Eine Gewissensfrage

Text

von  Mondscheinsonate

Die New York Times hat eine interessante Frage aufgeworfen:


My boyfriend said he`d save our cat but not a stranger if both were drowning. 


Ich denke, theoretisch würde ich auch denken, ich würde meine Katze zuerst retten, aber in der Realität den Fremden. Katzen können schwimmen. Die Liebe/Bindung nötigt einen förmlich dazu, zuerst an die Katze zu denken. Das ist nicht verwerflich. Übrigens waren 98% der Kommentare für die Katze. 


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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (22.04.24, 13:26)
Lautet die Frage "Was täten Sie?" oder "Was sollte man tun?"? Nur die zweite Frage ist eine ethische. Und da ist die Antwort nach den beiden gängigen Ethiken - derjenigen Kants und der des Utilitarismus - klar: den Menschen. Mit unterschiedlicher Begründung.
Daß viele Menschen (wirklich 98 %?) etwas anderes täten, zeigt, daß sie nicht nach ethischen Grundsätzen, sondern nach Neigung, Zuneigung handeln.
Daß sie dazu "förmlich genötigt" würden, bestreitet Kant: Die Neigung kann den freien Willen nicht nötigen.

Interessant ist Kants Argument: Wenn Du selbst dieser entrinkende Fremde wärst, für welchen Grundsatz würdest Du plädieren? Klar. Dann aber im umgekehrten Fall - als Katzenbesitzerin - einen anderen Grundsatz zu vertreten, ist ein Widerspruch und daher unethisch: einmal "Menschen zuerst!", einmal "Menschen nicht zuerst!"

Das ist eine philosophische Antwort. Die Psychologie sagt dazu vermutlich etwas anderes.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 22.04.24 um 13:34:
Tatsächlich 98%. Die Frage war keine formulierte, sondern als Statement getarnt. Darauf reagierten die User mit ihren Gedanken. Einer schrieb:"Meine Frau sagte, sie würde aus dem brennenden Haus zuerst den Hund retten, denn ich weiß mir selbst zu helfen. Sie wohnt jetzt alleine mit ihrem Hund."

 Mondscheinsonate antwortete darauf am 22.04.24 um 13:36:
Nachtrag, ich fand es aber selbst erschütternd, dass ich kurz darüber nachdenken musste.

 Graeculus schrieb daraufhin am 22.04.24 um 13:43:
Ein Philosophieprofessor und bekennender Utilitarist hat mir einmal in einem etwas anders gelagerten Fall ernsthaft gesagt, er würde eher zehn Fremde als seine Frau retten. Utilitaristisch ist das ganz konsequent, den bei zehn Leuten steht mehr Glück/Leid auf dem Spiel als bei einem einzelnen Menschen.

Was seine Frau, eine Psychologin, dazu sagt, weiß ich nicht. Verheiratet sind sie jedenfalls noch.
Jedenfalls kommt man bei Anwendung ethischer Grundsätze zu ganz anderen Antworten, als es die Intuition nahelegt. Aber Ethik hat es halt nur mit dem zu tun, was geschehen sollte.

 Mondscheinsonate äußerte darauf am 22.04.24 um 13:51:
Das ist ja das Flugzeugbeispiel von Schirach. Stadion mit 40.000 oder Flugzeug abschießen mit 250, jedoch darunter ist die eigene Tochter. Ganz schlimm.

Antwort geändert am 22.04.2024 um 13:51 Uhr

 Graeculus ergänzte dazu am 22.04.24 um 13:58:
Ja, das ist ein solches Beispiel. Hier geben Kant und Utilitaristen übrigens gegensätzliche Antworten. Bei Kant darf man das Flugzeug nicht abschießen (unabhängig von der Tochter), was immer die Terroristen dann mit dem Stadion machen (was ihre Gewissensentscheidung ist) - denn man würde andernfalls die Flugzeuginsassen zum bloßen Mittel zum Zweck machen.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 22.04.24 um 14:00:
Was würdest du tun?
Ich denke, ich würde das Flugzeug abschießen und dann mich erschießen, weil der Schmerz nicht aushaltbar wäre. Nur so eine Vermutung.

 Graeculus meinte dazu am 22.04.24 um 14:18:
Es würde Dich zerreißen, das glaube ich. Hoffentlich kommst Du nie in eine solche Lage!

Was ich täte? Ich weiß es nicht, weil ich nicht weiß, ob ich das täte, was ich tun sollte. Was ich tun sollte, beziehe ich von Kant, nicht vom Utilitarismus, den ich für viel schwächer begründet halte. D.h. warum sollte ich so handeln? Das wird bei Kant viel besser beantwortet als im Utilitarimus.

Bei meiner starken Ablehnung von Gewalt, die ich zu verantworten habe, würde ich vermutlich das Flugzeug nicht abschießen - allerdings, und das ist entscheidend! - von anderen auch nicht erwarten, daß sie es täten, wenn ich oder ein mir nahestehender Mensch sich im Stadion befänden.
Verstehst Du? Dieser Zusatz ist ganz wesentlich. Moralisch gesehen darf es keine Rolle spielen, in welcher Situation ich persönlich mich befinde. Der ethische Standpunkt ist "the point from nowhere", ein neutraler Blick auf die Lage. Alles anderes ist Egoismus und hat mit Moral nichts zu tun.

Man kann das natürlich dennoch machen, und ich bin nicht in der Position, andere zu be- oder verurteilen. Aber die moralische Frage richtet sich an einen selbst.

 FrankReich (22.04.24, 13:38)
Träte der Fall tatsächlich ein, dass jemand den Tod eines Menschen dadurch, dass er zuerst seine Katze rettete, verschuldet hätte, wäre das doch eigentlich als unterlassene Hilfeleistung zu werten, also m. E. schon als Gedanke verwerflich, das Risiko seines Ertrinkens einzugehen und zudem wäre da noch das Recht eines jeden Menschen auf Leben. 🤔

 Mondscheinsonate meinte dazu am 22.04.24 um 13:48:
Gesetzt den Fall, es würde jemand mitbekommen, ja. Aber im Strafrecht gibt es auch Freisprüche,bei extremen Notlagen einen Menschen zu opfern. Zb auf einem Boot. Die Katze zuerst zu retten fällt nicht darunter. Das Problem ist nur, dass man, während man überlegt, den Schmerz spürt, über den Verlust des Tieres und so wird man automatisch zur unmenschlichen spontanen Antwort verführt.

 FrankReich meinte dazu am 22.04.24 um 15:31:
Interessant dazu ist folgender Hinweis auf einen Artikel, der leider in die Leere führt:

Tierliebe ist eine heimliche Selbstliebe. Die Tiere dienen uns als narzisstischer Spiegel. Und zum Narzissmus tritt klammheimlich der Egoismus hinzu: Man schafft sich ein Tier an, um es den eigenen, meist seelischen Bedürfnissen nutzbar zu machen.04.01.2021


https://www.deutschlandfunkkultur.de › ...

 Auf Kosten von Hund und Katze - Tierliebe ist heimliche Selbstliebe


Falls diese Behauptung aber begründet sein sollte, wird natürlich ersichtlich, warum sich 98 % der Probanden für die Katze entschieden. 😂

Antwort geändert am 22.04.2024 um 15:33 Uhr

 Mondscheinsonate meinte dazu am 22.04.24 um 15:37:
Ich würde auch behaupten, ein Kind oder Partnerersatz für einige. Oh, ich stehe dazu, herrlich, ein Kätzchen zu lieben.
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