Bernhard, Thomas:

Meine Preise

Eine Bilanz


Eine Rezension von  Dieter_Rotmund
veröffentlicht am 07.02.09

In unserer christlich geprägten Kultur gilt die Erfüllung des sogenannten „letzten Willens“ als heilig. Menschen, die eingeäschert werden wollen, werden verbrannt; Pudel-Liebhaberinnen wird nicht verwehrt, ihr Vermögen einem Tierheim zu spenden; manchmal machen Elternteile in ihren Testamenten Auflagen, die die Kinder erfüllen müssen, um an hinterlassenes Geld zu kommen.

Nur auf einem Gebiet wird dieses Gebot unterlaufen: In der Kunst. Prominentestes Beispiel ist der Wunsch des Schriftstellers Franz Kafka, seine unveröffentlichten Manuskripte mögen vernichtet und bereits erschienenes nicht nachgedruckt werden. Er schrieb:„Wenn ich sage, dass jene 5 Bücher und die Erzählung gelten, so meine ich damit nicht, dass ich den Wunsch habe, sie mögen neu gedruckt und künftigen Zeiten überliefert werden, im Gegenteil, sollten sie ganz verloren gehen, entspricht dieses meinem eigentlichen Wunsch“. Eigentlich eindeutig, doch herrscht heute offenbar Einigkeit darüber, dass Kafkas Herausgeber Max Brod der Welt einen Gefallen getan hat, indem er die Bitte des Freundes ignorierte. Wer ein wenig die morbiden Werke von Kafka kennt, der kann schon das Gefühl bekommen, eine derartige Verfügung würde gut dazu passe, dass Kafka heute nur in wenigen antiquarischen Schriften zu bekommen wäre. „Nur hindere ich, da sie schon einmal da sind, niemanden daran, sie zu erhalten, wenn er dazu Lust hat“ schreibt er abschließend. 2008 wurde sogar zum Kafka-Jahr ernannt und in der Heidelberger Universitätsbibliothek wurde man 12 Monate lang latent penetrant auf eine Kafka-Ausstellung im Obergeschoss hingewiesen.

Sehr unsensible Gemüter könnten argumentieren, dem Toten könne dies egal sein, er sei ja tot und würde „nichts mehr mitkriegen“. Vielleicht denken auch viele Lebende so, wenn sie ihren Nachlass regeln. Warum sich also die Mühe mit einem Testament machen? Vielleicht weil es einem ein Gefühl von Sicherheit gibt, das Gefühl, alles sei geregelt. So etwa, wie wenn man kurz nach dem Aufbrechen nochmals in die Wohnung zurückkehrt, um zu kontrollieren, ob alle Herdplatten ausgeschaltet sind, nur in etwas gewichtigeren Dimensionen.
Der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard (am 9. Februar 2009 wäre er 78 Jahre alt geworden, wenn er am 12. Februar nicht schon genau 20 Jahre tot wäre) gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Schriftstellern und Dramatikern des 20. Jahrhundert. Auch er hat ein Veröffentlichungsverbot für seine nachgelassenen Texte verfügt: "Aus meinem eventuell gleich wo noch vorhandenen literarischen Nachlass, worunter auch Briefe und Zettel zu verstehen sind, kein Wort mehr veröffentlicht werden" dürfe, schrieb er, eindeutiger als Kafka.
Auch dieser Wunsch wurde übergangen: Am 12. Januar 2009 erschien „Mein Preise“. Es geht darin ganz autobiografisch um die Auszeichnungen, die Thomas Bernhard während seines Lebens bekommen hat. Viele Preise hat er erhalten, am bekanntesten ist sein sogenannter Kleiner Österreichischer Staatspreis für Literatur, aber nicht, dass er ihn bekommen hat, sondern seine Dankesrede, während dieser der österreichische Kulturminister vorzeitig gegangen war. Die Rede ist im Anhang von „Meine Preise“ aufgeführt. Möglicherweise sind es die Sätze „Der Staat ist ein Gebilde, das fortwährend zum Scheitern, das Volk ein solches, das ununterbrochen zur Infamie und zu Geistesschwäche verurteilt ist“ und „Wir haben nichts zu berichten, als das wir erbärmlich sind“, die den Minister veranlasst haben, wutschnaubend und türschlagend den Saal zu verlassen.

Schon früh überkamen Bernhard Selbstzweifel. Zu einem seinem ersten Preise, dem Literaturpreis der freien Hansestadt Bremen bemerkte er: „Ich glaubte an dem Irrtum, Literatur sei meine Hoffnung, ersticken zu müssen. Ich wollte von der Literatur nichts mehr wissen. Sie hatte mich nicht glücklich gemacht, sondern in die stickige und stinkende Grube getreten, aus welcher es kein Entkommen mehr gibt, wie ich glaubte. Ich verfluchte die Literatur und meine Unzucht mit ihr“.
Bernhard geht bei seinen Schilderungen nicht immer chronologisch vor und seine Liste der besprochenen Verleihungen ist auch nicht vollständig. Dafür bekommt man aber einen höchst flüssig erzählenden und unterhaltsamen Text. Denn er erzählt nicht nur von den Preisgaben, sondern auch davon, was davor und danach geschah. Mit Vorliebe berichtet er, was er mit dem Geld gemacht hat. Das ist mitunter lustig, was bei einem Autor, dem immerfort fälschlicherweise unterstellt wird, er mache „immer alles so negativ“ (Volksmund) überraschend sein kann. Überraschend ist das aber nur für den, der zum Beispiel sein höchst amüsanten Roman „Holzfällen“ nicht kennt.
Was „Meine Preise“ nicht hat ist die den typischen langen Bernhardsätzen eigene Musikalität. Der Grund dafür ist, dass die Sätze in „Meine Preise“ nur eine durchschnittliche Länge haben. Leider ist das Werk nicht von durchgehend hoher sprachlicher Brillanz, die mehrmalige Verwendung des Wortes „Arschloch“ belegt es.

Er spricht nicht über alle Auszeichnungen maliziös, vom Literaturpreis der Bundeswirtschaftskammer ist er ziemlich angetan. Er bezieht ihn nicht auf sein literarisches Schaffen, sondern als eine Ehrung seiner Zeit als Kaufmannslehrling in Salzburg: „Ich fühlte mich unter den ehrwürdigen Herren des Kaufmannstandes ungeheuer wohl und ich hatte die ganze Zeit, die ich mit diesen Herren zusammen gewesen war, nicht den Eindruck, ich gehöre zur Literatur, sondern dass ich zur Kaufmannschaft gehörte.“ Er trifft dort den Präsident der Bundeswirtschaftskammer, der derselbe ist, der ihm 30 Jahre zuvor die Kaufmannsgehilfenprüfung abgenommen hat.
Die Bilanz des Thomas Bernhard: „Aber ich war doch die ganzen Jahre, in welchen noch Preise auf mich zukamen, zu schwach, um nein zu sagen. Hier hat, so dachte ich immer, mein Charakter ein großes Leck. Ich verachte die, die die Preise gaben, aber ich wies die Preise nicht strikt zurück. Es war alles widerwärtig, aber am widerwärtigsten empfand ich mich selbst.“

In der Brust des Anhängers des Werkes des großen, vielleicht größten österreichischen Schriftstellers schlagen zwei Herzen: Einerseits möchte man seinen letzten Willen respektieren. Andererseits liest man „Mein Preise“ mit Lust und ist dankbar dafür, daß es noch etwas „Neues“ von ihm zu lesen gibt.
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Kommentare zu dieser Rezension


 Nicht registrierter Nutzerparkfüralteprofs (04.01.16)
Bei aller Liebe zu meinem großen Menschenverarscher-Idol Thomas Bernhard: Die größten österreichischen Schriftsteller mögen dann wohl doch eher Johann Nestroy, Adalbert Stifter, Ferdinand Raimund, Karl Kraus, Franz Kafka (wenn man ihn zählt), Heimito von Doderer oder gar Wolfgang Bauer gewesen sein!

Wenn der Dichter über sich selbst erzählt, neigen wir immer sehr dazu, ihm alles zu glauben, was er sagt, da er es doch so gut kann, so überaus angesehen und unbestritten und ja auch ganz ohne Gegenzeugen geblieben ist. (Denn wo fänden diese ein Forum, das an ihrer Dichterherabsetzung Interesse hätte?) Du beschreibst hier daher die unterhaltenden Qualitäten des Büchelchens (wie überhaupt dieses ganzen Schriftstellers!) sehr instruktiv, bist aber viel zu gutgläubig, was die Materie, von der erzählt wird, anlangt.

Die erste Gegenkur heißt: Karl Ignaz Hennetmair: Mein Jahr mit Thomas Bernhard. Das versiegelte Tagebuch 1972. Als Taschenbuch immer noch lieferbar, die gebundene Ausgabe findet sich leicht im Internet für den Postversand.
Die zweite Gegenkur heißt: Siegfried Unseld, Thomas Bernhard: Der Briefwechsel. Als Suhrkamp-Titel natürlich auch ein paar Jahre nach Erscheinen noch im Verkauf.

Ersteres sagt dir, dass Bernhard in seinem renovierten Vierkantbauernhof noch im Jahr 1972 Freudentänze aufgeführt hat, wenn ein Telegramm kam, er habe schon wieder einen Preis zuerkannt bekommen. Der wichtige Einstieg nach Deutschland (weswegen er dann den zweitklassigen Preis vom Wiener Unterrichtsministerium, bei dessen Verleihung der Minister die Flucht ergriffen hatte, verlachen konnte, zweitklassig, da nicht der Große, sondern nur der Kleine Staatspreis, er behauptet keck, der Stiefbruder habe, ohne sein Wissen, den Antrag am letzten Tag beim Pförtner in Wien eingereicht, ha ha ha!) war der Bremer Literaturpreis, schon 1965, schon für den ersten Roman (!), "Frost". Und dann 1970 der Büchnerpreis, von dem er 1972 Hennetmair erzählt, Heinrich Böll als früherer Preisträger hätte ihn dafür empfohlen, darum müsse er dem dankbar sein.

Von dort an spekulierte Bernhard auf den Nobelpreis. Es hatte ihn nämlich noch kein Österreicher bekommen, das Land musst unbedingt bald mal drankommen. Als ihn dann 1981 Elias Canetti bekam, mit dem Bernhard nicht gerechnet hatte, der ihn aber mal gefördert hatte in seinen Anfangsjahren und den er später in den Siebzigern dann verprellt hatte, war das mit Preisen endgültig vorbei für ihn. Längst hatte er seine drei Häuser zusammen und brauchte das Geld nicht mehr. Den Nobelpreis würde er also zu Lebzeiten nicht mehr kriegen. (Stimmt, Österreich kam erst 2004 wieder dran.)

Das zweite Buch zeigt dir, wie geldgierig Bernhard stets war. Er war ja Neurotiker. Verkrachte sich früher oder später mit allen, denen er moralisch was zu schulden fürchtete. Umgab sich mit einem geschlechtslosen Harem aus alten Schreckschrauben, denen er nie so genau offenbart, wo er gerade steckte, wenn er nicht bei ihnen war. Er war jedenfalls viel weniger allein und in seinem Hof, in den er keinen reinließ, als geschrieben wurde. Kaufte wie besessen die Biedermeier-Möbel zur Errichtung des Dichter-Adel-Landsitzes zusammen, den er als Ausgehaltener in der Jugend in Maria Saal beim in "Holzfällen" dann Gefällten gesehen hatte. Besah Unmengen teurer Schuhe. Hielt die Fiktion, selber landwirtschaftlich tätig zu sein, um paar Schilling Abgaben an die Gemeinde zu sparen. Usw. Usf.

Er kam aus der Armut und hatte diese Macke weg: So schnell so viel Geld raffen, wie geht. Er bildete sich was drauf ein, wie geschickt er den Unseld ständig erpresste. (Im Briefwechsel zu erlesen, er handelt von nichts sonst.) Und begriff dabei nicht, was der schlaue Unseld in einem Memo längst im eigenen Haus bekannt gegeben hatte: "Er ist geldgierig. Über diese Angel kann man ihn also steuern."

Thomas Bernhard war wirklich ein sehr unguter, sozial destruktiver Mensch, der unter x Zwängen agierte. Aber dazu und darüber ein Clown. Er ist unbeuahlbar als das Schwein, das einen immer unterhält. Was ist ein J.R. Ewing dagegen je gewesen!

(Auch diese Publikationsverbot! Er hatte ständig Unseld Bücher als solche, die er gerade erschaffe angekündigt, die es überhaupt nicht gab, nichts als den Titel und die Idee davon. Damit setzte er sich selber unter Druck. Er hatte Angst, er könnte faul werden. Er hatte das Geld ja jetzt. Sein Plan war aber, jedes Jahr so viele Titel rauszudrücken, wie er in seinen Kanälen unterbringen konnte. Für jeden gäbe es ja extra Geld. Also ein Stück für das Burgtheater. Einen Roman fürs gebundene Suhrkamp-Programm. Was Kürzeres für die Bibliothek Suhrkamp. Was Autobiografisches für Residenz in Salzburg. So hat er in den Achtzigern dann auch dieses "Meine Preise" versprochen, was an seine fünf Autobiografischen anknüpfen sollte und natürlich vor allem alle, die ihm je einen Preis gegeben hatten, lächerlich machen sollte. (Eben diese Manie, Leute zu verprellen, die einem vormals mal nützlich gewesen waren.)

Er hat dann ja auch diese Publikationsverbot für Österreich erlassen. Nichts mehr sollte dort erscheinen oder aufgeführt werden dürfen. Aber außerdem hat er Monate von seinem Tod, da wusste er nämlich zusammen mit seinem ihn behandelnden Arzt und Halb-Bruder schon, dass er in absehbarer Zeit tot sein würde, Unseld zu sich bestellt und ihn gefragt, ob er den Vorsitz einer Stiftung übernehme werde (zusammen mit dem Bruder Peter), die seinen numehr vollständig eingerichteten Dichterhof als nationales Denkmal und Forschungszentrum erhalten werde. Also: "Ich erlaube Österreich keine Werke mehr von mir, ich will aber, dass in Österreich mein Haus Wahnfried dem Besucherstrom zugänglich erhalten wird.") (Auch diese im Briefwechsel nachlesbar. Unseld hat immer so viel kommentiert, wenn er von ihm zurückkam. Das hilft einem ungeheuer. In Bernhards Briefen geht es nur um Summen.)

 Nicht registrierter Nutzerparkfüralteprofs (04.01.16)
Und Arthur Schnitzler und Guido von Hofmannsthal natürlich. Was bin ich vergesslich wie mein eignes Haar!

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