gockel eine Freundschaft eingehen?

Liebe Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 26.10.23 um 10:58:
Grazie, Sigi, Ich wüsste gern von fachkundigen Psychologen, ob sich Narzissten einsam fühlen oder das Gefühl gar nicht zulassen.

Herzliche Grüße
Ekki
Taina (39)
(26.10.23, 10:51)
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 26.10.23 um 11:04:
Merci, könnte man so sehen, Taina. Aber ich möchte die Eitelkeit des Kardinals nicht als kapriziöse Anwandlung verstanden wissen wie bei der Frau vor dem Spiegel, sondern als charakterliche Grundkonstante eines in die Macht Verliebten.
Taina (39) ergänzte dazu am 26.10.23 um 12:17:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.10.23 um 12:35:
Du hast wahrscheinlich diesen Satz übersehen: "er probierte vor dem verschwiegenen Spiegel alle Posen mächtiger Gebärden durch, die er in jahrelangen Träumen geschaut hatte."
Taina (39) meinte dazu am 26.10.23 um 12:45:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.10.23 um 16:04:
Wir müssen nicht immer übereinstimmen, Taina.  Wer am Tage seiner Ernennung zum Kardinal die Posen mächtiger Gebärden vor dem Spiegel probiert, hat aus meiner Sicht eine Affinität zur Macht. Ich halte den Gedanken für deutlich genug, dass er seine Zukunft vorwegnimmt.

 Regina (26.10.23, 11:40)
Eitelkeit macht nun mal einsam. Trotzdem erlebt der Eitle eine Art Glücksgefühl über Eigenschaften seiner Person, aber teilen kann man sein Glück nur, wenn man es zum Wohl anderer einsetzt.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.10.23 um 12:49:
Gracias, Regina, diese Beobachtung trifft es auf den Punkt.

 uwesch (26.10.23, 13:56)
Eine eigenartige Welt für mich als Atheist LG Uwe

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.10.23 um 16:10:
Ja, danke, uwesch, die Welt der Versuchung ist für Atheisten tatsächlich rätselhaft.

LG
Ekki
Teolein (70)
(26.10.23, 14:14)
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Agnete (66) meinte dazu am 26.10.23 um 14:36:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.10.23 um 16:19:
Vielen Dank, Teo, ich war mir auch nicht ganz sicher, wie schwer Eitelkeit nach katholischer >Morallehre wiegt. Hier ist die Antwort: "Im katholischen Glauben wird Eitelkeit als eine Todsünde angesehen, weil sie das Herz des Menschen von Gott abwendet und die Seele mit Stolz und Selbstbezogenheit erfüllt. Todsünden sind schwere Sünden, die die Beziehung des Menschen zu Gott zerstören und ihn von der Gnade Gottes trennen.

 Ist Eitelkeit eine Sünde? (Mit Begründung) | Jesus-Info.de"

www.jesus-info.de/ist-eitelkeit-eine-suende-mit-begruendung/


Liebe Grüße
Ekki

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.10.23 um 16:23:
Grazie, Moni, dein Kommentar entspricht der Intention meines Textes.

Liebe Grüße
Ekki

 tueichler (26.10.23, 23:29)
Verdammte Eitelkeit! Wer frei davon ist der werfe den ersten Stein! Macht aber nix, wir sitzen ja nicht in Glas- sondern Gotteshäusern …
👍

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.11.23 um 21:10:
Merci, Tom, du hast recht. Mehr oder weniger Kardinal steckt in uns allen.

LG
Ekki
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