Hart aber unfair - Wenn Weihnachten auf Wirklichkeit trifft

Satire zum Thema Abgrund

von  Didi.Costaire

Seit etwa einer Stunde versuche ich, die Scherben fortzufegen. Es werden immer mehr.

Dabei verlief der Heilige Abend anfangs so fröhlich - obwohl wir uns Weihnachten eigentlich gar nicht leisten können: Meine Frau verdient kaum etwas, seit sie nur noch stundenweise nachts auf Abruf im Pflegeheim arbeitet. Ich musste meinem notleidenden Chef in diesem Jahr erstmals Weihnachtsgeld zahlen. Klar, dass in unseren Taschen die absolute Ebbe herrscht.

Die Kinder bekamen nicht die Geschenke, die sie am liebsten gehabt hätten, und auch davon nur knapp die Hälfte. Aber die Kleinen haben wirklich großartig reagiert. Keiner maulte und die Atmosphäre gestaltete sich so heiter und friedlich wie man sie sich zum Fest der Liebe vorstellt.

Nach der Bescherung teilte ich mit meiner Frau eine selbstgedrehte Zigarette, und wir tranken ein Tässchen Kaffee. Die Kinder saßen auf dem Fußboden und spielten mit den Quizkarten, die ich ihnen gebastelt hatte. Rebecca, die Kleinste, wurde von ihren Brüdern zur Spielleiterin auserkoren, während sich die Jungen an das Beantworten der Fragen machten. Was Jan und Niklas alles wussten – ich war richtig stolz!

Dann pochte es an der Tür. Die Kurzen waren sofort aufgesprungen und kamen ganz aufgeregt zurück. „Mama, Papa, da steht ein Weihnachtsmann vor der Tür!“

Ich stand auf, um selbst nachzusehen. Im Eingang befand sich  tatsächlich ein fremder Mann mit Gesichtsbehaarung, wenn auch nicht mit weißem Rauschebart. Der Herr schien um die fünfzig zu sein, trug schwarze Lackschuhe, eine dunkle Hose mit Bügelfalte, ein helles Hemd und ein Jackett, dessen undefinierbare Farbe die matteste war, die ich jemals gesehen hatte. Eine merkwürdige Mischung zwischen Oberstudienrat und Staubsaugervertreter, dachte ich mir.

„Zukunft und Gerechtigkeit haben einen Namen“, sagte der Unbekannte mit sonorer Stimme. „Gestatten, Klaus-Rudolph Kuchenbecker, ihr Spitzenkandidat für die Bundestagswahl.“ Der Mann mit der frohen Botschaft auf den Lippen stand bereits im Wohnungsflur. Nur wenig später saß er auf dem Sofa. Meine Frau ging in die Küche, um eine zusätzliche Kaffeetasse zu holen und die Kinder bliesen die zerplatzten Luftballons auf, die der Überraschungsgast ihnen geschenkt hatte.

„Martin, ich glaube, wir haben nicht mehr alle Tassen im Schrank!“ Susanne kam völlig aufgelöst und mit leeren Händen zurück. Ich war ebenfalls verdutzt.

„Die Tassenfrage steht im Kontext mit der fest verankerten  Bodenhaftung sämtlicher Untertassen seit Jahren ganz oben auf unserer Agenda!“, beruhigte der Politprofi. Ich wollte den Sinn seiner Worte gerade bei einem Schlückchen Kaffee ergründen, doch die Tasse befand sich ebenfalls fest verankert in den Händen des Fremden.

Ich konnte mich nicht beschweren, denn schon hatte ich meine Tochter im Arm, die gerade als Spielleiterin abgesetzt worden war. „Papa, Jan und Niklas sagen, sie können meinen Führungsanspruch nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren“, heulte sie mir ins Ohr.

„Das passiert in den besten Familien“, schwadronierte der ungebetene Gast. Er hatte nicht nur seinen Oberkörper gänzlich meiner Frau zugewandt, die rechts von ihm saß. „Wir aber wissen genau, mit wem wir koalieren und lassen uns nicht von weltfremden Utopisten ins Bockshorn jagen.“

Jan und Niklas indessen konnten plötzlich keine der Quizfragen mehr beantworten und verloren die Lust am Spiel. Sie verschwanden irgendwo im Nirgendwo. Wahrscheinlich waren sie dort, wohin auch ihre Schwester soeben geflüchtet war. Ich selbst fasste mir ein Herz und warf den falschen Weihnachtsmann hinaus.

Nun bin ich völlig allein. Der Unbekannte hat meine Frau mitgenommen, um sich von ihr scheiden zu lassen.

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (13.12.08)
Oh, wie unglaublich schräg! Immer, wenn man grade meint, sich eine der überraschenden Wendungen und Ungereinmtheiten erklären zu können und endlich den Durchblick zu haben, taucht die nächste auf.

Öhm - fasziniert gelesen. Geheimnisvolle Sache. Und sowas von!

Liebe Grüße und die besten Wünsche für ein politikerbesuch- und staubsaugervertreterfreiers WE,

Sabine

 Didi.Costaire meinte dazu am 14.12.08:
Scheinbar ist diese Geschichte nicht so statisch wie mein letzter Prosatext.
lg, didi
schneerosenkind (38)
(13.12.08)
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 Didi.Costaire antwortete darauf am 14.12.08:
Schön, dass der Text dir gefallen hat. lg, didi

 styraxx (14.12.08)
Schräg ist nicht gleich schräg. Nein hier finde ich es besonders gelungen, gern gelesen und mit Überraschungseffekt am Schluss,
- tolle Satire. Liebe Grüsse c.

 Didi.Costaire schrieb daraufhin am 16.12.08:
Danke für deinen gradlinigen Kommentar und die Empfehlung. lg, didi
elvis1951 (59)
(18.12.08)
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 Didi.Costaire äußerte darauf am 20.12.08:
Ich fürchte, es würden Spartanische Verse dabei herauskommen, die in einen harten Winter der späten Vierziger Jahre zurückführten... vielleicht eine gute Idee für einen Text. lg, didi

 harzgebirgler (14.11.17)
typen a la kuchenbecker
geh'n eim gerne auf den wecker
und das beste dürfte sein
man läßt sie erst gar nicht rein!

beste schmunzel- & abendgrüße
henning

 Didi.Costaire ergänzte dazu am 15.11.17:
Sind Typen so skurril und auch so schlecht,
gibt's sie fiktiv nur aber nicht in echt.

Oder?

Danke für deine Zeilen und beste Grüße, Dirk
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