Prüfungsangst

Erörterung zum Thema Angst

von  EkkehartMittelberg

Ich habe Bekannte, die wegen Prüfungsangst lange brauchten, bis sie sich einer Prüfung stellten.

Zu meiner Studienzeit konnte man Fleißprüfungen machen. Wenn man sie bestand, wurden die Studiengebühren weitgehend erlassen. Daher meldete ich mich regelmäßig für solche Prüfungen und verlor immer mehr die Angst.

Ich stellte sogar fest, dass man den Ablauf von Prüfungen bis zu einem gewissen Maße zum Vorteil des Geprüften beeinflussen konnte, indem man zum Beispiel den Prüfer fragte, ob man ein Thema weiter ausführen dürfe, bei dem man sich kompetent fühlte oder indem man in der Bredouille mit Humor reagierte. Ich habe zum Beispiel einmal nicht wahrhaftig geantwortet, Lessings Laokoon gelesen zu haben. Tatsächlich hatte ich nur über Laokoon gelesen. Der pfiffige Professor fragte mich, wie dick das Buch sei. Ich nahm Daumen und Zeigefinger, beobachtete den Professor und korrigierte das ursprünglich zu knapp bemessene Volumen. Der Professor grinste und fragte mich zu meinem Glück nach einem summary des Inhalts.

Doch einmal hatte ich wirklich Prüfungsangst und konnte die Furcht nicht besiegen. Wer in Marburg Latein studierte, musste in einem Vorexamen einen komplexen deutschen Text möglichst fehlerfrei ins Lateinische übertragen. Meine Kommilitonen und ich bereiteten uns sogar auf Spaziergängen am Wochenende auf die Prüfung vor. Ich war so gut präpariert, dass ich sie ohne Probleme hätte bestehen müssen. Doch hatte ich mich in der frischen Frühjahrsluft so erkältet, dass ich am Tage der Prüfung Fieber hatte. Ich spürte, dass meine Denkfähigkeit eingeschränkt war und ging verunsichert in das schriftliche Examen.

Die Unsicherheit verlor sich nicht und ich glaubte die Prüfung vergeigt zu haben. Wegen des intensiven vorausgegangenen Trainings hatte ich aber tatsächlich nur wenige Fehler gemacht und habe das Examen sogar mit gut bestanden.

Mit Abstand zu meinen zahlreichen Prüfungen, die sich während meiner Berufstätigkeit fortsetzten, glaube ich heute, dass für eine gute Prüfung drei Faktoren zusammen kommen müssen: solide Vorbereitung, Gespür für die Intention des Prüfers und gute Nerven.



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Kommentare zu diesem Text


 Moja (29.04.24, 11:29)
Deine Erörterung erinnert mich an meine vergeigte Physikprüfung im ersten Studienjahr, Ekki. Zwar war ich bestens vorbereitet - Physik war mein Lieblingsfach - aber gestresst, zu dem Zeitpunkt zog ich in meine erste Wohnung,  renovierte, übernahm eine Hauswartsstelle, meine Nerven versagten, als ich vor der Prüfungskommission stand, totaler Blackout. Ich durfte die Prüfung drei Monate später wiederholen - und bestand mit guter Note. Dein Fazit trifft voll zu. Danke für diese geschenkte Erinnerung!
Schmunzelnd grüßt, Moja

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.04.24 um 11:38:
Merci, Moja, vielleicht sollte man einen Blackout sogar gestehen. Ich kann  mit kaum eine Prüfungskommission vorstellen, die nicht versuchen wird, dem Geprüften darüber hinwegzuhelfen.
LG
Ekki

 Teo antwortete darauf am 29.04.24 um 17:16:
Hi Ekki,
hochinteressantes Thema. Ich hielt es wie Kardamom...ich war vor Prüfungen hochnervös, als ich
begann, war ich ruhig und konzentriert. Spaßig ist der Beitrag von Regina von 17.02 Uhr. Ja, lernen nützt.
Lieben Gruß 
Teo

 Cathleen (29.04.24, 11:39)
Ich wär mal bei einer Abiturprüfung fast in Ohnmacht gefallen, als ich das Thema las. Mir fiel nichts, aber auch gar nichts dazu ein. Als ich dann in den Vorbereitungen kam, sah ich zu meiner Erleichterung zugelassene Literatur herumliegen. Geistesgegenwärtig schrieb ich aus einem der Bücher das Inhaltsverzeichnis ab und trug das, durchsetzt mit einigen auswendig gelernten Definitionen der Kommission vor. Dafür bekam ich dann das Prädikat Sehr gut.

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 29.04.24 um 11:59:
Ja, Cathleen, Geistesgegenwart ist die halbe Miete.

 Mondscheinsonate (29.04.24, 11:44)
Ah geh...zum Schluss... 40 Minuten Bürgerliches, 27 ECTS hat diese Prüfung. 27!

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 29.04.24 um 12:01:
Sei mir nicht böse, Cori, aber was sind ECTS?

 Mondscheinsonate ergänzte dazu am 29.04.24 um 12:13:
Punkte, die du mittlerweile erreichen musst, um ein Studium abschließen zu dürfen.

Antwort geändert am 29.04.2024 um 12:13 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.04.24 um 12:20:
Ich 
vermute, du willst mit den ECTS sagen: Entweder du weißt es oder du weißt es nicht?

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.04.24 um 12:20:
Ich 
vermute, du willst mit den ECTS sagen: Entweder du weißt es oder du weißt es nicht?

 Mondscheinsonate meinte dazu am 29.04.24 um 12:31:
Nein, ich will damit sagen, dass man für jede Prüfung starke Nerven haben sollte. Da nützt es nichts, dass "jemand alles kann". Dein Fazit ist also keine Überraschung.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.04.24 um 14:09:
Man kann freilich etwas für die guten Nerven tun, indem man sich gut vorbereitet und versucht, selbst Akzente bei der Prüfung zu setzen.
Fast jeder prüfende Professor reitet Steckenpferde. Es ist gut vor der Prüfung zu wissen, welche diese sind.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 29.04.24 um 14:29:
Das ja.

 Regina (29.04.24, 13:03)
Bei der Gehörbildungsprüfung an der Musikakademie gab es immer Leute, die angeblich im Voraus wussten, welcher Bachchoral drankommt. Diesen kopierten sich dann alle ins Miniformat und legten ihn in ihr Schreibzeug. Was aber kam dran? Ein anderer Choral. Da blieb nur hören oder raten.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 29.04.24 um 13:12:
Auch nicht schlecht.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.04.24 um 14:17:
Die gefährlichsten Prüfer sind die, die in der Prüfung beweisen wollen, wie eigenständig sie selbst denken. Da hilft nur Geistesgegenwart, die freilich schwer zu erreichen ist, wenn Angst herrscht.

 Regina meinte dazu am 29.04.24 um 17:00:
Es heißt, dass großzügige Lehrer strenge Prüfer sind und umgekehrt, was eine gewisse Logik hat.

 Regina meinte dazu am 29.04.24 um 17:02:
Eine Migrantenklasse fiel vor der Abschlussprüfung auf die Knie und fing an, zu Allah zu beten. Ich habe gesagt, dass Lernen auch keine schlechte Idee gewesen wäre,

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.04.24 um 17:09:
Ich habe die These von großzügigen Lehrern als strengen Prüfern auch öfter gehört.
Sollte sie zutreffe, kann ich mir diese Inkonsequenz nur so erklären, dass großzügige Lehrer sich ausgerechnet bei Prüfungen selbst zu korrigieren versuchen.

 Kardamom (29.04.24, 16:59)
Prüfungsangst ist wie Lampenfieber. Ich möchte sie nicht missen. Sobald die Prüfung gestartet ist, ist die Prüfungsangst weg.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.04.24 um 17:23:
So habe ich es öfter erlebt, Kardamom, aber es gibt wohl eine irrationale Angst, die so intensiv ist, dass sie das Denkvermögen außer Kraft setzt.

 Graeculus (29.04.24, 17:37)
solide Vorbereitung, Gespür für die Intention des Prüfers und gute Nerven.
Das sind wichtige Faktoren. Es kommt aber noch etwas hinzu: In meinem 1. Staatsexamen in Philosophie war eigentlich all das gegeben, ich bin auch kein besonders nervöser Prüfungstyp, aber ich hatte einen Blackout. Da ging selbst bei einfachsten Fragen plötzlich nichts mehr. Der freundliche Professor hat mir geholfen, so gut er konnte, er kannte mich ja auch, aber was ich darbot, war im Grunde indiskutabel. Bis heute weiß ich nicht, wie es zu sowas kommt, und helfe mir mit dem Bild von der unter Hochspannung durchknallenden Sicherung.

Später als Prüfer habe ich mich bei Schülern, deren Fähigkeiten und Arbeitseinsatz ich kannte, so verhalten, wie ich es bei meinem Professor erlebt hatte. Wenn ich allerdings wußte, daß der Kandidat sich mit einem Minimum an Arbeitseinsatz und Engagement durch die Oberstufe geschmuggelt hatte, dann hatte ich, zugegeben, auch schonmal ein anderes Gefühl.

Diesem Bemühen, einen Kandidaten auch in einer einzelnen und extremen Situation als Ganzen zu behandeln, wird übrigens heute immer mehr der Boden entzogen durch externe Prüfer, die den Betreffenden nicht kennen. Das soll der Objektivität dienen ... und führt doch, wie ich meine, eher zu einem Streß- als zu einem Wissens- und Könnenstest.

P.S.: Diese Stilübungen, von denen Du schreibst, haben mir den Spaß am Lateinstudium verdorben. Bis heute kann ich Deutsch --> Latein nicht. Meinen Respekt, daß Du das geschafft hast.

Kommentar geändert am 29.04.2024 um 17:46 Uhr

 Mondscheinsonate meinte dazu am 29.04.24 um 17:58:
Deutsch-Latein... ich auch nicht. Mein Professor hämmerte es ein, ging nicht.

 Graeculus meinte dazu am 29.04.24 um 18:13:
Und die Norm, an der man sich zu orientieren hat, ist immer wieder: Cicero, Cicero, Cicero.

Immerhin hat diese Erfahrung es mir ermöglicht, den folgenden Witz zu goutieren:

 

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.04.24 um 23:59:
Graeculus, einen Blackout von dir kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht ist es so, dass die Besten die Anforderungen an sich so hochschrauben, dass sie einer Selbstüberforderung unterliegen.
Die von dir angeführten Gründe sprechen auch aus meiner Sicht gegen externe Prüfer.
Ich möchte gerne wissen, ob die von Heinrich Mann kritisierten Professoren (Professor Unrat)  tatsächlich so arrogant und selbstüberheblich waren.  Die Karikatur ist auf jeden Fall ein besonderer Fund.

 Graeculus meinte dazu am 30.04.24 um 00:20:
Doch, diesen Blackout gab es einmal.
Und die externen Prüfer halte ich für einen Pseudo-Fortschritt. Bei Abiturklausuren wurde in der Spätphase meines Berufes der externe Zweitgutachter eingeführt, und in der Referendarausbildung (2. Staatesexamen) ist es inzwischen Standard, daß ein neutraler Fachleiter prüft; da ist sogar der Prüfungsvorsitzende ein Externer.

 AZU20 (29.04.24, 18:16)
Das sind wirklich  die wichtigsten drei Faktoren. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.24 um 00:02:
Merci Armin, wir beiden sind Wahlverwandte und stimmen deshalb sehr oft überein.
LG
Ekki

 Saira (29.04.24, 19:12)
Lieber Ekki,
 
ich kenne Prüfungsängste nur zu gut. Vor Prüfungen war ich, trotz guter Vorbereitungen, immer ein Nervenfrack gewesen. Auch habe ich den sogenannten Black-out kennengelernt, als ich morgens mit dem Fahrrad zur Schule fuhr und mein Drahtesel auf halber Strecke seinen Geist aufgab. Ich lief die restlichen ca. 2 km zu Fuß und kam vollkommen durch den Wind, aber noch rechtzeitig, zu einer wichtigen Klausur in Französisch. Zunächst las ich die Aufgaben und es herrschte eine gähnende Leere im Kopf. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit setzte mein Verstand wieder ein und ich gab eine gute Arbeit ab.
 
Deinen drei Faktoren kann ich nur zustimmen!
 
Liebe Grüße
Sigi

 Mondscheinsonate meinte dazu am 29.04.24 um 19:18:
Da ich unter euch als Einzige noch "mittendrin" bin, ihr habt euren Horror hinter euch, kann ich sagen, dass es immer darauf ankommt. Bei Klausuren, bei denen ich sehr gut vorbereitet bin, bin ich relaxed. Aber bei mündlichen Prüfungen dreh ich komplett durch. Ich nenne es aber selbst das "Zahnarzt-Syndrom", denn kaum sitze ich beim Zahnarzt im Stuhl, bin ich relaxed, weil ich es nicht mehr ändern kann... auch bei Prüfungen, tiefenentspannt. Komplett pervers.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.24 um 00:13:
Liebe Sigi, ich bin glücklich, bei Examina einen Blackout nicht kennengelernt zu haben. Ich werde aber in einem getrennten Text darüber berichten, dass ich mich einmal mit meinen Prüfern so angelegt habe, dass ein Streitgespräch entstand  und die Prüfung aus Gründen, die mir nicht mitgeteilt wurden, neu angesetzt wurde.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.24 um 00:21:
Cori, mich interessiert es sehr, ob es bei juristischen Prüfungen möglich ist, die Prüfer für ein Thema so zu interessieren, dass man  partiell die initiative als Prüfling ergreifen kann.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 30.04.24 um 00:30:
Ja, das ist bei manchen möglich. Im Unternehmensrecht sagte ich dem Prüfer (der ist sehr lieb), dass meine acht jährige Nichte schon weiß, was ein Prokurist ist, obwohl sie ihn noch Brokkulist nennt. Daraufhin sagte er:"Und jetzt erklären Sie es mir". Das war Manipulation pur :D

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.24 um 11:06:
Cori, das mit dem Brokkulist ist ein Superbeispiel für die Eigeninitiative, die man in einer Prüfung entwickeln kann. Man kann es Manipulation nennen, aber sie ist auf keinen Fall moralisch verwerflich.
In einer Prüfung sichtete der berühmte Germanist Trunz meine Daten. "Aha, Sie kommen aus Bockum-Hövel (Stadtteil von Hamm i Westf.). Da bin ich auch schon einmal ausgestiegen." Ich: "Dann haben Sie bestimmt das schöne Wasserschloss Ermelinghof besucht?" Er ließ sich nicht lange ablenken, aber die emotionale Basis für einen guten weiteren Verlauf war geschaffen.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 30.04.24 um 20:15:
Auch im Patentrecht wird es demnächst möglich sein. Der Prüfer erlaubt mir ein Thema herauszusuchen und will mit mir darüber diskutieren.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.24 um 20:24:
Die Regelung im Patentrecht mit dem zu wählenden Thema und der Diskussion finde ich sehr fortschrittlich, cori.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 30.04.24 um 21:22:
Ich auch, vorallem liebe ich das Patentrecht sehr.

 harzgebirgler (29.04.24, 19:15)
:) :) 
hallo ekki,

eine wichtige prüfung ist auch nicht ohne
der eingedenk man(n) sei, schiller zum lohne:

„Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
ob sich das Herz zum Herzen findet,
der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.“


lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.24 um 00:27:
Hallo Henning,

die Prüfung, von der du sprichst, ist vielleicht die wichtigste im Leben. Wird sie bestanden, findet man Kraft für alle anderen Examina.

LG
Ekki

 TrekanBelluvitsh (29.04.24, 22:21)
Ich denke, dass eine Prüfung letztlich immer ein sehr individuelles Erlebnis ist. Sie nimmt immer einen unerwarteten Verlauf, eben weil man sich so sehr auf sie vorbereitet, versucht das vor einem liegende zu Antizipieren - und dabei eigentlich immer falsch liegt.



Ich erinnere mich noch immer an meine mündliche Abiturprüfung in Geographie. meine Noten in dem Fach pendelten immer zwischen 2 und 1. Entsprechend ambivalent war das Gefühl vor der Prüfung für mich. Ich war selbstsicher UND befürchtete den Standard nicht halten zu können. Im Vorbereitungsraum erhielt ich die Unterlagen. Es ging um eine raumplanerische Analyse der Stadt Mumbay/Indien (damals noch Bombay genannt). Ich machte bessere und ärmere Stadtteile aus, gemessen an der Einwohnerdichte und überlegte mir entsprechende Anmerkungen. Die Vorbereitungszeit war schon mehr als zur Hälfte verstrichen, als mir die Idee kam, die Einwohnerdichte Mumbays mit der des Ruhrgebiets - meiner Heimat und eines deutschen Ballungsraums - zu vergleichen. Da fiel alles, was ich sagen wollte, wie ein Kartenhaus zusammen. Was ich für "bessere" Wohnviertel hielt, hatte in Mumbay eine Einwohnerdichte zwischen 1.200 - 1.000 Einwohner/km2, die "ärmeren" Viertel lagen zwischen 1.500 - 2.000 Einwohner/km2. Zum Vergleich: Im Ruhrgebiet lag sie um die 330 Einwohner/km2!

Der Rest der Vorbereitung und auch der Prüfung selbst verlief im hektischen Blindflug. Da kann ich mich echt nicht mehr an viel erinnern. Erzählte ich den Prüfern gar von meiner Fehleinschätzung bei der Vorbereitung? Ich vermag es nicht mehr zu sagen. Auf jeden Fall war ich nach der Prüfung niedergeschlagen. Ich war der festen Überzeugung, versagt zu haben, d.h. meinem Notenschnitt nicht entsprochen zu haben. Die Schuld dafür suchte ich bei mir und meinem Selbstbewusstsein, dass mich hatte arrogant werden lassen. Hätte ich von Anbeginn an den Vergleich gesucht und nicht gemeint, ich könne das "auch so" analysieren, wäre mir nicht so viel Vorbereitungszeit nicht verloren gegangen und ich hätte eine wohl strukturierten Vortrag anbieten können. Aber so war ich an meine Hybris gescheitert.

Es kam der Tag, an dem wir die Noten für die mündliche Prüfung erhielten. dazu mussten wir zu dritt in das Zimmer des Direktors und er nannte uns die Noten. (Weiß bis heute nicht, was das Prozedere sollte.) Der Direktor nannte meinen Namen und die Note: 15 Punkte - das Bestmögliche (1+). Verwirrt verließ ich sein Büro. Ich blieb noch eine Weile im Sekretariat stehen. Die Verwirrung nahm nicht ab. Also ging ich viel fest entschlossener als ich mich fühlte noch einmal in das Büro des Direktors und bat ihn, die Note noch einmal nachzuschauen. Zu meiner Überraschung blieb es bei 15 Punkten.



Diese Prüfung war eine wilde Achterbahnfahrt. Nichts entwickelte sich, wie ich es mir vorgestellt hatte. Vielleicht war meine erste Fehleinschätzung sogar von Vorteil. Denn nun konnte ich, aufgrund der mangelnden Zeit, mir keine große Gedanken mehr um das "Wie" machen, sondern konnte mich nur auf das verlassen, was ich wusste, eben das "Was". Und das war ganz offensichtlich nicht wenig. Ich beherrschte den Stoff. In dieser zeitlichen Drucksituation, die ich mir selbst geschaffen hatte, trat das zu Tage.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.24 um 00:40:
Lieber Stefan
ich freue mich mit dir über ein positives Erlebnis. 
Ich habe mit jeder weiteren Prüfung mehr Einfluss auf den Verlauf genommen. Ich denke, dass der Prüfling mit Willensstärke sein Wissen in den Fragehorizont bringen kann. Aber ich räume gerne ein: Wenn er dabei arrogant wirkt , hat er verloren.

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 30.04.24 um 00:46:
Zu jemandem, der sich wirklich gut in etwas auskennt, gehört auch immer ein wenig Demut gegenüber dem Fachbereich. Weil jeder Experte immer weiß, dass er nicht alles weiß.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.24 um 09:34:
Wer wollte dem nicht zustimmen, Trekan? Sokrates lässt grüßen.

 lugarex (30.04.24, 10:25)

Mathematik – für einen Architekten ein Muss oder ein Überfluss.

Horror für mich – mehr oder weniger – ich ging in die künstlerische, nicht statische Richtung der Architektur, aber Mathe war Bedingung in tieferen Semestern, man musste durch, ob man wollte oder nicht. Gemischte Gefühle habe ich im Vorprüfungssex mit der ehemaligen Kommilitonin getaucht. Entschlossen ging ich zur Prüfung. Etwas von den Integralen oder Derivaten habe ich da gerade gedichtet, als Professorin unterbrach mich: “Was haben Sie da in der Hand?” Ich habe ganz vergessen, dass ich eine kleine Zitrone quetschte, die mit ihrer Spitze an die Spitze der Brustwarze meiner Freundin erinnerte und mir ein befriedigendes Gefühl verlieh. Schuldbewusst öffnete ich Hand und präsentierte die Zitrone, statt des vermuteten Spickzettels. Reaktion der Professorin hat mich total gelegt: “Geben Sie ihr Testatheft her…” und schrieb sie “gut”.

Ich kam weiter…

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.24 um 11:15:
Wieder ein schönes Beispiel für Menschliches in Prüfungen, Luga. Die gepresste Zitrone war vermutlich für die Professorin ein Symbol für Stress und sie wollte dich nicht überfordern.
Krakel (36)
(30.04.24, 13:50)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.24 um 14:02:
das stimmt, Krakel. Mir wird immer mehr bewusst, dass die Faktoren einander bedingen.

LG
Ekki

 Agnetia (01.05.24, 21:13)
Prüfungsanst hatte ich Gott sei Dank nie, Ekki. Dein Text aber zeigt nachhaltig, wie belastend so etwas sein kann.
LG von Agnete

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.05.24 um 12:32:
Merci, Monika, die Chancen sind groß, dass man diese Angst in den Griff bekommen kann.
LG
Ekki

 plotzn (03.05.24, 09:25)
Deinem Fazit stimme ich voll zu, lieber Ekki.

Gegen die Nervosität hilft auch noch Erfahrung bzw. Üben. Je mehr Prüfungen oder Vorträge ich "durchgemacht" habe, umso mehr hat sich mein Lampenfieber gelegt.

Herzliche Grüße
Stefan

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.05.24 um 12:36:
Gracias, das sehe ich auch so, Stefan. Es gibt Muster, die mit jeder Prüfung wiederkehren und darum beherrschbar werden.
Herzliche Grüße
Ekki
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