Misstrauen

Text

von  Xenia

Ich hab so viel Liebe in mir, ich möchte sie mit der ganzen Welt teilen.
Also gehe ich damit zum Bäcker um die Ecke, der mir so gern ein Brötchen umsonst dazupackt und leg ihm ein Stück davon in die klammen Hände.
Er betrachtet es vorsichtig und meint: “ Behalt du das nur, davon kann man nie genug haben.” Auch nach Überredungsversuchen meinerseits ist er nicht von seiner Sicht der Dinge abzubringen.
Ich bin geknickt, packe meine Liebe wieder ein und versuch es bei den alten Lehrern, die bei uns an der Bushaltestelle stehen. Diese jedoch sind vom ganzen Staub und den Abgaßen so benebelt, dass sie mich partout nicht verstehen. Alt und grießgrämig grummeln sie nu, ich solle dahin verschwinden, wo ich hergekommnen wäre.
Als ich versuche, den Schulkindern etwas von meiner Liebe zu schenken,  jagt man mich fort und beschimpft mich auf Übelste.
Traurig und verständnislos schleiche ich weiter, bis ich einem Polizisten begegne. Der jedoch hat keine Zeit. Er muss den Verkehr regeln. Ich frage noch ein paar Passanten auf meinem Weg, doch da mir jegliche Begeisterung abhanden gekommen ist, hört mir nicht einer zu.
Desillusioniert gebe ich es auf und setze mich einsam auf eine Bank. Da setzt sich ein alte Frau neben mich und kramt in ihrer Tasche. “Junger Mann, bitte sehr”, höre ich und blicke in ihr gutmütiges Runzelgesicht. Sie hält mir ein schmuddlig wirkendes Taschentuch vor die Nase. Ich nehme dankend an und lächle unter verschnupftem Räuspern.
“Vielen Dank”.
Ihr Gesicht neigt sich unter der Last ihres Mitgefühls ein wenig nach links, als sie fragt: “ Warum weinen Sie denn?”
“Ach, niemand möchte meine Liebe haben”, bringe ich hustend hervor.
Da lächelt sie leise in sich.
“Das ist doch gar nicht wahr. Die Menschen trauen einander nur nicht mehr genug, um ein Geschenk ohne Hintergedanken anzunehmen”, flüstert sie.
“Aber was soll ich denn jetzt machen”, schnupfe ich vor mich hin.
“Nichts” entgegnet sie, “ Was nötig ist, geschieht von alleine”.
Dann löst sie sich in Luft auf.
Erst nach Tagen beginne ich zu begreifen, was sie gemeint hat.

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Kommentare zu diesem Text


 Fuchsiberlin (13.01.17)
“Das ist doch gar nicht wahr. Die Menschen trauen einander nur nicht mehr genug, um ein Geschenk ohne Hintergedanken anzunehmen”, flüstert sie.
Dieser Satz passt sehr gut zu Deinem guten Text. Es verhält sich vielleicht öfters so. Mal ein anderer Text zum Thema Liebe und Vertrauen.

 Xenia meinte dazu am 13.01.17:
danke
Festil (59)
(13.01.17)
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 Xenia antwortete darauf am 14.01.17:
danke

 Dieter Wal (11.12.21, 10:04)
Nach Lektorat ist die Erzählung druckreif. Und ich entdecke sie erst nach nahezu fünf Jahren, obwohl ich gewöhnlich möglichst alles von dieser Autorin lese!
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