Wehemir und Zerfahrenheit Teil 1.

Text zum Thema Wille/ Willensfreiheit

von  franky

Beide wohnen in meiner Brust, der eine fingerlang, der andere ein Stück länger. Sie zogen eines Tages aus, das Ängsten zu lernen. Wehemir besorgte sich eine Axt mit langem Stiel. Zerfahrenheit griff nach einem butterweichen Kegel aus roter Seide. Es freute sich sein Auge und schmierte die Zunge.
Beide wuschen sich das überflüssige Getue vom Gesicht und stapften los. Sie liefen querfeldein und ließen sich keineswegs vom Weg abbringen. Wehemir hatte sich einen Wegweiser als Brille auf die Nase geklemmt, um nie zu verfehlen, wo es lang ging. Zerfahrenheit hielt sich eine Ausfahrt frei - man konnte ja nie wissen, ob der Parkplatz noch frei geblieben wäre. Das war zwar verboten, aber er hatte so sanftes Gefälle. So konnte er nicht widerstehen und ging los. Anfangs hielten sie ganz gut Schritt mit der Eile, aber als später das Tempo einen Zahn nach dem anderen zulegte, mußten sie eine Atempause aus dem Ärmel schütteln. Sie tat so wohl. Sie legten sie auf Herz und Niere, Zerfahrenheit hätte eine fast verschluckt, aber Wehemir hieb ihm mit der Axt eines auf den Rücken, dann war alles wieder gut.
Allmählich kam die Puste wieder und sie setzten ihr Tageswerk fort. Zerfahrenheit sah so viele schöne Blumen scheinbar wahllos auf der Wiese stehen, er bückte sich nach ihnen. Mit größtem Erstaunen mußte er feststellen: sie hatten sich alle an der Erde festgesaugt. Merkwürdig unverständlich, wieso liefen sie nicht auch über das Feld? Sie hatten anscheinend keine Eile, das prickelnde Kitzeln an der Fußsohle. Wehemir schlug sich kurzfristig in die Büsche und grub mit seiner Axt nach einen verborgenen Schatz. Ein Regenwurm blinzelte ihm über die Schulter zu und riet ihm das Feld zu räumen, da eine Herde wildgeschwänzter Tiere vorbeikommen könnte. Wehemir stützte seine schweißnasse Stirn auf den Zeigefinger, dabei überlegte er: die Hufe würden zwar den Schatz noch tiefer in die Erde stoßen, aber wer weiß - ist das der richtige Ort um zu grübeln?
Mitten in seinen Gedanken brach ein fürchterlicher Wind los, er stob alle vorsichtigen Überlegungen zur Seite und brach über die beiden her. Pferde mit 20 Reitern übereinander, sie stoben mit vollem Rohr über die Piste, es waren unzählige und noch mehr. Wehemir raffte sich auf und stellte sich auf seine Hinterbeine. Mit beiden Händen schwang er seine Keule, mit einer Dritten versuchte er, einen wild durch die Luft fegenden Haarschwanz zu erfassen. Tatsächlich bekam er zwei Haarstauden zu Gesicht, er schwang sich auf sie und wollte mit ihnen davon stürmen. Zerfahrenheit machte ein so überrascht ungläubiges Gesicht, er lutschte an seinem samtig roten Butterkegel; er glitt ihm aus den Fingern auf den Boden, da war es schon passiert: ein wilder Reiter sprang mit beiden Händen in den schmierigen Kegel, er glitt aus, konnte sich nicht mehr fangen und blieb haltlos liegen.
Zerfahrenheit strich über das schweißgetränkte Fell. Er war in eine sprachlose Andacht versunken.

Er erwachte erst wieder, als Wehemir mit ein paar ausgezupften Schwanzhaaren über der Schulter an seine Seite trat. Er erklärte Zerfahrenheit, zusammengeknotet ergäbe das eine wunderbare Angelschnur. Damit sollte Wehemir recht behalten.
Beide bestiegen nun das flott gemachte Pferd des gestolperten Reiters. Von nun ab mußten sie nicht mehr laufen, weder vor noch zurück, sie hatten einen Weggenossen gewonnen. Der Gaul schüttelte sich die Mähne aus der Stirn und gab sich zufrieden.

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