Masterplan

Kurzgeschichte

von  Quoth

Alte Villen haben was Geheimnisvolles. Wer residiert hier?, möchte man fragen, bekommt aber keine Antwort. Deshalb war ich erfreut, zu einem „geselligen Nachmittag“ in solch ein trutziges Gebäude eingeladen zu werden, das man hinter den vielen Bäumen, hinter denen es sich versteckt, kaum erkennen kann. Die Hausherrin empfing uns leutselig in Reitstiefeln und einem zwanglosen Flatterkleid, am Entgegenstrecken ihrer Hand erkannte ich, dass sie geküsst werden musste. Zwei schwarze Sklaven begrüßten uns im Treppenhaus mit breitem Grinsen – aber es waren überdimensional große Plastiken, denn das Haus verdankte sich dem Reichtum, den der Urgroßvater mit Diamanten in Deutschsüdwest erworben hatte. Die anderen Geladenen wurden mir nicht vorgestellt, auch ich ihnen nicht: „Wir brauchen einander nicht namentlich zu kennen, das ist sicherer!“, erläuterte die Dame, deren Hand ich geküsst hatte. An der Wand hing ein in Öl gemaltes Porträt des legendären Generals von Lettow-Vorbeck, der im Ersten Weltkrieg den Alliierten in Afrika mit seinen Askari so manches Schnippchen geschlagen hatte. Nach einem frugalen Imbiss ergriff ein Weißhaariger von weltmännischem Auftreten das Wort, erinnerte an goldene Kolonialzeiten und nannte es ein Unding, dass Deutschland sich immer noch Schadensersatzansprüchen durch Herero und Nama ausgesetzt sehe, weshalb er mit Freunden einen Masterplan ausgearbeitet habe, der die Umsiedlung von ein bis zwei Millionen Nichtwurzeldeutschen nach Namibia vorsehe, so dem Land an Bevölkerung zurückgebend, was ihnen die wackeren Soldaten des Generals von Trotha angeblich geraubt. Der Plan wurde auf seine Realisierbarkeit geprüft, dann erhoben wir die Sekttulpen und stießen darauf an. „Was uns schon einmal gelang, wird uns auch wieder gelingen!“, rief ich voller Vorfreude aus, ertrug geduldig den vielen Beifall und das Händeschütteln und ging nach Hause in dem Bewusstsein, einem historischen Moment beigewohnt zu haben. „Worum ging es?“, fragte meine Frau mit angstverzerrtem Gesicht. „Lass es erst geschehen, dann wird es dich glücklich machen!“, erwiderte ich begütigend und brühte mir einen Kaffee auf.



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Kommentare zu diesem Text


 Saira (17.01.24, 19:14)
Zehntausende Herero und Nama sind nach ihrem Aufstand gegen die 20 Jahre lange Unterdrückung, Entrechtung und Ausbeutung durch deutsche Kolonialherren im sogenannten „Schutzgebiet Deutsch-Südwest-Afrika“ 1904 in einem Vernichtungsfeldzug getötet worden. Die Überlebenden und Angehörigen der Getöteten sind bis traumatisiert.
 
Der Vorschlag des Protagonisten beinhaltet den Plan, ein- bis zwei Millionen Migranten aus Deutschland nach Namibia zu schicken, um die Schuld an den Genozid-Morden mit „Menschen-Ersatz“ zu tilgen.
 
Das würde wohl vielen Menschen in Deutschland gefallen.
 
Liebe Grüße
Sigrun

 Quoth meinte dazu am 18.01.24 um 07:22:
Klug und informativ kommentiert! Danke für die Empfehlung mit Kommentar!

 Regina (17.01.24, 20:17)
Bilder aus Kolonialzeiten habe ich heute im Internet auch angesehen. Zynische Szenen von Missbrauch und Sklaverei allenthalben. Dabei ist Deutschland später als die anderen Nationen auf diesen Zug aufgesprungen, hat dann aber alle mit seinen Pogromen an Grausamkeit übertroffen. Die Kolonialherren hinterließen nach ihrem Abzug Chaos, Armut und Unordnung. Die heutige Situation der Süd-Nord-Migration gehört zu den Folgen, die nun die Staaten des Nordens kalt erwischt. Und schon wieder wollen manche ethnische Säuberungen in Form von Umsiedlungsprogrammen durchführen. Manche werden nie gescheiter.
Gut geschriebener Text.
LG Gina

 Quoth antwortete darauf am 18.01.24 um 07:28:
Ja, Deutschland und Italien - die erst Nationen wurden, als der koloniale "Kuchen" schon so gut  wie verteilt war ... Und autoritär, wie sie waren, konnten sie mit einem Prinzip wie "Home Rule" nichts anfangen ... Danle für die Empfehlung mit Kommentar!

 Graeculus (18.01.24, 16:52)
Das steht offenbar in der Tradition des Madagaskar-Plans für die Juden seitens der Nationalsozialisten. Liegt also für gewisse Kreise nahe.

 Quoth schrieb daraufhin am 18.01.24 um 19:34:
Vielleicht noch zu früh, um es in einer Fiktion zu spiegeln.

 Mondscheinsonate (19.01.24, 01:30)
Vom Winde verweht. Ich mag deine Adjektive und Nomen. Ich hatte mal das Vergnügen, in so einem Haus zu wohnen. Kein Vergnügen, wenn man auf das Klo musste, das war ein Weg. :D
Deine Gabe zu erzählen ist bemerkenswert.

Kommentar geändert am 19.01.2024 um 01:31 Uhr

 Quoth äußerte darauf am 19.01.24 um 10:18:
Vom Winde verweht ... Tatsächlich sah ich den ersten Teil der Verfilmung (zum dritten Mal) kurz vorher - einschließlich des Warnhinweises, dass er die Sklaverei verharmlose. Danke für den Kommentar.
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