Bodenkampf

Roman zum Thema Aggression

von  Mutter

Seine Rechte schwingt an mir vorbei, weil ich mit dem Kopf schnell genug zurückzucke, aber seine Linke gräbt sich schmerzhaft in meinen Magen. Während er mich zu Boden reißt, ramme ich ihm die Handwurzel meiner rechten Hand gegen die Schläfe. An meiner Schulter spüre ich Manus Beine – Sorge um sie durchzuckt mich. Dass sie unter uns begraben wird. Aber irgendwie kommt sie weg, macht sich von uns los.
Schellstädters Hände rucken zu meinem Hals hoch, offenbar will er mich würgen. Statt ihn daran zu hindern, hämmere ich ihm die Linke an die Schläfe, dann sofort die Rechte ans Kinn. Spüre Bruchteile von Sekunden später seine Finger, die sich um meine Luftröhre legen und in mein Fleisch krallen. Panik erfasst mich – ich kenne das Gefühl, zu ertrinken. Damals auf Korfu habe ich beim Tauchen keine Luft, sondern nur noch Wasser geschluckt. Ich bilde mir ein, meine Sicht verschwimmt jetzt schon, dabei ist es viel zu früh.
Ein weiteres Mal unterdrücke ich den Reflex, meinen Hals zu befreien – der Versuch würde vermutlich misslingen, ich ohnmächtig werden. So viel hatte ich im Mixed Martial Arts, im Bodenkampf, damals gelernt.
Meine linke Hand legt sich auf sein Gesicht, der Daumen findet sein Auge. Drückt zu. Die andere Faust schmettere ich ihm mitten auf die Nase, als würde ich Nägel einschlagen. Mit voller Wucht aus dem Ellenbogen, zu etwas anderem fehlt mir die Bewegungsfreiheit. Gerade als ich erste Atemnot verspüre, wieder eine Welle der Panik niederkämpfe, spüre ich, wie seine Kraft nachlässt. Mit den flachen Händen schlage ich ihm gleichzeitig auf beide Ohren. Mit gurgelndem Schmerzlaut gibt er meine Luftröhre frei. Pfeifend sauge ich endlich Luft ein, gierig, als wäre ich am Verhungern.
Schellstädter liegt schwer und reglos auf mir. Blutet mir aus Nase und Mund auf die Jacke.
„Luca? Bist du in Ordnung?“ 
Mit einem Stöhnen versuche ich mich von dem alten Mann zu befreien. „Ja“, antworte ich gequetscht. „Mehr oder weniger.“
Zusammen mit Manus Hilfe gelingt es mir, unter dem Bewusstlosen hervorzukriechen. Als ich ihren Blick sehe, schüttle ich den Kopf. „Ist vor allem sein Blut, nicht meins.“
„Was ist mit ihm?“ Sie deutet auf Schellstädter, während ich mich keuchend aufrichte. „Wie viel Zeit haben wir?“
Ich greife mit beiden Händen seinen Kopf, drehe ihn leicht zur Seite. Mit den Daumen ziehe ich seine Lieder nach oben. Betrachte die weggetretenen Augäpfel. „Ein paar Minuten, mehr nicht.“
„Und dann? Was passiert dann? Wir müssen doch irgendwas mit ihm machen.“
Nachdenklich nicke ich, während ich ihn betrachte. Sein rechter Fuß zuckt hin und her, tritt den Teppich in Falten. „Hat’s hier ein Wohnzimmer?“, will ich wissen. Sie steigt über ihn rüber, während ich in die Knie gehe und seinen Puls checke.
„Hier drüben“, verkündet sie aus einem Türeingang ein paar Meter den Flur hinunter.
„Okay.“ Ich mache den Schritt zwischen Schellstädters Beine und packe ihn an den Knöcheln. Ziehe ihn auf dem bunten Teppich über das glatte Parkett bis zum Wohnzimmer. Dort wuchte ich ihn mit Manus Hilfe über die Schwelle, und mit einigem Aufwand bugsieren wir ihn in einen großen Sessel.
„Können wir ihn irgendwie festmachen? Festbinden?“
Ich mache einen Schritt zurück, beantworte ihre Frage mit einem Kopfschütteln. Und einem leisem: „Scheiße!“
„Was ist?“
„Manu, das wird immer krasser. Wir sind hier quasi eingebrochen. Ich habe ihn niedergeschlagen, und jetzt kommt noch Freiheitsberaubung hinzu. Wenn wir erwischt werden, sind wir echt am Arsch.“
„Quatsch“, befindet sie. „Das war Notwehr. Er hat dich angegriffen. Ich kann das bezeugen, ich hab’s gesehen.“
„Wir dürften nicht mal hier drin sein – das wird kaum als Notwehr zählen.“
Manu beugt sich vor und wischt Schellstädter mit einer kleinen Tischdecke das Blut aus dem Gesicht. Sein Kopf hängt immer noch völlig groggy nach unten. Das Wohnzimmer sieht aus, als würde sich meine Oma hier pudelwohl fühlen – Plüschsofa mit dem dazugehörigen Sessel, ein Couchtisch aus dunklem Holz und Glas – alles so furchtbar spießig, dass ich nie vermutet hätte: Hier wohnt ein Mann, der für die Fremdenlegion getötet hat.
Der Kopf des alten Mannes ruckt zurück, fällt in den Nacken. Mit einem Stöhnen schiebt er sich in dem Sessel zurecht.
„Er kommt zu sich“, verkündet Manu alarmiert. „Tu irgendwas!“
Ich sehe mich ein letztes Mal um und trete zu ihr. „Wenn wir bei mir wären, würde ich ihn vielleicht mit Tape festkleben. Was wir hier machen können – keine Ahnung.“
„Shit.“
Ich lege ihr die Hand auf die Schulter. „Kein Problem. Er ist angeschlagen. Ich glaube kaum, dass er viel Widerstand bietet.“
„Dein Wort in Gottes Ohr.“
Schellstädters Augenlieder öffnen sich langsam. Das Weiße darin verschwindet nach und nach, als seine Augäpfel aus den Höhlen nach unten rollen. Sein Blick wandert zu uns, mit zusammengezogenen Augenbrauen sieht er uns an. Er versucht etwas zu sagen, sein Mund klappt auf, schließt sich dann wieder. Die Bewegung erinnert mich an einen Karpfen, der träge nach Fliegen schnappt.
„Hören Sie zu, Schellstädter – das hier muss nicht sein. Wir wollen nur ein paar Antworten, dann sind Sie uns sofort wieder los.“

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