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Erzählung zum Thema Kommunikation/ Dialog

von  Mutter

In den frühen Morgenstunden werde ich von einer Bordsteinschwalbe angesprochen, lasse sie freundlich abblitzen und mir von ihr die Adresse eines Stundenhotels geben.
Fünf Stunden später ordne ich vor dem kleinen Spiegel meinen dreckigen Klamotten, in denen ich auf einem nicht weniger schmutzigen Bett geschlafen habe. Betrachte ein fertiges Gesicht inklusive Bartstoppeln und Augenringe, auf die ein Crack-Junkie stolz wäre. Ich schöpfe mir kaltes Wasser ins Gesicht, mehr für das Gefühl als einen echten Effekt.
Sehe mir selbst in die Augen. Corker, was willst du?
Ich will die Maschine - und zwar am Sack kriegen, ordentlich. Dafür brauche ich einen Plan. Und weitere Informationen.
Ich gehe rüber zum Bett, fische das Handy vom Nachttisch und wähle eine Nummer. Warte, bis sich Dale Drummond meldet.
‚Ja?‘
‚Dale, hier ist Corker. Wir müssen reden. Kann ich dich treffen?‘
Er überlegt einen Moment. Stellt keine Fragen. ‚An der Corry Road, direkt am Wasser. Du weißt, wo das ist?‘
‚Klar. Wann?‘
‚Halb fünf, fünf. Ich sammele dich mit dem Wagen auf, in Ordnung? Sei pünktlich.‘
‚In Ordnung.‘ Ich lege auf und lächele hart. So schnell dreht sich der Wind: Plötzlich hat Drummond Oberwasser, trifft die Entscheidungen. Beim Tanzen führt nur einer. Allerdings weiß Dale noch nicht, dass er bei diesem Walzer die Braut sein wird.
Bis zum Nachmittag habe ich Zeit, wieder einen Menschen aus mir zu machen. Dusche, Rasur, frische Klamotten. Ein Riesenfrühstück aus Fish & Chips, herunter gewaschen mit zwei Flaschen Light Bier.
Ich gehe runter zum Wasser und warte auf Drummond. Ein leichter Nieselregen hat eingesetzt und ich schlage den Kragen meiner Jacke hoch. Hebe das Gesicht, genieße die Berührung. Die Möwen begrüßen mich wie einen alten Kumpel.

Ich sehe, wie der grüne Pick-Up langsam um die Ecke rollt, auf mich zu. Wie jemand, der auf der Suche ist. Erhebe mich von der Bank, stecke die Hände in die Taschen und laufe ihm langsam entgegen. Nicht zu auffällig – wegen den Regens kann ich nicht erkennen, ob es Dale ist, der den Wagen steuert. Er hält neben mir, das Fenster herabgelassen. Es ist Drummond.
‚Steig ein‘, fordert er mich auf.
Mit einem Nicken öffne ich die Autotür, klettere in das Auto. Dale wirft mir einen kurzen Blick zu, gibt Gas. Wir fahren eine Weile am Wasser lang, bis er plötzlich scharf wendet, wir zurück jagen. Richtung Süden fahren, am Fluss entlang.
‚Was ist los?‘, fragt er, als wir in die Cromac Street einbiegen.
‚Sagt dir The Machine etwas?‘
‚Machst du Witze? Jeder kennt die Maschine.‘
‚Gut. Ich muss den Kerl finden.‘
‚Scheiße Corker, du backst keine kleinen Brötchen, oder? Ist dir klar, was du da vorhast?‘
Seine Antwort macht mich giftig. ‚Fuck! Warum tut jeder so, als wäre der Typ der personifizierte Teufel? Oder Gott?‘
Dale lacht. ‚Er ist der Batman von Ballybough. Ein Schatten, lautlos, effizient, tödlich.‘
Ich schnaube. ‚Scheiße - was für ein Blödsinn. Der Kerl ist nicht unbesiegbar.‘
Jetzt lächelt er überlegen. ‚Wie du meinst, Corker. Es ist dein Leben, das du wegschmeißt. Der Mann ist eine lebende Legende.‘
‚Er befindet sich in der Stadt – kannst du rausfinden, wo er sich aufhält?‘
Als Antwort bekomme ich ein leises Pfeifen und eine Gegenfrage: ‚Woher weißt du das?‘
‚Weibliche Intuition.‘ Grinse rüber. ‚Quatsch. Er war auf Rathlin Island. Ich bin mir 100 Pro sicher, dass er von hier aus gestartet ist. Und hierher zurückgekommen ist, nachdem ich seinen Kumpel umgelegt habe.‘
Das Pfeifen wird beeindruckter. ‚Glaubst du, dass du ihn suchen gehen musst? Vielleicht kommt er zu dir. Will sich bedanken.‘
‚Die Scheiße macht dir Spaß, Dale, oder?‘ Ich betrachte sein Profil.
‚Hey, klar – ist schließlich nicht mein Arsch, der da in der Schlinge hängt.‘
Ich nehme den Faden wieder auf. ‚Ich schätze, wenn ich eine Weile warte, kommt er zu mir. Aber das habe ich die ganze Zeit gemacht. Don’t call us, we call you! Jetzt ist es Zeit für den Rückruf.‘ Grinse wölfisch. ‚Jede Wette, die Maschine wartet bereits sehnsüchtig auf mich.‘
‚Du meinst es wirklich ernst, oder? Ich fasse es nicht. Also gut – was genau willst du von mir?‘
‚Hab ich doch gesagt – du wirst für mich herausfinden, wo der Penner abgestiegen ist.‘
‚Vergiss es, Corker. Ich bin nicht lebensmüde. Sich mit der Maschine anzulegen ist wie einen Güterzug mit bloßen Händen aufhalten zu wollen. Ich hänge am Leben – ich habe Familie!‘ Für ihn scheint die Diskussion beendet zu sein. Wahrscheinlich fährt er gleich rechts ran, hält, will mich rauslassen. Loswerden.
‚Nicht so schnell, Dale – du verstehst mich falsch. Ich bitte dich keinesfalls darum, dass zu tun.‘
Er bemerkt den veränderten Tonfall in meiner Stimme, sieht rüber. ‚Wie meinst du das?‘
‚Erinnerst du dich an diese Geschichte in der Falls Road? Bei der die beiden Priester ums Leben gekommen sind?‘
Ich kann mir vorstellen, wie er gerade leichenblass wird, seine Knöchel sich am Lenkrad durch den Druck weiß verfärben. Das ist der Riesen-Haufen Scheiße, den Dale vor die falsche Tür geschissen hat. Von dem er geglaubt hatte, niemand wüsste davon.
‚Was weißt du darüber?‘, presst er hervor.
Mit einem nonchalanten Lächeln schüttele ich den Kopf. ‚Alles? Nichts? Keine Sorge – ich habe nicht vor, damit hausieren zu gehen. Diese Geschichte ist begraben, und das bleibt sie auch.‘
‚Wenn ich tue, was du von mir willst‘, knirscht er.
‚Hör zu, ich brauche deine Hilfe. Alleine finde ich dieses Arschloch nicht. Bin zu lange weg gewesen, raus aus der Szene. Wie sieht’s aus? Deal or no deal?‘
Er braucht noch ein paar Augenblicke, um seinen Stolz herunter zu schlucken. Schließlich nickt er. ‚In Ordnung. Deal.‘
‚Du musst dich beeilen – ich habe keine Ahnung, wie lange er noch hierbleiben wird. Weiß nicht, ob du länger als 48 Stunden hast.‘
‚Ob du länger als 48 Stunden hast, meinst du.‘
‚Dale, begreifst du es nicht? Du stehst jetzt genauso unter Druck wie ich. Halte dich ran.‘
Kurz darauf lässt er mich an einer Ecke raus. Ich sehe ihm hinterher, bis die Bremslichter um eine Ecke verschwinden. Bin mir nicht mal sicher, ob sich wirklich noch eine Sau für diese alte Geschichte auf der Falls Road interessieren würde – ob es überhaupt noch jemanden gibt, der Dale dafür nachts einen Besuch abstatten würde. Egal - solange er daran glaubt, reicht mir das.

Nachts, kurz vor Mitternacht, habe ich ihn am Handy. Ich hatte mich den Tag über in der Stadt herumgetrieben, die Zeit totgeschlagen. Mir zwei Filme im Kino angesehen, mehrmals darüber nachgedacht, Anne anzurufen. Um zu hören, wie es Molly geht. Jedes Mal hatte ich nicht den Mut dazu gefunden. Scheiße.
‚Hast du was rausgefunden?‘, will ich ohne Begrüßung wissen. Ich war vor einer Weile nach closing time aus einem Pub in einen Nachtclub übergesiedelt und bahne mir den Weg nach draußen, um Dale verstehen zu können. Einer der Bouncer sieht mich giftig an, als ich ihn unsanft mit der Schulter anstoße.
‚Was? Hab dich nicht verstanden‘, sage ich, endlich auf der Straße, mein Bier in der Hand.
‚Ich sagte, ich habe eine Spur.‘
‚Schieß los.‘
‚Meine Quellen haben bestätigt, dass er in der Stadt ist.‘
‚Sag ich doch.‘ Mit einem befriedigten Grinsen nehme ich einen Zug aus der Pulle und betrachte ausgiebig zwei junge Mädchen, die in den Club wollen. Beide sind, sagen wir, zurückhaltend bekleidet. Viel Fleisch zum Gucken. ‚Und weiter?‘
Er weiß genau, dass mir das nicht reicht. Deswegen hätte er nicht angerufen. ‚Es ist eine Pension in der Rockmore Road. Sagt dir das was?‘
‚In der Nähe vom Park Shopping Center?‘
‚Genau da. 12 Rockmore Road – Pen’s Pension oder so ähnlich.‘
‚Da ist die Maschine abgestiegen? Sagt deine Quelle?‘
‚Angeblich. Mehr habe ich nicht in Erfahrung bringen können.‘
‚In Ordnung. Ich check das. Wenn das stimmt, bekommst du Entwarnung. Bist mich los. Falls sich das als Rohrkrepierer entpuppt, komme ich wieder. Und will weitere Infos. Bessere.‘
Er stöhnt leise. ‚Hör zu, Corker, ich …‘
‚Schnauze Dale! Du weißt genau, dass ich mich nicht mit Mist abspeisen lasse. Aber ich bin Optimist – ich gehe einfach mal davon aus, dass deine Quelle weiß, wovon sie redet. Ansonsten: Bis bald.‘ Ich drücke ihn weg, gehe den beiden Schnecken hinterher, zurück in den Club.

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