Cicatrix

Roman zum Thema Suche

von  Mutter

„Okay, Monteleone – was passiert hier gerade? Was für ein Spiel ist das?“ Wehmeier wartet nicht, bis wir in seinem Büro sind. Er stoppt gleich im Gang und stellt mich. Dombrowski schiebt sich mit Tiger, den er locker am Arm hält, an uns vorbei.
Da ich erwarte, dass das Gespräch länger dauern könnte, lehne ich mich mit dem Hintern gegen ein Fensterbrett. Hinter uns ist der Hof zu sehen. „Kein Spiel. Jedenfalls nicht von meiner Seite. Eigentlich könnte mir egal sein, was für interne Querelen hier laufen, aber solange es Tiger und den Fall betrifft, habe ich ein gesteigertes Interesse daran, dass alles koscher bleibt.“
„Was ist denn nicht koscher bisher?“, will er wissen. Er klingt aggressiv und ich kann seine Kiefermuskeln arbeiten sehen. Ich nehme an, ihm passt nicht, dass hier Dinge laufen, von denen er keine Ahnung hat. Sein Ärger gilt also primär gar nicht mir.
„Was ist Ihre Beziehung zu Wissinger?“
Ich kann in seinem Gesicht sehen, dass er mich eigentlich abblitzen lassen will. Mich Was geht Sie das an? fragen will. Aber vermutlich ist ihm klar, dass er ein Stück weit mitspielen muss, wenn das ein Dialog werden soll. Er zuckt mit den Achseln, um anzuzeigen, dass er sich in dem Punkt geschlagen gibt. „Zwischen uns herrscht eine, sagen wir mal, gewisse Rivalität. Wir haben zu verschiedenen Zeiten bereits miteinander gearbeitet. Zurzeit ist eine Stelle hier in Berlin ausgeschrieben, auf die ich mich beworben habe. Und Wissinger ebenfalls.“
„Was für ein Posten?“
„Kennen Sie sich mit Polizeistrukturen aus? Glaube kaum, dass es Ihnen was sagt.“  Für einen Moment sieht es so aus, als würde er tatsächlich nichts dazu sagen wollen. Plötzlich fährt er fort: „Für den Posten eines Ersten Polizeihauptkommissars.“ Wieder sein Achselzucken.
„Guter Job?“, frage ich mit einem Grinsen. Rufe ein Lächeln bei ihm hervor. „Nicht schlecht, jedenfalls. Weiter die Karriereleiter nach oben. Und“, sagt er, „man hat mit weniger Dreck zu tun. Führungsposition.“
Mit einem Nicken sehe ich über die Schulter raus in den Hof. „Kann mir gut vorstellen, wie sehr einen die Arbeit bei so einem Posten auf die Dauer mitnehmen kann. Ist vielleicht ein Stück weit ähnlich zu Erzieher-Berufen – Burn-Out“, biete ich an.
Wehmeier betrachtet mich aufmerksam. Er weiß, dass das alles noch Vorspiel ist und wartet darauf, dass ich zur Sache komme. Mit einem Räuspern verschränke ich die Arme vor der Brust. Eine alte Angewohnheit aus Türsteher-Tagen. Wenn’s knifflig wird, verschränken wir immer die Arme. „Ich gebe Ihnen mal die Kurzfassung, so wie ich das sehe – in Ordnung?“ Er nickt.
„Also gut. Nachdem ich Sie angerufen hatte – dass wir kommen – habe ich schon fast erwartet, Wissinger zu treffen.“
Wehmeier zieht die Augenbrauen leicht nach oben, sagt aber nichts.
Ich fahre fort: „Als wir damals bei Ihnen im Büro waren, haben Sie offenbar Wissinger nicht freiwillig dazugezogen. Wollten mit uns alleine reden - erstmal?“
Er nickt.
„Damals hatten Manu und ich schon das Gefühl, dass in der SoKo der Haussegen schief hängt. Dass da Machtspielchen gespielt werden. Nach dem Gespräch mit Frau Kierer waren wir uns ziemlich sicher, dass sie etwas mit Wissinger hat. Hatte. Haben möchte – was auch immer.“
Wehmeier sieht tatsächlich überrascht aus.
„Vielleicht war die Kierer in unserer Anwesenheit weniger vorsichtig“, biete ich ihm an. Um nicht sagen zu müssen: Offenbar haben Sie keine Ahnung, was Ihre engsten Mitarbeiter angeht.
„Jedenfalls: Wissinger schien vorhin sehr darauf erpicht, Tiger direkt zu übernehmen. Ich hatte den Verdacht, dass er mit ihm möglicherweise nicht direkt zu Ihnen gegangen wäre. Es als eigenen Ermittlungserfolg verkauft hätte. Deswegen war mir so wichtig, dass ich zuerst mit Ihnen rede.“
Stumm betrachtet er mich, hört mir zu. Kratzt sich am Kinn – als könne er so das Dilemma, das interne Schisma, das ich ihm gerade präsentiere, lösen.
„Als er mich so angegangen ist, nach der Aktion vom Zoll gefragt hat – da ist mir klargeworden, dass der Rest Ihres Teams diese Info offenbar nicht hat.“
„Was genau ist da passiert?“
Ich beschreibe ihm kurz die Aktion der Fahnder im Containerdorf – lasse dabei wichtige Infos wie die Tatsache, dass Frank etwas damit zu tun hatte oder warum ich dort war, weg. Er fragt nicht nach.
„Und Wissinger wusste davon. Und wenn ihm bekannt war, dass Tigers Vater sich dort aufgehalten hat, muss er auch von Schellstädter gewusst haben.“ Mit einem Seufzer sehe ich wieder nach draußen. „Die ganze Zeit habe ich gedacht, ich wäre der Polizei einen Schritt voraus – jetzt stellt sich raus, ich war nur schneller als die Berliner. Der Hamburger Arm scheint zumindest gleichauf zu sein.“
Wehmeier knabbert an seiner Unterlippe, sieht dabei ebenfalls nach draußen. Plötzlich sieht er mich wieder an. Streckt mir abrupt seine Hand entgegen. „Danke für Ihre Offenheit, Herr Montelone – ich kann nicht sagen, dass ich über diese Informationen besonders glücklich bin, aber das ist wohl kaum Ihre Schuld.“
Ich schüttle seine Hand. „Kein Problem – ich hatte das Gefühl, ich handele durchaus auch in meinem eigenen Interesse.“
Wehmeier nickt. „Ich muss Sie trotzdem bitten, eine Aussage zu machen – sowohl zu allen, was Sie über Schellstädter und Tiger wissen, als auch zu dem Vorfall am Ostkreuz. Wenn wir erfolgreich nach Damian Lefevre fahnden wollen, brauchen wir Ihre Informationen.“
„Sicher.“
„Und ein Phantombild wäre hilfreich – aber in der Hinsicht haben Sie ja schon Erfahrung. Und machen Sie sich keine Sorgen.“ Er berührt mich leicht am Arm. „Ich bin nicht darauf aus, Ihnen einen Strick zu binden. Mein Ziel ist es, diesen Mann zu fassen. Lassen Sie meinetwegen aus, was Ihnen zu brisant erscheint, aber in Gottes Namen geben Sie uns alle Mittel an die Hand, um unsere Arbeit zu machen. Zur Not gehe ich das Protokoll später selber durch und nehme alles raus, was Ihnen gefährlich werden könnte. Deal?“
Mit einem Nicken schüttle ich erneut die Hand, die er mir anbietet.
Wir gehen zusammen den Korridor entlang, nachdem er mir angekündigt hat, mich zu einer Beamtin zu bringen, die meine Aussage zu Protokoll bringen wird. Mein Handy vibriert – eine SMS. Sie ist von Manu: Bin wieder zu hause. Alles gut mit dirty. Komm sobald du kannst …
„Kann ich kurz telefonieren?“
„Sicher, kein Problem.“
Während ich Manu anrufe, öffnet er eine Tür. Ich betrete das Büro direkt hinter ihm. Das Freizeichen ertönt. Wehmeier geht unterdessen zu einer junge Frau mit kurzen schwarzen Haaren, spricht mit ihr. Deutet auf mich. Sie sieht in meine Richtung, nickt, hört weiter zu.
Manu geht nicht ran. Frustriert lege ich auf. Kurz bevor ich das Handy wieder wegstecke, fällt mir Jasmin ein. Ich wähle ihre Nummer, und als sie rangeht, hebe ich kurz die Hand in Richtung der beiden Polizistin um anzuzeigen: Bin gleich wieder da.
Ich trete raus in den Gang, während ich Jasmin begrüße. In möglichst wenig dramatischen Zügen schildere ich ihr kurz, was passiert ist. Aber sie bleibt cool – hört sich alles an, lässt sich dann von mir die Adresse des Krankenhauses geben.
„Ich kümmere mich um ihn“, verspricht sie mir.
„Danke. Sag ihm, ich schaue vorbei, sobald ich kann – aber ich schätze, mit dir als Gesellschaft ist er ohnehin glücklicher als mit mir.“
Wir beenden das Gespräch und ich gehe zurück in das Büro. Die junge Beamtin wartet bereits auf mich. Während wir uns die Hände schütteln, stellt sie sich als Monika Schmidt vor. Ich folge ihr zu ihrem Schreibtisch, um die Aussage aufzunehmen. Wehmeier kann ich nirgendwo entdecken.

Diesmal muss ich für das Phantombild nicht in einen weiteren Raum – einer der anderen Mitarbeiter in dem großen Zimmer setzt sich mit mir vor seinen Rechner, nachdem mich Frau Schmidt dort abgesetzt hat.
Irgendwann kommt Wehmeier wieder ins Zimmer. Als er meinen Blick auffängt, nickt er mir zu. Sucht sich einen Aktenordner, blättert darin herum. Redet mit ein paar seiner Mitarbeiter. Falls er darauf wartet, mit dem Bild von Lefevre auf Fahndung zu gehen, zeigt er sich bemerkenswert stoisch. Hinter mir klickt immer wieder die Maus des Polizisten. „Sehen Sie mal hier …“ Ich wende mich ihm wieder zu, konzentriere mich auf den Franzosen.
Nach gut einer halben Stunde haben wir zusammen ein Bild erstellt, das annähernd wie Damian Lefevre aussieht. „So in etwa?“, fragt mich der Polizist. Ich werfe einen letzten kritischen Blick auf die bedrohlich aussehende Visage und nicke. Auf die Narben bin ich ziemlich stolz – die haben wir gut hinbekommen.

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