Todesgefahr

Satire zum Thema Angst

von  tastifix

Todesgefahr

„Mama, kommst du ´mal?“
Schreckensbleich erschien meine Tochter Nicolette in der Küche. Sie hatte unten im Keller am Computer im Hobbyraum gearbeitet.
„Wieso?“ Ich ganz erschrocken. „Was ist denn mit dir los?“ So, wie meine Tochter aussah...schwante mir nichts Gutes.
„Im Hobbyraum saust so`n großes laut brummendes Vieh schon die ganze Zeit gegen die Lampen. Ich hab` keine Ahnung, was das ist!“
Prompt hatte ich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend.. Ich überlegte:
„Mücke...nein, Quatsch. Nicki hatte ja gesagt `groß`!“
Besser, ich sah nach.
Der Gedanke an das, was außer jenen Ministechviechern noch so alles durch den Garten flog, sorgte bei mir für erheblich üble Gefühle. Horrorvisionen quälten mich. Ja, die Lage war todernst. Es ging um unser aller Leben.

Ich besaß die Frechheit, mein ohnehin bibberndes Töchterchen auch noch unter Druck zu setzen.
„Ich marschiere doch da jetzt nicht alleine runter...na los, komm mit!“
Mit einer dicken Zeitung bewaffnet schlich ich auf leisen Sohlen Stufe für Stufe langsam die Treppe hinunter in den Keller, Nicki im sorgsamst gewahrten Sicherheitsabstand von mindestens zwei Stufen zögerlich hinterdrein. Vorsichtshalber schaute ich nicht rückwärts in ihr ängstliches Gesicht. Sonst wäre ich Bangebuxe unter Garantie sofort wieder umgekehrt.
„W..wo denn?“
Noch sah ich nichts.
Doch an der Türe des Hobbyraumes blieb ich wie erstarrt stehen. Von wegen Mücke! Da surrte eine sichtlich nervöse große deutsche Wespe gegen die Leuchtstoffröhren an der Decke. Wieder und wieder. Ein wahrlich entzückendes Exemplar von mindestens vier Zentimetern Länge. Angezogen von der Helligkeit und auf der verzweifelten Suche nach Freiheit. Ja, sie schien wirklich total verzweifelt. Der sollte man besser jetzt nicht zu nahe kommen.

Inzwischen hatte sich uns Tina zugesellt, das ältere meiner 20-jährigen Zwillingsmädchen. Nicki und ich brauchten nichts zu erklären. Ein einziger rascher Blick zur Decke reichte ihr. Jetzt stand da Oberangsthase Mama plus zweifachem ebenso furchtsamen Anhang. Wessen Beine mehr schlotterten, war kaum mehr auszumachen.
Ich kläglich zu Nicki:
„Wie kriegen wir denn die bloß hier wieder ´raus? Töten will ich sie nicht. Nur...falls die uns erwischt...!“
„Lass uns doch die Lampen ausschalten. Die will ja ins Helle. Haben wir Glück, fliegt sie dann von sich aus in die obere Diele. Von dort aus kannst du sie leichter nach draußen scheuchen.“
Das war Nicki.
Meine Gehirnwindungen arbeiteten auf Hochtouren: „Hört, hört...du(!!) hatte Töchterchen soo nett gesagt.

Hoffen stand in Nickis Gesicht.
Ich hoffte auch.
„Hoffentlich findet auch Wespchen diesen Plan gut!“, brummelte ich.
Tina sagte gar nichts dazu. Ihr hatte dieses Horrorszenario buchstäblich die Sprache verschlagen.

Geplant, getan. Urplötzlich mutierten wir drei zur super mutigen Miniarmee. Drei Menschen contra Killerwespe. Während ich das Ungetüm mit einem flehend hypnotisierenden Blick `bitte, bitte bleib noch einen kurzen Moment lang da, wo du jetzt bist!` auf seinen Platz zu bannen versuchte, knipste ich gleichzeitig hastig das Licht im Hobbyraum aus.

Doch danach: Feige geht die Welt zugrunde:
Wir klemmten die Beine unter den Arm und flitzten nur so die Treppe hinauf nach oben. Ich schnappte mir im fliegenden Lauf noch Hund „Knödelchen“(Die Wespe war schließlich kein durch die Luft segelndes Bällchen!) und verbarrikadierte mich mit Töchtern plus Vierbeiner im Wohnzimmer hinter der dann fest verschlossenen Tür.

Wenige Minuten später:
„Mama, ob die wohl jetzt bereits hier oben ´rum spukt...?“
Eine geradezu infame Suggestivfrage. Das hieß doch nichts anderes als: „Guckst du ´mal nach?!“
Reizende Kinder! Schickten in solch einer lebensbedrohlichen Situation ihre Mutter in die Arena. Und auf Grund ihres fast erwachsenen Denkvermögens wiegten die sich auch noch zu Recht in der Sicherheit, Mama gäbe sich garantiert keine Blöße und riskierte tatsächlich einen Blick durch die Tür. Die kannten mich. Ein paar Sekunden danach schielte ich mit klopfendem Herzen durch den aber wirklich dann nur handbreiten Türspalt, ließ meinen furchtsamen Blick die Decke und die Wände entlang wandern, fand aber nichts. Das wiederum trug nicht gerade zu meiner Beruhigung bei. Wo zum Teufel...war das Biest??

Tina, inzwischen der Worte wieder mächtig:
„Da es hier oben nicht brummt, ist die immer noch im Keller!“
Ich – recht beeindruckt:
„Von wem bloß hast du diese überragende Intelligenz geerbt...?“
Meine schlagfertige Tochter grinste vielsagend:
„Wenn ich das nur wüsste...!“

Etwa eine Viertelstunde hockten wir Vier wie ein Häufchen Unglück im Wohnzimmer, argwöhnisch den Zwischenraum Tür-Boden bewachend. Nicht, dass Madame Wespe sich noch da durchmogelte...bloß das nicht! Wir hätten uns in unserer Angst selbst darüber kein bisschen gewundert. Immerhin hatte die in unserem Haus bereits eine mehrstündige Diätkur hinter sich und garantiert auch inzwischen die berühmte Wespentaille. Nicki:
„Mama, und...jetzt?“
Donnerwetter, mein Nachwuchs machte sich ja ebenfalls Gedanken, wie es weitergehen sollte.
Da unsere Aktion dermaßen fehlgeschlagen war, dieser ungeliebte Gast unsere höfliche Einladung ins Erdgeschoss einfach ignoriert hatte, brauchte es denn doch eine brutalere Taktik, um diese summende Bedrohung endgültig wieder los zu werden.

„Hääh...was willst du denn damit?“
Entgeistert starrte Tina auf den Milchtopf in meiner Hand. 
„Drüber stülpen, was sonst!“
Ihren Blick darauf übersah ich tunlichst.
Als todesmutige Kriegerin mit Panik bis in die Haarspitzen kämpfte ich mich Stufe für Stufe nach unten. Hinter jedem Bild an der Wand, in jeder x-beliebigen Ecke könnte sie sitzen, nur darauf lauernd, wann wir uns zeigten, um dann wie eine Minirakete hervorzuschießen  und einen wütenden Überraschungsangriff zu starten. Mein Herz hämmerte wie verrückt.
Das Schicksal aber meinte es gut mit mir. Jeden Winkel hatte ich durchforstet. Nichts. Reichlich frustriert warf ich zu guter Letzt einen scheuen Blick auf unseren Teppichboden. Und frohlockte...

Ganz offensichtlich total groggy von der panischen Fliegerei und arg mitgenommen wegen des mehrfachen Kontaktes mit den heißen Lampen im Hobbyraum saß Madame Wespe völlig regungslos etwa einen halben Meter entfernt von mir auf dem Boden. Bei ihrem Anblick traten mir Schweißperlen der Furcht auf die Stirn.
„Was, wenn die jetzt ihre letzen Kräfte mobilisiert und mir ins Gesicht saust...??“
Ein Schritt und noch ein zweiter auf sie zu. Dann:
„Kinder, ich hab` sie!!“
Mit letztem Mut hatte ich ihr per kühnem Schwung meinen Milchtopf übergestülpt. Peng! Triumph. Das Minimonster war gefangen, wir gerettet. Aufatmend und auch irre stolz sah ich meine Töchter an. Deren Gesichter gewannen ganz langsam wieder an gesunder Farbe. Beim Blick zurück auf den schmalen, hohen Topf schoss mir ein da wirklich mehr als blödsinniger Gedanke durch den Kopf:
„Ist das jetzt ´Zylinder mit Wespe` oder etwa doch eher `Wespe mit Zylinder`??“
So ganz überstanden war es noch nicht.
Es blieb ein kleines Risiko. Tinas Zwillingsschwester Katja, unser Nesthäkchen, hatte von all dem so gar nichts mitbekommen. Sie lag noch friedlich in ihrem Bett und träumte wie üblich selig dem Mittag entgegen.
„Hoffentlich kommt Kati gleich nicht schlaftrunken die Treppe runter. Die stolpert doch garantiert über den leichten Topf und stößt ihn um. Ich krieg dann bestimmt wieder zu hören ´„Entschuldige Mama, habe ich leider nicht gesehen!“ `
„Und“, setzte ich hinzu, „wie darauf die Wespe reagiert, will ich mir lieber nicht ausmalen. Die hat ja jetzt da unter ihrem Topf mehr als genug Zeit gehabt, sich körperlich und psychisch zu erholen.“
Entsetzer Blick meiner beiden Töchter.
„Oh oh, das wird dann bestimmt echt lustig, Mama!!“, kam von Nicki.

Als zusätzlicher Rettungsring fiel mir der schwere Schnellkochtopf ein.
„Da kann Kati ruhig gegen bullern. Der hält deren Stolperattacken stand. Und Wespchen kann den selbst bei extrem stürmischen Versuchen, seinem dunklen Gefängnis zu entfliehen, nicht anheben. Eine gute Idee...??
Flehender Blick zu meinen Kindern:
„Bitte, bitte sagt doch ja!“
Tinas Kommentar dazu:
„Wirklich genial, Mama!“
Ich wurde das unbestimmte Gefühl einfach nicht los, dass das ironisch gemeint war. In banger Erwartung dessen, was noch folgen könnte, holte ich einmal tief Luft. Aber...ich fasste es nicht: Keine detailliertere Stellungnahme meines Töchterchens. Schonfrist für Mama.

Fix holte ich mir das besagte Gefäß.
„Mensch, warum muss ´nen Schnellkochtopf denn so schwer sein...?“
Mit ihm bewaffnet, wanderte ich schon mutiger geworden zurück in den Keller zum Milchtopf und verpasste diesem mit einem zweiten dann noch lauteren `Peng!` seine gewichtige Mütze.

Gerade noch rechtzeitig. Denn da hörte ich schon Katja die Treppe herunter hopsen.
„ Du, Kati, im Keller vorm Hobbyraum steht der Schnellkochtopf auf dem Boden. Dadrunter sitzt eine Wespe. Tritt bloß nicht gegen den Topf, sonst sind wir arm dran!“

Erstaunlich: Katja schien tatsächlich schon wach genug, um zu verstehen. Ihre Antwort: ein verständiges Nicken. Wirklich beschrieb sie dann auch einen weiten Bogen um diesen Wespengefängnishochsicherheitstrakt herum. Dies war der Beweis: Ja, sie war wach. Ums Wohlergehen des Insektes machte ich mir übrigens die geringsten Sorgen. War auch unnötig. Monsterchen bekam mehr als genug Luft unter seinem doppelten Zylinder und gekocht wurde es auch nicht.
Doch schon plagte mich neues Kopfzerbrechen. Diesmal zum Teil aus Tierliebe. Und das sogar Stechexemplaren gegenüber...?!
„Gebt mir doch ´mal einen Tipp, wie wir dieses Vieh gesund in die Freiheit entlassen können, ohne aber letztendlich doch noch ein ausgesprochen schmerzhaftes Abschiedsgeschenk entgegen nehmen zu müssen!“
Verlegenes Schweigen. Dann meldete sich Kati zu Wort:
„Schieb doch vorsichtig etwas drunter. Dann kannst du sie ´raus tragen.“

Rasch holte ich mir aus der Küche die flache Metallscheibe, mit der ich sonst immer um Kuchen vom Backblech löste. Den Schnellkochtopf verfrachtete ich zurück an seinen angestammten Platz. Meinen Milchtopf im Keller hob ich seitlich etwas an und schob die Scheibe Zentimeter für Zentimeter vorsichtig unter den Topf. Sehr mit Bedacht, denn:
„Nicht, dass die Wespe im allerletzten Moment...!“
Aber sie war anscheinend sehr sozial veranlagt und krabbelte brav auf die Scheibe. Schnell trug ich mein Scheibe/Milchtopf-Gebäude nach draußen vor die Haustür und setzte es mitten auf dem Kopfsteinpflaster unseres Weges ab. Meine liebe Kinderschar hatte sich übrigens stillschweigend geeinigt, mich da lieber allein agieren zu lassen.

So ganz auf mich selbst gestellt, raffte ich notgedrungen all meinen Mut zusammen, riss hastig den Topf mit der rechten Hand in die Höhe, wagte dabei sogar einen flüchtigen Blick auf die Scheibe ´Gott sei Dank, die bleibt sitzen!“ `, flitzte im Affentempo zurück ins Haus und knallte sicherheitshalber die Eingangstür vehement hinter mir zu.

Atemlos stand ich da, kurz vorm Umkippen, den belustigten Blicken meiner Töchter ausgesetzt. Die waren ja in Sicherheit gewesen.
„Willst`e denn die Kuchenscheibe zur Freude der Nachbarn etwa da liegen lassen? Die sieht da auf dem Weg so vereinsamt ja einfach zum Wimmern aus!“
Das kam natürlich von Nicki.
Ich halb beleidigt:
„Quatsch. Aber ich warte noch ein wenig. Dann sehe ich nach.“
Ich gönnte mir noch die Frist von circa zwei so richtig schön langen Minuten. Doch wollte ich meine Kuchenscheibe eigentlich gerne wiederhaben. So fasste ich mir ein Herz “Jetzt!“ und schielte durch die halb geöffnete Haustür in Richtung der Scheibe.
“Ist die Wespe weg oder hockt die da immer noch...?“

Im nächsten Moment jubelte ich befreit los.
„Juhuuh, das blöde Biest ist weg!“
Frohen Herzens sagte ich mir, dass die Wespe sich zwischenzeitlich denn doch von diesem wohl größten Schock ihres bisherigen Lebens erholt und  schnellstens aus dem Staub gemacht hatte. Wahrscheinlich auf die Suche nach ihrer Familie. Ich dachte:
„Hoffentlich wohnt die(!) bloß nicht direkt in unserer Nähe!!“

Ich klaubte meine Kuchenscheibe vom Boden auf und marschierte mit letzter Kraft ins Haus. Drinnen lehnte ich mich total erschöpft an die Wand. Ich fühlte, wie meine innere Anspannung nachließ. Endlich Ruhe!

Zu früh gefreut.
Ein erschreckter Schrei Tinas von oben aus der Jugendetage:
„Mama, kannst du ´mal kommen?
In meinem Zimmer ist eine Wespe!!“

 







 


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