Integriert

Short Story zum Thema Alltag

von  Bellis

Das Telefon klingelt. Widerwillig löse ich mich vom Bildschirm und hebe ab. „Der Kaffee ist fertig!“, flötet meine Kollegin. Ich säusele ein „Danke“ und tippe weiter. Fünf Minuten später gehe ich nach nebenan.
Drinnen wurde bereits Kaffee eingeschenkt, Kuchen aufgeschnitten und Sahne zugereicht, jetzt wird („endlich!“) der Schlüssel herumgedreht. Eiferndes Schwatzen und künstliches Kichern übertönen das Klappern der Löffel. „Na? Wer morgens später kommt, muss nachmittags länger sitzen, wie?“, spitzzüngelt eine Kollegin. „Jetzt reicht´s leider nur noch für eine halbe Tasse.“ Ich lächle inszeniert und finde das nicht schlimm.
„Na, das wäre nichts für mich.“, moniert eine andere. „Ich bin lieber zeitig zu Hause. Sonst hat man ja nichts vom Tag!“ Ich weiß, weil sie´s erzählt hat, dass ihr Tag um neun Uhr abends endet, weil die Glotze nichts hergibt und sie sonst früh zu müde wäre, wenn sie halb sieben ins Büro fährt. Das ist in Ordnung – wenn sie´s so will. Tragikomisch ist nur, dass sie annimmt, dass ich nichts vom Tag habe. Gefragt hat sie mich danach nie.
„Haben Sie die neue Gratis-TV-Zeitung gesehen, die ich Ihnen hingelegt habe?“, fragt mich mein Gegenüber. „Wenn Sie sie nicht haben wollen, kann ich sie auch wegschmeißen...“ Ich beteuere, dass ich sie gern nehme (was stimmt) und bedanke mich. „Naaa-ja“, schnaubt sie, „ich dachte schon... Letzte Woche haben Sie auch nichts gesagt.“
Während eine weitere Kollegin erläutert, was die Gicht ihres Mannes verursacht, schaufelt sie Schwarzwälder Kirschtorte in sich hinein. Danach vergleicht sie die knotigen Hände ihres Gatten mit den arthrösen Armen unserer Chefin (die ihre Kaffeepause nicht mit uns verbringt). „Arthrose nennt man es in den Gliedmaßen, in den kleinen Gelenken aber Arthritis.“, instruiert sie uns. Ich starre sie mit schiefgelegtem Kopf an, während ich meine steifen Finger an meiner Tasse wärme, und hoffe, einigermaßen interessiert auszusehen. Das Thema langweilt mich. Jeden Tag wieder.
Irgendjemand stopft Watte in meine Ohren und das Plappern ebbt zu einem Murmeln ab. Mein Blick fliegt durch das professionell gereinigte Fenster in die Wolken und zieht mein Bewusstsein hinter sich her, das gerade noch denkt: Hoffentlich ist die Pause bald um. Zurück bleibt mein abwesender Gesichtsausdruck. Meine Kolleginnen nennen ihn abweisend. Ist das „i“ so deutlich zu erkennen? Egal. Sie drehen mir sowieso jeden Buchstaben im Mund um, um zu imperieren, indiskreditieren, infamieren... Ich ticke eben anders.
Mein Bauch knurrt und ich lande wieder unten in der Wirklichkeit. „Entschuldigung“, nuschele ich, „aber ich muss dringend auf´s Klo.“ Während ich mich scheinbar bedauernd erhebe, bin ich erleichtert, dass das Grummeln nicht zu überhören war. „Immer noch Gastritis?“, interpoliert meine gesundheitsbeflissene Kollegin. Ich nicke mit schmerzlich verzerrtem Mund und hoffe, dass das mein Grinsen kaschiert. Jetzt haben sie genug Gesprächsstoff. Diese intriganten intoleranten Impo-Tanten. Bin ich infiziert?
Ich grüble darüber nach, und schon während ich die Bürotür aufschließe, beginne ich wieder zu schreiben...


Anmerkung von Bellis:

08/2005

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Kommentare zu diesem Text

DerSteinchenwerfer (44)
(08.08.05)
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 Bellis meinte dazu am 08.08.05:
Wie tröstlich, daß Du meinen Text so tröstlich kommentiert hast und daß Du aus ähnlichen Situationen sogar Trost zu ziehen vermagst. Lebendig? Hast recht! Im Vergleich zu den Kollächinnen allemal! ;o)
ub136 (41)
(23.08.05)
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 Bellis antwortete darauf am 23.08.05:
Vielen Dank für Deinen mitfühlend-amüsierten Kommentar. ;o) Aber bitte nicht vergessen: Der Text wurde phantasievoll angereichert und das Lyr-Ich stimmt nicht zwingend mit meinem Ego überein. ;o)

 mondenkind (29.08.05)
bitter... :)
solche kollegen kenne ich nur zu gut. zum glück arbeite ich nun bei einer wilden latzhosen-horde, die mich mit solchem smalltalk verschont.
du hast meiin mitleid und eine grosspackung oropax... lg, nici :)

 Bellis schrieb daraufhin am 30.08.05:
Ich stelle mir gerade vor, was man sagen würde, käme ich mit einer Latzhose ins Büro... Vermutlich: "Na? Hat´s doch noch geklappt? Wann isses denn so weit?" Daß man Latzhosen auch "einfach so" tragen kann, gehört nicht in DIESE Welt - es gehört sich einfach nicht! ;o) Danke für das Oropax! :o)
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