Fehlrechnung

Grotesk-Zeitkritisches Drama zum Thema Zeichen

von Ravna

Personen:
- Mutaë
- Flex
- 3 Männer in weißen Kitteln

I/1, Auftakt

Leeres Zimmer, nur in der Mitte steht ein Computer. Auf dem Monitor laufen Zahlen ab, man kann sie nicht lesen. Schwaches weißes Licht. Mutaë liegt vor dem Computer auf der Bühne. Flex kauert in einer Ecke.

Mutaë: Ich bin es.

Langes Schweigen

Flex: Gewesen.
Mutaë: Ich war es nie.
Flex: kleinlaut Ja.
Mutaë: Du bist der Held, nicht?
Flex: Ungebogen. Ungelogen. Ich bin dein Held. Ich bin es.
Mutaë: Bist nicht.
Flex: aufgeregt Bin wohl. Bin doch. Bin, bin.
Mutaë: Nichtig bist du, gebogen, gelogen.
Flex: Ich bin nicht.
Mutaë: Du hast es erfasst. Endlich.

Mutaë steht auf, setzt sich auf den Monitor. Flex nagt an seinen Fingernägeln.

I/2, Anbeginn

Mutaë: Wir warten seit rund acht Tagen. Denkst du…
Flex: unterbricht sie aufgeregt Rund, rund, rund. K-u-g-e-l-f-ö-r-m-i-g! Ich sage dir: Sei es!
Mutaë: Ich will nicht sein, was du warst.
Flex: leicht zornig Darum geht es doch schon lange nicht mehr! Schweig!
Mutaë: Nur bei Null.
Flex: zornig Du bist…
Mutaë: unterbricht ihn gelassen Bin ich nicht.
Flex: zündet sich eine Zigarette an, singt Hoch auf dem gelben Wagen sitz ich beim…
Mutaë: fällt ein Schwager vorn. Vorwärts die… verstummt
Flex: Rosse traben. Lustig schmettert das Horn.

Mutaë weint. Flex raucht die Zigarette fertig. Das Licht geht aus. Die Zigarette verglüht.

I/3, Anklang

Der Computer piept regelmäßig, schnell und laut. Tinnitus im Staccato.

Flex: schreit Hörst du?
Mutaë: leise Wie könnte ich nicht? Immer da.
Flex: brüllt Was hast du gesagt?
Mutaë: flüstert Kann nicht mehr.
Flex: noch lauter Was sagst du?
Mutaë: kaum noch mit Stimme Zerbreche an dir. Verbogen, verlogen. Bist mir gleich.
Flex: donnert wütend Hast doch gesprochen!
Mutaë: unter neuen Tränen, unhörbar Will nicht.
Flex: stampft mit dem linken Fuß auf, fährt Mutaë an Elende Ausgeburt! Von wegen Heldentum, nur du!

Mutaë steht auf und legt ihre Hand auf seinen Arm. Er schlägt sie fort.

Flex: Was interessiert es dich noch? Wir lagen falsch. Geh!

Mutaë bleibt schweigend vor ihm stehen.

I/4, Gleichklang

Langsam kehrt das Licht wieder. Der Computer verstummt, die Zahlen enden nicht.

Flex: Warum gehst du denn nicht?
Mutaë: schweigt
Flex: Geh, verdammt!

Mutaë geht drei Schritte rückwärts.

Flex: Warum gehst du denn nicht? Geh, verdammt, geh!

Mutaë setzt sich wieder auf den Monitor.

Flex: erleichtert Danke. Manchmal funktionierst du ja doch noch. Schön.
Mutaë: Wie ging es gleich?
Flex: Voran.
Mutaë: singt Am Brunnen vor dem Tore da steht ein Lindenbaum.

Flex setzt sich zu Mutaë auf den Monitor.

Flex: Wir hatten große Hoffnungen. Du solltest sein.
Mutaë: Blödsinn.

I/5 Abgang

Der Monitor wird schwarz. Das Licht wird grell. In der Ferne Geräusche, wie von einem Flughafen.

Flex: ruhig Was du nie werden wolltest, ist.
Mutaë: ruhig Ich weiß, ich kann es nicht ändern. Nur du.
Flex: lächelnd Ich werde nicht.
Mutaë: sanft, liebevoll Dass du der dreckige Sohn einer Hure bist, stimmt.
Flex: wehmütig Meine Mutter? Ich liebte sie über alles, über alles.
Mutaë: zärtlich Du bist schön.
Flex: Sollen sie mich hassen: Du bleibst hier.
Mutaë: Was immer du befiehlst, Held.
Flex: Ja.
Mutaë: schweigt

Flex erhebt sich und verlässt den Raum. Mutaë lehnt sich an den Monitor, dass der Bildschirm verdeckt wird und schläft ein.

II/1, Operation

Mutaë liegt auf einem Stahltisch. Um sie herum stehen drei Männer in weißen Kitteln. Flex hockt auf einem Stuhl hinter einer Glaswand.

Die drei Männer: So nimmt alles seinen Lauf.
Einer der drei: Man reiche mir einen Knopf! Für die Wange.
Ein anderer: reicht einen Knopf Braves Mädchen.
Mutaë: schweigt.
Die drei Männer: Wir werden die Welt verändern, durch dich, mit dir.
Flex: springt auf, trommelt mit den Fäusten gegen die Wand Sie gehört mir! Ich habe sie geschaffen!
Mutaë: Ich bin niemands Kind.
Die drei Männer: Durch dich und mit dir wird alles anders werden.

Flex schlägt heftiger gegen die Wand, Mutaë wendet ihren Kopf und lächelt ihm zu.

Einer der drei: Ruhe jetzt, wir arbeiten!
Mutaë: Nur zu, nur zu.

Flex sinkt auf den Boden. Mutaë schließt die Augen. Die drei Männer nähen ihr den Knopf an die Wange.

II/2, Fäden

Die drei Männer verlassen den Raum. Mutaë bleibt liegen.

Flex: Nie hätte ich dich zurück…
Mutaë: unterbricht ihn, ihre Augen bleiben geschlossen Still! Du wusstest es doch längst. Lüg’ mich an!
Flex: Du bist.
Mutaë: lachend Du verdammter Lügner.
Flex: schweigt
Mutaë: Hab’ dich nicht so. Komm’ her, jetzt.

Flex schiebt die Glaswand zur Seite und geht zu Mutaë.

Mutaë: Du wirst immer für mich da sein, oder?
Flex: Ja.
Mutaë: Alles wird gut. Du Held, alles.
Flex: Ich werde dir glauben.

Mutaë lächelt und erhebt sich.

II/3, Spinnen

Flex setzt sich auf den Stahltisch. Mutaë kniet sich vor ihm auf den Boden, streichelt seine Hand.

Flex: schweigt.
Mutaë: Ich verspreche dir: alles wird gut.
Flex: Glaube ich.
Mutaë: Und ich meine Alles. Auch du. Auch ich.
Flex: Du bist meine beste Erfindung, bisher.
Mutaë: Du auch.
Flex: schweigt.
Mutaë: Bleib’ bitte bei mir. Pass auf mich auf.
Flex: Natürlich. Nur, dass es längst zu spät ist, nicht?
Mutaë: Nicht, wenn du bleibst. Mich beschützt. Bin dein Kind.

Flex steht auf und hebt Mutaë in seine Arme.

II/4, Abriss

Mutaë: Du musst mir nur versprechen, nicht zu werden.
Flex: Das kann ich nicht, weißt du?
Mutaë: löst sich von ihm Dann nicht.
Flex: Ich will ja, will da sein, für dich.
Mutaë: schweigt.
Flex: Bitte, geh nicht!
Mutaë: Du lässt keine Wahl.
Flex: Ich verspreche dir was immer du begehrst, bitte!
Mutaë: Nun, vielleicht…
Flex: kniet vor ihr nieder Bitte, bleib bei mir. Bleib.

Mutaë geht hinter die Glaswand und zieht sie zu. Flex legt sich auf den Tisch.

II/5, Webstuhl

Die drei Männer in weißen Kitteln treten ein, jeder von ihnen trägt ein Wollknäuel bei sich, sie stellen sich um den Tisch.

Die drei Männer: Du wirst werden.
Flex: schreit zu Mutaë Bitte, bitte bleib mir!
Einer der drei: lachend Sie wird.
Mutaë: Nein.
Ein anderer: Ja.
Flex: Bitte, bleib mir. Bleib bei mir, bitte!
Mutaë: schweigt.
Die drei Männer: Alles wird werden, alles wird sein.
Einer der drei: nimmt die Hände von Flex und umwickelt sie vollständig mit dem Wollknäuel Du musst dich nicht fürchten. Nie mehr.
Ein anderer: nimmt die Füße von Flex und umwickelt sie vollständig mit dem Wollknäuel Sie wird bei dir bleiben, weil sie es muss.

Mutaë wendet sich ab. Der dritte Mann nimmt das Wollknäuel und schiebt es Flex gleich einem Knebel in den Mund.

III/1, Programm

Der leere Raum, kein Licht. Nur der Monitor ist zu sehen. Langsam laufen immer wieder die Zahlen durch: 8214808651 3282306647 0938446095 5058223172 5359408128. Mutaë sitzt links vom Monitor, Flex rechts, Hände und Füße umwickelt, das Knäuel im Mund. Von irgendwo tönt leise eine „Dies irae, dies illa“ – Vertonung (Vorzugsweise Berlioz – Requiem „Dies irae, dies illa“). Im hinteren Teil des Raumes stehen die drei Männer in weißen Kitteln und machen sich im Verlaufe der Szene Notizen.

Mutaë: Wir sind wieder hier. Du wolltest mich beschützen.
Flex: Mmh-Mmh.
Mutaë: Ach. Geht zu Flex und entfernt ihm das Knäuel aus dem Mund, setzt sich wieder.
Flex: Danke. Bist ja geblieben.
Mutaë: Hatte keine Wahl. Es ist wie es ist.
Flex: schweigt.
Mutaë: schreit Schweig mich nicht an! Wir sind unfehlbar verlogen!
Flex: schreit zurück Verbogen, Kreis nicht Kugel, versteh’ endlich!
Mutaë: Ach, sei bloß ruhig.
Flex. Ja.

Mutaë zündet sich eine Zigarette an.

III/2, Maschine

Die Zahlen im Computer werden schneller. Das Dies Irae wird lauter. Stille, bis die Zigarette verglimmt. Blasses Licht. Mutaë ein kleines Portrait ihrer selbst an den Knopf und gehen ab. Das Portrait hat kein Gesicht.

Mutaë: Jetzt ist’s unklar.
Flex: Deine Schuld.
Mutaë: Du hast mich geschaffen. Ich bin dein Kind.
Flex: Meine Schuld.
Mutaë: So sei es.
Flex: schweigt.
Mutaë: hält ihre Hand zu Flex Sei mit mir, liebe mich, Vater.
Flex: Ich kann nicht. Lauter Ich kann nicht!
Mutaë: Dann wird es nicht.
Flex: Du bist meine Göttin. Ich verehre dich.

Mutaë lächelt, nimmt Flex’ Hand.

III/3, Gottheit

Das Dies Irae ist ohrenbetäubend. Die Zahlen auf dem Monitor nicht mehr lesbar. Mutaë streicht Flex sachlich durch’s Haar. Grelles Licht.

Flex: schweigt.
Mutaë: Du bist so schön. Weil du werden wirst.
Flex: Ich bin immer.
Mutaë: Du hast mich geschaffen, wie ich jetzt bin.
Flex: Täglich neu, verbogen, verlogen.
Mutaë: Verbogener bist doch du.
Flex: Deine Zunge ist zweiseitig.
Mutaë: Du hast mich geschaffen. Meine Zunge.
Flex: schweigt.
Mutaë: Ich bin durch dich aus dir geboren deine Göttin.
Flex: Alte Geschichte. Deus ex machina.

Mutaë bricht in Gelächter aus. Flex weint.

III/4, Absturz

Das Dies Irae klingt aus. Der Computer brennt durch. Flex kniet vor Mutaë. Das Licht wird immer heller.

Flex: Von Schuld gebeugt vor dir.
Mutaë: schweigt.
Flex: Das Verborgene wird gelüftet werden.
Mutaë: Verbogen, nicht verborgen. So werde ich endlich richten.
Flex: sehr leise Ja, dich.
Mutaë: unter Lachern Nein, dich.
Flex: Vergib mir, Lüge.
Mutaë: Vielleicht.
Flex: Ich war, ich bin, ich werde sündig.
Mutaë: ohne Regung Du stirbst.

Mutaë nimmt das Wollknäuel und stopft es Flex in den Mund. Plötzliche Dunkelheit. Stille.

-Finis-

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Untergänger (11.11.07)

warum schreibst du ab II alles kursiv?
nervt ein wenig beim lesen.

die doppelrolle im cpu ist irgendwie komisch. kann mir noch keinen reim auf die funktion machen.

gefällt - kleine Kritik: in meinen augen zum lesen eigentlich ungeeignet, ich denke, man muss es sehen.

mömmel,
Alfons

Ravna meinte dazu am 13.11.07:

das mit dem kursiven war ein fehlerchen im bbcode - danke für den hinweis

doppelrolle im cpu? hu?

wenn du ein theater kennst, dass es spielen möchte - sag mir bescheid

grüße, r.

Kai. (29)
(15.02.09)

Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

Ravna antwortete darauf am 17.02.09:

Hallo Kai,

erstmal Danke für den Kommentar, hat mich gefreut, dass sich jemand noch mal zu dem Kurzstück äußert

Aufgeführt wurde es nicht, nein, ich habe mich allerdings aus Zeitmangel auch nicht wirklich darum bemüht.

Und ja: Du darfst es gerne jemandem vorschlagen.

Grüße,
R.

rattentod (33)
(20.07.11)

Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

Ravna schrieb daraufhin am 20.07.11:

Huch, freut mich wenn Dir das alte Stück gefällt. Mir ist gerade aufgefallen, dass da in einer Regieanweisung ein Satz nicht stimmt, bin mir aber nicht mehr sicher, was da rein sollte ^^

Vorschläge zu dem Portrait an Mutaes Knofs nehme ich also gerne an.

Fehlrechnung

Grotesk-Zeitkritisches Drama zum Thema Zeichen

von Ravna

Kommentare zu diesem Text

Zur Zeit online: