IV) Luigi

Geschichte zum Thema Menschen

von  Skala

Ich fand gleich eine ganze Schlange. Leider war das erste Taxi in der Reihe auch eindeutig das Älteste. Ich seufzte und hoffte, den nächsten Morgen noch zu erleben, als ich auf den altersschwachen Wagen zuging und mich auf den Beifahrersitz setzte. Ich konnte die Leute nicht ab, die sich im Taxi grundsätzlich nach hinten setzten – mal ganz davon abgesehen musste ich hinten leicht kotzen und die Geschichte mit Emilys Vater lag mir immer noch schwer im Magen.
Der Fahrer war ein südländischer Typ und begrüßte mich trotz der späten Uhrzeit (meine Armbanduhr zeigte 0:15 Uhr, aber auf die verließ ich mich nur ungern, da sie die unangenehme Angewohnheit hatte, des Öfteren stehen zu bleiben) mit einem breiten Grinsen und „Ciao Signorina“.
„Ebenso“, antwortete ich und nannte ihm die Adresse.
„Iche sein Luigi“, strahlte mich der Fahrer jedoch an und reichte mir seine Hand. Verblüfft schüttelte ich sie. „Äh… Anna.“
„Ah, molto bene!“, rief Luigi, schüttelte fröhlich zurück und überschüttete mich mit einem Wortschwall, Deutsch und Italienisch bunt gemischt.
„Sorry? Könnten wir vielleicht fahren? Wissen Sie, ich hab’s ein bisschen eilig…“
„Bene, bene…“ Endlich ließ Luigi meine Hand los und startete den Wagen. „Allora, andiamo.“
„Wissen Sie eigentlich noch, wohin ich muss?“ Ich war mir nicht so ganz sicher, ob Luigi mir zugehört hatte.
„Naturalmente“, strahlte er. „Iche immer wisse, wo schöne Fraue wolle.“
„Jep“, sagte ich und ließ mich, immer noch zweifelnd, in den ausgeleierten Sitz zurückfallen. „Bin ja mal gespannt.“
„Ah, bella, müsse du anschnalle, sonst komme incidente und biste du morto.“
„Alles klar“, grinste ich, legte aber dennoch den Sicherheitsgurt an. „Wie viele Unfälle hattest du denn schon?“
Luigi überlegte kurz. Dann sagte er: „Äh, iche noch keine, aber Freunde vonne mio hatte richtige incidente inne bella Italia, inne Roma. Ware Wagen ganze kaputte!“
„Auch ein Taxifahrer?“, fragte ich.
„Ah, Signorina, ware auch Taxifahrer, und hatte gefahre due cardinale.“
„Wie jetzt?“, staunte ich. „Hier, diese Kardi-dingsda, die vom Papst?“
„No no, nichte die heilige Papa, ware nur die cardinale. Papa nichte fahre mitte die Taxi!“
„War mir schon klar“, grinste ich. „Aber ich hätte auch nicht gedacht, dass Kardinäle mit dem Taxi fahren.“
„Danne und wanne.“ Luigi grinste.
„Und dann ein Crash.“ Ich schüttelte den Kopf. „Bist du auch in Rom Taxi gefahren?“
„Si.“
„Und wieso bist du jetzt hier?“
„Ah, bella, möchteste du nichte wisse.“
„Doch“, beharrte ich. „Möchte ich. – Hier links!“
„VA BENE!“, brüllte Luigi und riss das Steuer herum. Mit quietschenden Reifen schlingert das Taxi um die Ecke und ich begann, zum ersten Mal in meinem Leben bewusst zu beten.
„Brauchst mir nichts sagen“, korrigierte ich mich. „Bist bestimmt wegen gemeingefährlichem Verhalten ins Exil nach Deutschland geschickt worden.“
„Eh?“, fragte Luigi. „Iche nix gemeinegefährlich.“
„Wieso? Fahrt ihr in Rom alle so krank?“
„Bene. Iste nichte gefährliche.“
„Na ja“, sagte ich und spürte ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend. „Stell dir mal vor, da wäre gerade eine Oma – rechts! – oh oh oh… über die Straße gegangen, womöglich mit einer Katze an der Leine… Mann, nicht hier, das ist eine Sackgasse!“
„Scusi Signorina!“, erwiderte Luigi zerknirscht, legte den Rückwärtsgang ein und bretterte Bleifuß wieder zurück auf die richtige Straße.
„Sicher, dass du Taxifahrer bist? Noch nicht lange in Germania, was?“, knurrte ich.
„Bene.“
„Dann möchte ich gar nicht wissen, wo du die armen Leute in Rom immer hinkutschiert hast!“
„Nixe falsche Weg, immer richtige!“
„Warum bist du jetzt eigentlich hier?“, fiel mir plötzlich wieder ein.
Luigis Gesicht verschloss sich. „Iche nichte sage.“
„Bitte“, bettelte ich.
„No.“
„Bittebittebittebittebitte!“
„Nonononononono!“
„Gut, dann nicht“, resignierte ich. „Weißt du, ich hatte immer Angst, per Taxi und Anhalter zu fahren, weil ich immer dachte, in jedem zweiten Auto lauert ein psychopatischer Serienkiller. Habe aber diese Nacht irgendwie nur nette Leute kennen gelernt!“
„Ah, bella, nichte jede, die aussiehte wie eine Hannibale Lecter, iste eine psicopatico.“
„Ne“, sagte ich. „Weißt du, bin erst per Anhalter hier hin gereist und der erste Typ, der mich mitgenommen hat, bei dem musste ich wirklich überlegen, ob ich ins Auto einsteige, du, der sah aus, sag ich dir. So schütteres Haar und bleiche Haut und irgendwie eine gruselige Augenfarbe. Aber was soll ich sagen? War ein ganz Netter, Familienvater und so. Hat mir einen von der Beerdigung seines Onkels erzählt. Der hätte keiner Fliege was zu Leide getan. Eher schon die Zweite Tussi. Also, wir hatten eine Panne, und ich musste mir eine neue Mitfahrgelegenheit suchen, und das Mädel das mich mitgenommen hat sah zwar ganz normal aus, war aber ein richtiger kleiner Hirni. Ist voll ausgerastet. Na ja, hatte teilweise wirklich Angst, dass sie mir an die Gurgel geht. Und dann war da noch diese Oma mit der Spendendose… bisschen bekloppt, aber lieb.“ Ich schüttelte den Kopf. „Aber du bist bei Weitem der Netteste. Weißt du, ich finde dich irgendwie cool.“
„Eh, mille grazie, Signorina. Aber iche mache nixe mite die costo.“
„Habe ich auch gar nicht drauf angespielt. Das war keine Schleimerei!“
„Va bene.“
„Links jetzt hier!“
Wir waren fast da. Ich sah die bekannten, grauen Häuserfassaden und Vorfreude überkam mich. „Gleich hier!“, wies ich Luigi an. Er zögerte erst, trat dann jedoch auf die Bremse.
„Fine, Signorina“, sagte er und sein Blick wanderte kurz zum Handschuhfach. Ich wunderte mich, woher diese neue Unentschlossenheit kam. Luigis rechte Hand, die locker auf dem Steuer lag, verkrampfte sich kurz, ebenso sein Gesichtsausdruck.
„Wie viel kriegst du denn nun?“, fragte ich.
Seine Mimik entspannte sich. „Ah, bella, iste inne Ordnunge. Iste, eh, fünfe Euro!“
„Wow“, sagte ich, „das ist wirklich nett. Warte, die habe ich auch noch in der Tasche.“ Ich griff in meine Hosentasche und förderte einen zerknitterten Fünfeuroschein zutage.
„Hier. Und vielen Dank!“
„Keine Probleme. Ciao, bella!“
Ich stieg aus dem Taxi, knallte die Tür zu und winkte noch einmal durchs Fenster. Luigi winkte kurz zurück und brauste dann davon.
Ich drehte mich erleichtert zu dem großen, düsteren Haus um. Unser Haus. Mein Haus. Langsam ging ich auf die Haustür zu, kramte in meinen Jackentaschen nach dem Schlüssel.
Irgendwie beschlich mich das komische Gefühl, das etwas fehlte. ‚Zum Teufel!’ dachte ich, weil mir einfach nicht einfiel, was.
Ich steckte den Haustürschlüssel ins Schloss, doch noch bevor ich ihn herumdrehen konnte, ging die Tür auf und mein Bruder stand vor mir.
„Niki!“, rief er erfreut und schloss mich in die Arme. „Bist du auch mal da!“
Justin war der Einzige, dem ich erlaubt mich Niki zu nennen. Alle anderen mussten mich Annika nennen. Den Namen Anna benutzte ich nur zur Tarnung. Im Allgemeinen fand ich Spitznamen ätzend.
„Hey“, grinste ich und knuddelte ihn zurück. „Wie geht’s? Alles gut gelaufen?“
„Sicher“, erwiderte Justin. „Aber jetzt rück sie raus! Wo ist sie?“
„Im Rucksack“, antwortete ich – und spürte im gleichen Augenblick, wie sich ein unangenehmes Gefühl in meinem Magen ausbreitete.
Jetzt wusste ich, was fehlte.

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