Die Leere

Kurzgeschichte zum Thema Leere

von  Mondsichel

Mit matten grünen Augen blickte er durch die Welt. Immer in sich selbst versunken, immer weitab von der Wirklichkeit. Doch kein Gedanke schwebte ihm durch den Kopf, kein Traum malte sich vor seinen Augen. Es war nur die Leere, die sich in sein Herze bohrte. Ein dunkles Loch, in dem er unendlich fiel.
Er hatte keine Träume mehr, es herrschte nur noch Dunkelheit, die ihn immer tiefer in das Nichts drückte. Sein Angesicht glich der bleichen Mumie des Todes.
Oft saß er nur da und lauschte dem Rauschen der Welt, das für ihn zu einer unendlich schönen Melodie wurde. Filigrane Unterschiede in der Lautstärke wurden zu Wellen aus Begeisterung, die im Grunde genauso leer war, wie er selbst.
Er tanzte den Tanz der Klingen, die sich tiefer in sein Fleische schnitten und doch kein Blut mehr fließen ließen. Kein Zucken in den trockenen Augen, die das Licht scheuten.
Seine Taubheit wurde zur immer währenden Gleichgültigkeit. Er vermisste nichts, denn er hatte längst vergessen wie es ist etwas zu vermissen.
Meinte er immer noch zu leben, so war er doch schon längst gestorben. Eingefroren in seiner Monotonie, die er als „Reise in sein Ich“ bezeichnete...

In der Gemeinschaft fühlte er sich verstanden, auch wenn es weniger die Worte, als das Schweigen war, das ihn an andere band. Sie gaben ihm die Illusion, dass er nicht allein auf der Welt war, die ihn sowieso niemals verstehen würde.
Benebelt von Drogen und Alkohol steigerte sich das Rauschen der Welt zu einem ewigen Orgasmus, den er immer wieder verspüren wollte. Es machte ihn zum Tier, das vom Blute verführt, auf den Geschmack gekommen war.
Frauen waren in seinen Augen nur rohes Fleisch, dessen Kostbarkeiten man sich nehmen konnte, wenn der Trieb danach verlangte. Seine „Liebe“, ein Strudel aus kalten Emotionen, die außer Verlangen und Gier nichts lebendiges mehr an sich hatten. Eine kalte Maschinerie der automatischen Lustbefriedigung und ein totes Herz, das schon längst dem Zerfall unterworfen war...

Mit ihren leuchtenden braunen Augen blickte sie ihn an. Es war ein fragender Blick, von Feuer und Lächeln geküsst, der jedoch keine Antworten bekommen würde. Es war die Kälte, die ihr tief in die Knochen gezogen war und den Engel in den Tod verwandelte.
„Ich liebe Dich doch“, sagte seine Stimme tonlos. Weder Verzweiflung noch Schmerz war in seinen Worten zu erkennen. Seine Augen trugen stetig die Leere in sich, die alles in ihm ausfüllte und alles tötete, was einem Gefühl ähnlich war.
„Du weißt doch gar nicht was Liebe ist“, sagte sie mit einem bitteren Ton in ihrer Stimme. Er blickte sie verständnislos an.
„Wir waren doch so glücklich. Warum kann es nicht so sein wie früher?“
„Glücklich? Weißt Du denn überhaupt was Glück ist?“ Sie kniete zu ihm nieder und legte ihre Hände auf seinen Schoß. Keine Regung ging durch seinen Körper.
Das Rauschen in seinem Kopf wurde lauter, stumm starrte er zum Boden. Sein langes braunes Haar fiel ihm ins Gesicht und malte ihm Schatten auf das Antlitz...
„Deine Gestalt ist die einer feurigen Flamme, doch Du bist kalt wie der bleiche Tod. Ich liebe Dich, aber der Tod kann mich nicht lieben. Denn er nimmt den Menschen ihre Seelen und führt sie fort. Wo ist Deine Seele hingegangen Gevatter?“
In seinen Augen blitzte etwas auf.
„Ich kann diese Monotonie nicht leben, die Du die „Melodie Deiner Selbst“ nennst. Ich kann die Stille nicht ertragen, sie zerquetscht mein Herz. Alles was für Dich noch wichtig ist, holst Du Dir im Rausch, der Dich noch weiter von der Realität fortträgt. Du realisierst ja jetzt nicht einmal mehr, dass wir am Ende des Weges angekommen sind.“
Das Funkeln in seinen Augen wurde intensiver, doch noch immer war keine Regung auf seinem Gesicht zu sehen. Und das Schweigen wurde immer lauter...

„Wenn nur Leere bleibt, die alles erfüllt, dann ist für mich kein Platz mehr in Deiner Welt“, sagte sie nun doch etwas leiser. „Ich hatte gehofft ein wenig Gefühl in Dir wecken zu können, doch Du verstehst nichts vom Leben und der Liebe. Mein Herz erfriert an Dir, das kann ich nicht ertragen.“ Sie atmete zitternd aus.
„Aber, es war doch so schön...“ Weiter kam er nicht, denn sie begann zu lachen.
„Schön? Ja es ist wirklich schön mit einem Eisklotz im Bett zu liegen, der nicht mal beim Sex einen Mucks von sich gibt. Du schweigst mich an, was explodiert denn noch in Dir? Wo ist das Feuer das Dich erwärmen könnte? Für Dich ist Ficken doch nur noch ein Ablauf von Systemmustern, die stets gleich sind! Und es ist Dir egal mit wem Du ins Bett steigst. Dir ist es doch vollkommen gleich wie ich fühle. Hauptsache Du selbst hast Deine Erfüllung, wenn man das überhaupt noch so nennen kann.“
In seinen Augen war nun doch eine Gefühlsregung zu sehen...
Sie musterte ihn interessiert, doch er wich ihrem Blick aus.
Es begann lauter zu dröhnen in seinem Kopf. Verzerrte Stimmen flüsterten in seinen Gehörgängen und kreischten ihm die Wahrheit in die Zwischenwelt.
Als würde er nach Luftmangel aus dem Wasser auftauchen, atmete er plötzlich tief ein und meinte zu ersticken. Keuchend fuhr er hoch und klammerte sich panisch an das Mädchen.
„Bitte lass mich nicht allein“, sagte er erstickend.
„Du warst die ganze Zeit allein“, entgegnete sie.
„Wenn mein Herz für Dich die schönsten Lieder sang, hast Du Deine Ohren verschlossen. Wenn mein Lächeln für Dich strahlte, hast Du Deine Augen verschlossen. Wenn es mir schlecht ging und ich ein Wort brauchte, hast Du mich nur angeschwiegen. Und das einzige Geschenk das Du mir gemacht hast, war die kalte Leere, an der ich verging.“ In ihren dunklen Augen funkelten leuchtende Tränen...

Nachdenklich nahm er eine Locke ihrer braunen langen Haare zwischen die Finger und spielte damit, als würde er den Sinn ihrer Worte nicht begreifen.
„Du weißt das dies das Ende ist“, flüsterte sie.
Langsam ließ er seine Hand sinken und blickte sie offen an.
„Wirst Du Dich morgen überhaupt noch an mein Gesicht erinnern? Oder an meinen Namen? Oder wird auch all dies von der Leere verschlungen, die Deine einzige Liebe ist?“
Er schwieg sie noch immer an. Das Nichts war in ihm und doch vernahm er langsam das Klopfen der Realität, die an der Stille seiner Selbst nagte.
„Ich... ich weiß es nicht...“
Sie nickte, während ihr die Tränen aus den Augen liefen.
„Ich hoffe Du verstehst eines Tages, warum ich gegangen bin. Vielleicht wirst Du dann ja endlich wieder etwas fühlen. Und wenn es nur der Schmerz ist, der Dir beweist, das Du noch immer am Leben bist.“ Damit wandte sie sich ab und ging.
Er hielt sie nicht zurück, er sagte kein Wort um sie vielleicht umzustimmen. Die Taubheit seiner innersten Welt steigerte sich in ein unermessliches Dröhnen...
Mit leeren Augen starrte er ihrem entfliehenden Schatten hinterher, während in seinem Innersten die Nebel brachen. Und als sich der erste Atemzug wahren Lebens in seine Lungen pumpte, da löste sich ein gellender Schrei in seiner Seele.
Er verstand die Tränen nicht, die aus seinen Augen liefen. Er verstand das pochende Gefühl in seiner Brust nicht, denn er hatte seinen Herzschlag nie gehört. Er begriff nicht diesen Schmerz, der ihm fast die Lunge aus dem Körper reißen wollte. Er realisierte nur eines: Die war das Ende, das ihm einen neuen Anfang schenkte.
Auch wenn die Erkenntnis dessen, was er einfach weggeworfen hatte, immer wieder ihre scharfen Klingen in sein Herz hineinbohrte, blieb er standhaft und ging weiter. Immer auf der Suche nach dem, was sie einst versucht hatte in ihm zu wecken.
Die Leere kehrte niemals mehr in sein Herz und seine Seele zurück. Denn dafür war der Schmerz des Verlustes viel zu groß...

(c)by Arcana Moon


Anmerkung von Mondsichel:

Und erneut findet eine Geschichte für den "Als die Welt zu Eis wurde..."-Band, ihren Weg online. Die Idee dazu war mir gekommen, als ich mich mit einem totalen Noizefreak unterhalten habe und an die Meinung eines guten Freundes zum Thema "bestimmte Musik kann einen kalt und leer machen" dachte. Hier ist nun das Ergebnis dieser kleinen Inspiration...

Eine weitere Geschichte ist in Arbeit :)
Sie wird "Berührungsangst" heißen...

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Kommentare zu diesem Text

StefanP (58)
(22.01.07)
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 Mondsichel meinte dazu am 22.01.07:
*lächel* Lieben Dank.
Auch ich trug lange Zeit eine schreckliche Leere in mir. Auch ich war kalt anderen Menschen gegenüber. Von daher konnte ich mich ganz gut in diese Szenerie hineinversetzen. Und ich schreib einfach nieder, was mir in diesem Moment in den Kopf kam. Denn Gott sei Dank ist die Leere seit langem wieder ausgefüllt. Aber eine Inspiration hat sie mir dennoch geschenkt.

Liebe Grüßle
Arcy
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