VIII: Tagebuch des Falerte Khantoë

Tagebuch zum Thema Menschen

von  kaltric

16. 05. 3979, Rardisonan

Ich beginne dieses Tagebuch, meine zukünftigen Erlebnisse festzuhalten. Auch mag es mir als Gedächtnisstütze für spätere Zeiten dienen. Gestern durchfuhren wir den Sund von Omér. Seit unserer Abreise haben wir in keinem Hafen mehr gehalten. Meine Schwester sah ich so leider nicht. Die Lage an Bord ist schwierig, will ich meinen. Der Oberste Seewächter Amerto, Herr dieses großen Schiffes, zeigt sich mehr als ungehalten über uns. Warum nur? Vielen der Männer, die die See nicht gewohnt sind, ging es eine Weile reichlich schlecht. Amerto gibt die Schuld dafür uns und dem Jinn Gajandó in Rardisonan. Zugegeben, mehr als Einer hier hatte nicht die Wahrheit bei der Musterung gesagt. Amerto belohnt dies mit Strafen. Auch sonst scheint es nicht sehr förderlich zu sein, soviele Menschen auf einen Haufen zu sperren. Fast täglich kommt es zu Zwist und Zank. Braucht der Mensch so sehr seine Freiheit, dass er sie sich erkämpfen muss, sobald er sie bedroht sieht? Amerto scheint uns nicht als würdig anzusehen. Ich habe Gerüchte gehört, dass wir Halkus anlaufen werden, die Hauptstadt Omérians, wo er die ihm Unangenehmen über Bord werfen will. Ich kann nicht einschätzen, wie hoch der Wahrheitsgehalt dieser Gerüchte ist, doch glaube ich kaum, dass er dies tun wird, denn die Beziehungen zwischen Omérian und Rardisonán sind – soweit ich weiß – bestenfalls gespannt. Auf jeden Fall aber ist es unübersehbar, dass Amerto uns nicht mag. Aber zumindest ich habe es geschafft, mir halbwegs Anerkennung bei ihm zu holen, als ich bei den Aufgaben der Seemänner an Bord helfen konnte. Leider müssen wir wohl zwangsweise mit ihm auskommen: Halkus werden wir sicherlich anlaufen, ist dies doch der letzte Hafen, bevor wir eine lange Weile auf hoher See verbringen müssen. Das bedeutet mehrere Wochen in diesen Umständen leben. Und auch wenn es zweifelhaft ist, dass wir diesen Amerto und seine Seewächter nach dieser Reise jemals wiedersehen werden, stelle zumindest ich mich lieber gut zu ihm und halte auch die anderen an, es mir gleich zu tun.
Am schwersten war dies mit Miruil. Miruil, der kleine Kämpfer aus Calerto, der so stolz auf seine braunen Locken ist und einer etwas wohlhabenderen Familie entstammt, ähnlich wie ich. Miruil allerdings bildet sich etwas mehr auf seine Abkunft ein. Seit seiner Kindheit, so erzählte er, ist er es gewöhnt, andere herumzuscheuchen und nicht, selber herumgescheucht zu werden. Doch er folgt bedingungslos den Anweisungen eines Vorgesetzten, denn diese Befehle vermag er als für sich gültig anzusehen. Dafür sah er es nicht ein, den Anweisungen und Hinweisen eines einfachen Seemannes zu folgen und als genau dies schätzte er die Seewächter ein – höchstens noch als zu ihm gleichberechtigt, nicht aber als vorgesetzt. Und so geschah es eines Tages, dass ein armer Seewächter ihm einen Säuberungsbefehl gab und Miruil, von einer leichten Seekrankheit schon genug geplagt, geriet darüber mit ihm in Streit. Letztlich gingen der ruhige Couccinne und ich dazwischen und konnten schlimmeres verhindern, doch musste Miruil sich später vor Amerto rechtfertigen und erhielt zur Strafe zwei Tage Einzelhaft. Vielleicht gar nicht so ein schlimmes Schicksal, müssen wir restlichen uns doch alle zusammen drei große Gemeinschaftsschlafhallen teilen – die Seewächter schlafen bei dem guten Wetter sogar auf Deck.
Einen weiteren Vorfall gab es mit Oljó. Dieser neigt ja sehr zu Glücksspielen, doch diesmal hätte er es vielleicht sein lassen sollen. Ich weiß nicht, ob wirklich er es war, der beim Spiel betrogen hatte. Wie auch immer, es kam zum Streit und zu Gerangel und endete damit, dass Oljó nun eine neue kleine Narbe über dem Auge hat. Zum Glück erstattete niemand Bericht, sonst hätte er wie Miruil bald Einzelhaft gehabt. Und welch Licht würde das auf uns alle werfen, wenn bereits zwei in Einzelhaft wären?
Ja, wir haben hier schon eine hübsche Truppe. Es dürfte noch lustig werden, sobald wir ernsteren Gefahren ins Auge sehen müssen. Aber ob das jemals geschehen wird? Nun, immerhin untereinander halten die meisten gut zusammen, auch wenn ich einige der Leute – und gerade Oljó – nicht wirklich leiden kann. Dafür sind andere dabei, mit denen ich mich schon besser verstehe. Doch so wirklich trauen kann ich hier wohl niemandem, werde und sollte ich wohl auch nie. Viele kamen aus ähnlichen Gründen wie ich damals in die Guigans: die reine Not. Einige waren ohne Bleibe, so zum Beispiel der kleine rothaarige Kämpfer Zalím – und auch ich. Andere waren abenteuerlustig und wollen etwas erleben, so der gute Miruil, der seiner Familie überdrüssig war – und wieder auch ich. Weitere waren Diebe oder Verbrecher und auf der Flucht oder auf der Suche nach neuen Möglichkeiten – oder gar von einem Gericht zum Kriegsdienst abgeurteilt worden, so auch unser unglücklicher Dieb Oljó. Bei den meisten weiß ich aber überhaupt nicht, woher sie kommen oder warum sie hier sind. Ein gutes Beispiel dafür ist Jimmo. Ich habe mehrmals versucht mit dem großen, ergrauten Hünen zu reden doch stets verneint er es, etwas über seine Herkunft verraten zu wollen. Ich weiß auch nicht so recht, was ich über ihn denken soll. Er spricht nicht viel mit uns, doch bisher bot sich auch kein Grund zu größerem Misstrauen – gerade deshalb traue ich ihm aber auch nicht.
Aber ich werde sehen, was die nächsten Wochen bringen. Couccinne brachte mir gerade die Nachricht, dass wir Halkus anlaufen und wohl die Nacht über dort bleiben und Vorräte beziehen werden. Dann werde ich auch sehen, ob er tatsächlich noch jemanden des Schiffes verweist. Zumindest Couccinne meinte, dass wir die Nacht über Freigang erhalten würden. Ich werde diese Zeit noch einmal nutzen. Couccinne warnte mich auch, dass sie jeden hart verfolgen, der versuchen würde, sich aus dem Dienst zu stehlen. Wollte er damit etwa sagen, dass er sich dies bei mir vorstellen könne? Das wäre eine gewaltige Frechheit von ihm!
Ah, ich sehe die Lichter der Stadt! Wie schön sie doch ist.

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