Schmetterlingsflügel

Roman zum Thema Rache

von  Mutter

Mit einer geschickten Drehung der Schulter wich Anya dem Tagelöhner aus, und schob sich an ihm und seinem Begleiter vorbei. Die Menge, die sich hinunter zum Hafen bewegte, war dicht genug, um sie nahezu unsichtbar zu machen, aber dafür musste sie achtgeben, keine blauen Flecken davonzutragen.
Der Mann, dem sie folgte, schöpfte offenbar keinen Verdacht. Lachend unterhielt er sich mit seinen beiden Begleitern, die eigentlich dafür sorgen sollten, dass Menschen wie Anya ihm nicht zu nahe kamen. Aber die beiden schenkten der Menge kaum Aufmerksamkeit, und begnügten sich damit, Menschen aus dem Weg zu stoßen, wenn sie ihrem Arbeitgeber zu nahe kamen.
Eine Lücke in dem Gedränge ausnutzend, schloss Anya zu den dreien auf. Als Halipp auf eine der Tavernen zeigte, und offenbar einen Scherz machte, nutzte sie die Gelegenheit, und duckte sich an ihnen vorbei. Nur eine kleine Berührung, nicht mehr als der Flügelschlag eines Schmetterlings, hatte ihre Mutter immer gesagt. Aber diesmal hatte sie nichts gestohlen. Diesmal befand sich nach ihrer Berührung mehr in Halipps Taschen als vorher.

Keiner der Männer hatte sie bemerkt, und zufrieden schob sie sich weiter durch die Menge, auf das Wasser zu.
Die Möwen, die überlegen über den Gassen von Purassur segelten, stellten die einzigen weißen Flecken in einem ansonsten makellosen Himmel dar, und das warme Wetter hatte mehr Menschen als sonst an einem Hammer&Amboß-Tag vor die Türen getrieben.
Etwa zweimal die Woche liefen Schiffe aus der Dynastie in den Hafen ein, und außer den Händlern und Tagelöhnern, die kamen, um Geld zu verdienen, fanden sich häufig Schaulustige ein, um einen Blick auf die Fremden zu erhaschen. Anders als die üblichen Schiffe aus den restlichen Ostlanden stellten die Fahrzeuge von der Westseite des Kontinents eine Art Botschafter aus einer komplett anderen Welt dar.
Obwohl kaum einer der Einwohner der Hafenstadt jemals einen Fuß nach Bragan, oder in die Küstenstädte der Südmark gesetzt hatte, kamen deren Schiffe so häufig nach Purassur, dass sie zum Alltag gehörten. In den Tavernen und Herbergen entlang der Kais fanden sich dunkelhäutige Braganer ebenso häufig wie die wortkargen Silberschlangen aus dem Norden, und solange sie mit guter Münze zahlten, bekamen sie keinen Ärger in dem Freihafen.

Anya dachte daran, dass sich vieles hier bald ändern mochte. Die neue Königin hatte ihren Thron erst seit einigen Farben inne, und noch nicht damit begonnen, ihr gesamtes Reich in Besitz zu nehmen. Ein Reich, welches vor dem Bürgerkrieg auch die reiche Handelsstadt Purassur umfasst hatte. Bisher gingen die Pfeffersäcke davon aus, dass es in ihrer Macht stand, zu entscheiden, ob sich Purassur dem Reich wieder anschließen würde oder nicht. Anya war sich da nicht so sicher. Es gab zuviel Geld in der Stadt, um diese Frage anders als rigoros zu behandeln.
Als sie vor sich die Molen sehen konnte, schlüpfte sie in eine Seitengasse, um auf Halipp und seine beiden Knochenbrecher zu warten. Wenig später schoben sich die Männer in ihr Gesichtsfeld, und mit einem zufriedenen Lächeln drückte sie sich noch weiter in den Schatten.

Das erwartete Schiff aus der Dynastie war noch nicht eingetroffen, und so hielten sich die Männer etwas abseits, wo wenig später einer der Kontoristen zu ihnen stieß. Er unterhielt sich kurz mit Halipp, mehrere Schriftrollen in der Hand haltend. Mit einer knappen Handbewegung deutete Halipp auf eines der Lagerhäuser, und nach einer tiefen Verbeugung fädelte sich der Kontorist wieder in die Menge ein.
Halipp zeigte auf seinen Rücken, und sagte etwas. Übertrieben lachend kommentierten die beiden Schläger seinen Scherz.

Anya hatte Halipp noch nie besonders gemocht, aber vor zwei Tagen hatte er ihr die Entschuldigung geliefert, etwas gegen ihn zu unternehmen. Sie hatte schon öfters für seinen Arbeitgeber, Warrot den Wanst gearbeitet, und dabei meist mit seinem Untergebenen Halipp zu tun gehabt. Warrot hatte seine feisten Finger in vielen Geschäften, die bestenfalls zwielichtig zu nennen wären, und so hatte er schon mehrere Male die Dienste einer Taschendiebin gebraucht. Anyas Dienste. Und er zahlte gut, aber da sie jedes Mal mit Halipp zu tun hatte, blieb bei den Aufträgen neben dem Silber in ihrem Beutel immer auch ein schaler Geschmack in ihrem Mund zurück.
Gedankenverloren spielte sie mit dem Gelben Splitter, der an einer silbernen Kette um ihren Hals hing. Sie hatte die Abneigung gegen Magie von ihrer Mutter geerbt, und die magischen Kristalle jedes Mal so schnell verkauft, wie sie konnte, wenn sie einen davon gestohlen hatte.

Mit diesem hier hatte es eine etwas andere Bewandtnis. Tavo hatte ihn ihr gegeben, als sie sich voneinander verabschiedet hatten. Vermutlich war es Meister Tobas‘ Idee gewesen. Unwahrscheinlich, dass die Rotznase von selbst auf so etwas gekommen war. Sie atmete tief durch, und schüttelte die Wehmut ab, die die Gedanken an das ungleiche Paar unweigerlich in ihr aufkommen ließen. Es gab im Moment Wichtigeres, auf das sie sich konzentrieren musste.
Anya sah den Schwertmeister lange vor den drei Männern kommen. Als sich die breitschultrige Silhouette Uyantés aus der Menge löste, drehte sich Halipp zu seinen Begleitern um, und machte eine abfällige Bemerkung. Leise genug, dass Uyanté sie nicht verstehen konnte.

Der Thuré überragte Halipp um fast eine Kopflänge, und beeindruckte allein durch seine physische Präsenz. An Ellenbogen und Knien flatterten die bunten Bänder, die sein Markenzeichen darstellten, und an seiner Seite hing die schlanke Klinge aus schwarzem Stahl.
Halipp verzog das Gesicht, und sah zu dem größeren Mann auf. Seine nussbraune Haut, etwas heller als die des Thuré, schien ständig zerknittert und hatte sich inzwischen permanent in Falten geworfen, da er immer entweder mit Missfallen oder Misstrauen auf die Welt blickte. Mit einer Hand fuhr er sich über die harten Stoppeln am Kinn und sagte: ‚Was willst du, Uyanté?‘
Ohne ein weiteres Wort griff der Steppenmann Halipp mit der Linken an den Gürtel, um ihn festzuhalten und dann mit der rechten Hand in die Innentasche der Weste seines Gegenübers. Wütend machte Halipp einen Schritt zurück, sobald ihn der Thuré wieder losgelassen hatte und spuckte wütend aus.

Der Schwertmeister hielt einen kleinen Gegenstand in seiner Hand. Den Gegenstand, von dem nur er und Anya überhaupt gewusst hatten, dass Halipp ihn besaß. Mit einem traurigen Blick zeigte er Halipp, was er ihm abgenommen hatte. Ein ovales Medaillon, mit dem Bild seiner zukünftigen Frau darin. Der Frau, die gestern Nacht von zwei Männern überfallen, vergewaltigt und brutal getötet worden war.
Mit einem Kopfschütteln starrte Halipp auf das Bild. Er verstand immer noch nicht.
Uyantés Gesichtsausdruck änderte sich auch nicht, als er ein langes Messer zog, und mit einer schnellen, gleichmäßigen Bewegung die Klinge quer über Halipps Bauch strich.

Die Augen des Schlägers weiteten sich, und erschreckt starrte er auf die Mischung aus schwarzem Blut und Eingeweiden, die aus seinem Innersten quollen. Dann sackte er langsam mit aufgerissenen Augen in die Knie.
Der Knochenbrecher zu seiner Linken erholte sich zuerst. Er wollte das Kurzschwert, das an seiner Seite hing, ziehen, als Uyanté ihm das Messer mit einer ruhigen Bewegung in die Kehle stieß.
Der zweite Mann verschwand einen Augenblick später in der Menge, ohne seine Waffe gezogen zu haben.
Das Treiben am Kai schien völlig zum Erliegen gekommen zu sein. Bis auf die trotzigen Schreie der Möwen war kein Laut zu hören, und alles starrte wie versteinert auf die sterbende Form von Halipp. Anya eingeschlossen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Uyanté ohne weitere Fragen, ohne nachzudenken, töten würde.

Ihr Blick glitt über die inzwischen stille Gestalt von Halipp. Er hatte nichts Besseres verdient, hörte sie sich sagen. Er war ein Schwein, und ein Bastard. Aber sie konnte ein leichtes Gefühl der Übelkeit nicht ganz niederkämpfen, als sie sich zur Seite drehte, um den Hafen zu verlassen. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Uyanté das Medaillon küsste, wieder schloss und sich dann ebenfalls abwendete, um sich seinen Weg durch die Menge zu suchen. Anders als vor ihm wichen die Menschen vor der kleinen Diebin allerdings nicht wortlos zurück, und mehrmals bekam sie einen Ellenbogen in die Rippen, oder eine Schulter ins Gesicht. Nach kurzer Zeit hatte sie die breite Fischergasse erreicht, und es wurde weniger beengt.


Anmerkung von Mutter:

Ich stelle diesen Text ein, auch auf die Gefahr hin, von verschiedenen Seiten Dresche zu beziehen, weil der Schreibstil so anders ist als meine bisher auf KV veröffentlichten Sachen ...

Dies ist der Romananfang des Textes, an dem ich eigentlich gerade sitzen müsste. Stattdessen treibe ich allerlei Unsinn auf KV.
Der Roman ist zur Hälfte fertig, und der zweite von ungeplanten Weißichnochnich ...

Mein Problem ist im Moment, dass ich gerade extrem viel Gefallen an ausschweigenden Lebensweise eines schnoddrigen Ich-Erzählers gefunden habe - dagegen ist das hier deutlich kleinteiliger. Mal schauen, ob ich die Kurve wieder kriege ... ;)

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Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(12.12.08)
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 Mutter meinte dazu am 12.12.08:
HAH!

So fängt's an, mit dem Korrigieren. ;)

Das mit dem Konzentrieren (also gehen wir jetze mal davon aus, das liegt am Text, und nich' am Kitten, im Zweifel für den Angeklagten, quasi ...) diss seh' ich schon ein, aber ein echt langer Text darf da ja auch ein bisschen mehr reinpacken, denke ich. Kann ja noch mal schauen, ob man's an einigen Stellen noch erleichtern kann, also dem Leser.

Gabi geht's gut - der muss sich jetzt mit so 'nem ekligen Waliser rumschlagen - die sind auch nicht besser als die Iren. Keine Sorge, diss iss nich' vorbei ... ;)

Und dass Dir das gefällt - diss macht mir sehr zufrieden. Ich mag die Anya nämlich, und das hätte mir nich' so gut gefallen, wenn Ihr Euch nicht vertragen hättet.

 Isaban (13.12.08)
Man sollte sich nie festlegen lassen. Schreiben ist Veränderung, ist Entwicklung.

Die Story ist spannend, wenn auch noch etwas verwirrend, aber das gehört wohl zu einem Romananfang und macht Lust, so nach und anch in Erfahrung zu bringen, wer bzw was sich hinter den unbekannten, in diesem Text unerklärten Namen verbirgt, welche Rolle diese Personen noch spielen werden und wo sich der in der in der Anmerkung erwähnte Ich-Erzähler versteckt hat.

Die kleine Taschendiebin hast du schon einmal gut heraisgearbeitet, so gut, dass man ihr beinahe bedenkenlos den geplanten Mord verzeiht, obwohl man die Hintergründe ja noch gar nicht kennt. Einzig auf solche Formulierungen müsstest du achten, die Leser sind ja (noch) Außenstehende und können mit dem "wieder" nichts anfangen.

Die neue Königin hatte ihren Thron erst seit einigen Farben inne, und noch nicht damit begonnen, ihr gesamtes Reich wieder in Besitz zu nehmen.

Ansonsten: gern und mit Spannung gelesen und Neugier auf die Fortsetzung entwickelt.

Liebe Grüße,
Sabine

 Mutter antwortete darauf am 14.12.08:
Ich gebe zu, dass ich, da es sich um den zweiten Roman handelt, und er sich ein Stück weit auf Geschehnisse im ersten bezieht, an mancher Stelle zu viel voraussetze und den Leser überfordere.
Da der Roman aber auch alleine funktionieren soll, werde ich diese Stellen entweder rausnehmen oder weiter unterfüttern (also dei notwendigen Informationen mitliefern).

Das mit dem Ich-Erzähler ist allerdings ein Mißverständnis, da habe ich mich unklar ausgedrückt - ich habe in letzter Zeit nur Texte mit Ich-Erzählern geschrieben, da sind diese (älteren) Sachen von mir halt ein ziemlicher Stilwechsel.

Wie immer ein herzliches Danke schön für Deinen Kommentar - die Mischung aus Bestätigung und konstruktiver Kritik ist sehr potent. Genieße ich immer sehr ...

M.
Caterina (46)
(13.12.08)
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 Mutter schrieb daraufhin am 14.12.08:
Kann ich den Helm ja wieder abnehmen ... ;)

Danke schön.
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