Gibt es einen Gott

Text

von  Beislschmidt

Gibt es einen Gott?

Gibt es einen Gott?“ fragte er und ich musste mich weit zu ihm hinunterbeugen, um das letzte Wort zu verstehen. Er lag da wie ein Bündel Knochen, welches mühsam durch ein paar Hautlappen zusammengehalten wurde. Ich versuchte möglichst nicht auf seine Arme und Beine zu schauen, die spitz und seltsam abgespreizt auf dem Laken lagen. Vielmehr konzentrierte ich mich auf sein Gesicht, das zwar fahl und eingefallen war, sich aber mir mit einer hohen Konzentration und Dringlichkeit entgegen wandte.

„Ja“, sagte ich, ohne lange zu überlegen und wusste sofort, dass er meine Lüge durchschaute. Ich hatte ihn aber falsch eingeschätzt, denn er begann meine Worte zu verarbeiten, indem er seinen Kaumuskel angestrengt bewegte.

„Dann hol mir diesen Pastor“ sagte er auf einmal und gleich darauf - „nicht, dass du denkst, ich hätte Schiss hier den Abgang zu machen, aber ich habe mein ganzes Leben auf der falschen Seite gelebt. Und jetzt beeil dich. Geh! Schnell“.

Ich wusste natürlich, dass ich keinen Pastor mehr auftreiben könnte, um zwei Uhr früh. Jörg, die Nachtwache, war auch ziemlich ratlos.

„Hast du den Schlüssel für die Kapelle?“ fragte ich Jörg.

Er zögerte, als er sagte „du kannst ja mal diesen hier probieren, möglicherweise passt er“.

Ich fuhr mit dem Aufzug nach unten und probierte den Schlüssel. Die Tür zur Kapelle öffnete sich langsam und ich ging gleich in den hinteren Technikraum. Ich überlegte kurz welche Amtsrobe ich nehmen solle, dann entschied ich mich für die katholische. Rot-weiß-gold fand ich in diesem Moment feierlicher und angemessener, als das puritanische, triste schwarz.

Ich nahm die Robe und lief schnell zurück zum Aufzug.

Jörg sagte„ ich hoffe, du weißt, was du tust“.

„Das weiß ich ganz genau“, sagte ich und betrat leise das Zimmer von Dieter Weiland. Ich streifte die Robe über den Kopf und näherte mich dem Bett. Dieter konnte keine Banane mehr auf 30 cm Entfernung erkennen, der Tumor hatte die Macht über seinen Kopf längst übernommen. Ich nahm behutsam seine Hände und fing an etwas zu murmeln. Ich hatte mir bei den Gottesdiensten ein paar Worte gemerkt und ich fing an leise zu beten …. dominus … wo bist du und …. in nomini padre - dazwischen senkte ich die Stimme und murmelte sehr leise. Ich fürchtete, er würde den Betrug bemerken aber sein Gesicht schien sich zu entspannen und gerade, als ich ihm ein Kreuz mit seiner Waschcreme auf die Stirn malte, erschien ein blaugrünes Licht direkt vor mir, welches sich meiner Hand bemächtigte und mich zu führen begann. Gleichzeitig setzte eine Sprache ein und meine Stimmbänder fingen an eigenmächtig zu beten. Es war irgendeine Liturgie auf Latein und das Licht breitete sich weiter und weiter aus, bis es das Gesicht von Dieter ganz umschloss. Ein leichtes Lächeln lag jetzt auf seinem Gesicht und seine Augen schienen einen festen Punkt zu fixieren. Ein paar Sekunden später entkrampfte sich der abgemagerte Körper und die Augen verloren langsam ihren Glanz. Das seltsame Licht verblasste und ich spürte wieder meine Hand, die leicht zitterte.

„Hast du das gesehen?“, fragte ich Jörg.

„Was?“, fragte er.

„Na das Licht“, sagte ich aufgebracht.

„Was fürn Licht – spinnst du jetzt oder was?“


Ich nahm die Robe unter den Arm und verließ das Zimmer.

Im Hinausgehen sagte ich leise, „ja, es gibt ihn“.

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (29.04.24, 12:53)
Da spielt einer Pastor und schon gibt es einen Gott. Schön, dass der Text sich nicht im Theoretisieren verliert, sondern ein Erlebnis beschreibt.
LG Gina

 Beislschmidt meinte dazu am 29.04.24 um 13:57:
Man könnte auch sagen, den letzten Wunsch erfüllt mit etwas Sarkasmus. Ist das schon Blasphemie oder läuft es unter der Zweck heiligt die Mittel? 

Oder könnte man es wie Feuerbach sehen, der sagte: "Die Grunddogmen des Christentums sind erfüllte Herzenswünsche – das Wesen des Christentums ist das Wesen des Gemüts".Und weiter, inwieweit ist es zumutbar innerhalb dieser Grenzen zu argumentieren, bis hin zur Frage ob es Platz für einen solchen Betrug gibt. Ich bin mir da nicht sicher.
Beislgrüße 

Antwort geändert am 29.04.2024 um 13:58 Uhr

 Teichhüpfer (29.04.24, 16:46)
Ich glaube schon, daß Gott vielfach im Universum seine Herkunft hat. Da wachsen eben im Universum nicht nur Einer von auf. Wir sind da irgendwie fehl am Platz. Das wird ja mit dem Sündenfall erklärt. Es gibt da Fragen, wer ist der Älteste, wer ist der Stärkste und und und.

 Beislschmidt antwortete darauf am 29.04.24 um 16:52:
Das ist ja hochphilosophisch Teichi und erinnert an Thomas von Aquin.
Beislgrüße

 Teichhüpfer schrieb daraufhin am 29.04.24 um 23:04:
Die Angst vor Maschinen, sagen wir Mal, alles ist wie eine Maschine, seit der Industrialisierung. Das müsste eigentlich zum Problem von uns allen geheilt werden.

 EkkehartMittelberg (29.04.24, 16:59)
Vielleicht verzeihen Atheisten diesen barmherzigen Betrug eher als Gläubige.

LG
Ekki

 Beislschmidt äußerte darauf am 29.04.24 um 21:12:
Besser könnte man es nicht in einem Satz zum Ausdruck bringen, Ekki.
Beislgrüße

 Tula (30.04.24, 01:07)
Hallo Hans
Die Antwort auf die Frage muss sich jeder selbst suchen. Jedenfalls ist das eine gelungene, unterhaltsame Kurzprosa.

LG Tula

 Beislschmidt ergänzte dazu am 30.04.24 um 07:10:
Hallo Dirk,
Ich danke dir und ja, unterhaltsam können auch sperrige Themen sein. Das ist es doch, warum wir hier schreiben und manchmal auch streiten.
Beislgrüße

 AchterZwerg (30.04.24, 06:46)
Lieber Beisl,
ich finde den Text um eine wirklich barmherzige, gute Tat ganz wunderbar!
Glaube ohnehin (und erhoffe mir das auch von den Göttern), dass ein wahrhaftiges Motiv mehr bewirkt als eine der vielen Wahrheiten.

Vielleicht spricht das Gute aus sich selbst und verändert alles.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 30.04.24 um 06:50:
Ich schließe mich an.

 Beislschmidt meinte dazu am 30.04.24 um 09:03:
Hallo Heidrun und Mondscheinsonate,
Ich habe den Text so angedacht, dass die gute Tat Im Vordergrund stehen sollte, unabhängig von der religiösen Zuweisung und das ist auch der Grund, warum ich den Teilchenbeschleuniger von Cern als Bild gepostet habe. Wir wissen einfach zu wenig über das Universum und mit Göttern hatten schon die Griechen ihre Deutungslast. 
Beislgrüße

Antwort geändert am 30.04.2024 um 09:03 Uhr
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