Bufo Marinus

Erzählung zum Thema Absurdes

von  Mutter

Es kam mit der Morgenpost: ein ganz normal aussehendes Paket in braunem Packpapier und verschnürt mit derber Doppelschnur. Es unterschied sich in nichts von den Tausenden anderer Pakete, wie sie die Postboten tagtäglich austragen. Mit diesem aber hatte es eine besondere Bewandtnis – eine ganz besondere.
Normalerweise öffne ich Pakete, die ich bekomme, eher spät. Manchmal nie. Ich bin ein Ebay-Messie: Ich bestelle mir Sachen, die mich bis zu dem Moment verzaubern, in dem ich auf ‚Bieten’ klicke, oder noch besser, auf ‚Sofortkauf’. Danach verliere ich ziemlich schnell die Lust an ihnen, und oft weiß ich gar nicht, was dort in einem dieser meist in Packpapier eingeschlagenen Pakte ankommt.
Der Kaufrausch ist vorbei, der Kater längst weg, und zurück bleibt nur die missmutige Stimmung, wenn ich vor den hässlichen und oftmals nutzlosen Ergebnissen meiner digitalen Shopping-Tour stehe.

Meine Mutter wollte mich schon irgendwohin schicken, damit ich mir Hilfe suchen kann. Ich habe nur entgegnet, dass ich nicht genau wüsste, wo im Kiez die nächste Selbsthilfegruppe für bescheuerte INet-Käufer wäre. Da hat sie mir vorgeschlagen, doch woanders hinzugehen. Zu den Weight Watchers, oder den Anonymen Alkoholikern. Sie meinte, wer selbst so arge Probleme hätte, der würde sicher auch Verständnis für die Schwächen anderer aufbringen. Das zu versuchen habe ich mir allerdings gespart.
In meiner Wohnung ist genügend Platz – seit mein früherer Mitbewohner ausgezogen ist, habe ich ein ganzes Zimmer, in dem ich den Scheiß stapeln kann. Bevor das in die restliche Wohnung überquillt, habe ich also noch ein wenig Zeit. Manche von den Sachen habe ich sogar wieder eingestellt, aber nur mit wenig Erfolg. Es scheint, als würde ich nur Dinge kaufen, für die sich ansonsten kein Arsch interessiert.

Jedenfalls lag dieses besagte Paket schon ein oder zwei Tage auf der Kommode im Flur, ohne dass ich es angerührt hätte. Während ich mit einer heißen Tasse Tee gerade aus der Küche auf dem Weg ins Wohnzimmer bin, höre ich plötzlich eine dumpfe Stimme sagen: ‚Sag mal, willst du das Paket vielleicht auch aufmachen, du Arsch?’
Erschrocken sehe ich mich um, schüttele aber kurz darauf den Kopf. Reiner Reflex, ist ja aber Gott-sei-Dank niemand da, der sich hätte lustig machen können. Ich öffne kurz die Tür, aber im Flur ist ebenfalls niemand.
‚In dem Paket, du Trottel’, höre ich es aus der Wohnung kommen.
Ich schließe die Tür und stelle mich vor das Paket. Gibt ja manchmal so Momente im Leben, wo man das Gefühl hat, das ist ein Film. So richtig Truman-Show-Mäßig.
‚Na los, mach’ schon auf. Mir ist fad hier drin.’
Vorsichtig fasse ich das Paket an, schiebe es ein wenig hin und her.
‚Mir wird schlecht. Außerdem ist die Luft etwas abgestanden. Mach hinne.’
Mit beiden Händen fasse ich das Paket an und schüttele es leicht.
‚EJ! Bist du bekloppt? Ich hab’ doch gesagt, mir wird schlecht! Mann, bist du Stulle? Los jetzt, mach zu. Ich will raus.’

Ich habe etwas Schwierigkeiten, das Packpapier zu lösen, ohne die Kiste auf den Kopf zu drehen, aber nach etwas Fummelei gelingt es mir, das Papier aufzufalten. Darunter kommt eine Kiste aus dicker Pappe zum Vorschein, in der in regelmäßigen Abständen runde Löcher sind. Vielleicht um Haustiere, Hamster oder so, zu transportieren. Da gibt es bestimmt eigene Kisten für – nur ob die auch für den mehrtägigen Postversand vorgesehen sind, da habe ich so meine Zweifel.
‚Oh, das blendet. Mach mal das Licht aus.’
Gehorsam betätige ich den Lichtschalter und trete dann an die Kommode zurück, um den Deckel abzuheben.
Im spärlichen Licht sehe ich drinnen, auf einem dicken Polster aus hölzernen Spänen, eine Kröte sitzen. Aha.
Fieberhaft versuche ich mich zu erinnern, wann die Weight Watchers hier um die Ecke ihr nächstes Treffen haben – ich denke vielleicht hat Mutter doch Recht, und ich sollte mir schleunigst Hilfe holen.
‚Und?’ fragt die Kröte ungehalten.
‚Was und?’ frage ich, deutlich gehaltener, zurück.
‚Willst du mich hier vielleicht den lieben langen Tag drin lassen? Maulaffen feil halten? Oder holst du mich jetzt hier raus?’
Ich nicke und will mich gerade vorbeugen, um sie gehorsam heraus zu heben, als sie scharf ‚Tstststststs …’ macht. Erschrocken halte ich inne.
‚Gummihandschuhe’, sagt sie tadelnd. Ich verstehe nicht.
‚Wäschst du manchmal ab?’ fragt sie langsam, und ich nicke. Nicht so oft, wie ich sollte, aber öfter als ich muss.
‚Benutzt du dafür Handschuhe?’
Nur für den ganz groben Dreck, denke ich, aber sie wartet nicht einmal auf die Antwort. ‚Dann geh’ sie holen’, befiehlt sie mir.
Ich gehe die Handschuhe aus der Küche holen. Wie in Trance befolge ich, was sie mir aufträgt – ein Android, ferngesteuert durch eine fette Kröte im Pappkarton. Die ich auf Ebay ersteigert habe.

Nachdem ich mir die Handschuhe angezogen habe, hebe ich das dicke Tier endlich aus seinem Gefängnis. Etwas hilflos stehe ich leicht vorgebeugt im Flur, und überlege, ob man sich an einer Kröte einen Bandscheiben-Vorfall heben kann.
‚Komm schon, setz mich ab’, sagt sie. Als ich runter auf den Boden lassen will, gibt sie ein helles Quieken von sich.
‚Doch nicht auf den Fußboden – ins Wohnzimmer. Auf einen der Sessel.’
Gemeinsam begeben wir uns ins Wohnzimmer und ich setze sie in den weichen Sessel, den mit dem grünen Samt.
Zufrieden schiebt sie sich ein wenig zurecht und ich beobachte sie gespannt, auf der Lehne des Sofas sitzend.
Als sich die Kröte nicht anschickt, mir weitere Anordnungen zu geben, sage ich irgendwann: ‚Und jetzt? Was machen wir nun?’
Sie blinzelt lethargisch, scheint sich wohl zu fühlen, da auf meinem Sessel.
‚Lecken’, sagt sie dann.
‚Was bitte?’ entfährt es mir. Ich muss mich verhört haben.
‚Lecken’, wiederholt sie unbeeindruckt. ‚Du musst mich mit der Zunge berühren.’
Mein Ekel ist mir offenbar ins Gesicht geschrieben.
‚Das macht man so. Bufo Marinus, Aga-Kröte - dafür hast du mich doch ersteigert.’
Ich traue mich nicht, direkt zu widersprechen, immerhin konnte ich mich an nichts mehr erinnern. Aber das ich auf ‚Bieten’ geklickt hatte mit der Absicht, an ihrer warzigen Krötenhaut zu lecken konnte ich mir nur scher vorstellen.
‚Kann man sonst noch was mit dir machen? Außer dran Lutschen?’
Sie sieht mich mit verächtlich hängenden Lidern an. Wohl nicht.

‚Ich habe auf Wikipedia gelesen, dass man davon sterben kann’, sage ich lahm. An der Verachtung in ihrem Blick ändert sich nichts. Kann mir schon vorstellen, was sie jetzt denkt: Erst mich auf Ebay ersteigern, sich fühlen wie Graf Koks, und dann nicht mal Lecken wollen. Sie hält mich für einen Schwachmaten. Bin ich wohl auch – nie im Leben würde ich mich trauen, mit der Zunge über ihre rauen Warzen zu gehen. So geil kann gar kein Trip sein. Und bei der dämlichen Auktion stand bestimmt dabei: ‚Dies ist eine Privatauktion! Ausschluss jeder Gewährleistung, keine Rücknahme!’ Steht ja immer überall dabei.
‚Los jetzt, Jüngling. Mir ist fad – leck mich!’
Ich rutsche auf der Sofalehne etwas weiter nach hinten. Vielleicht kann ich ein paar Tage bei Markus wohnen. Bis die Kröte entweder weg ist oder tot.

Abends versuche ich, fern zu sehen, aber es fällt mir schwer. Gerade kommt de Niro in ‚Die durch die Hölle gehen’ aus dem Vietnamkrieg zurück, als sie anfängt, rumzunölen. ‚Laaaangweilig. Total ööööööde. Soll das spannend sein? Weißt du, was wirklich aufregend wäre?’
Ich antworte nicht – kenne die Antwort ja schon. Ich drehe mich nicht mal zu ihr um, regele nur die Lautstärke höher.
‚Könntest mich lecken. Das wäre aufregend. Ein echter Trip’, übertönt sie Christopher Walken beim Russischen Roulette. Leise seufze ich – das wird ein langer Abend.

Der junge Mann kommt direkt Sonntagmorgen. Ich öffne ihm die Tür, bringe ihn ins Wohnzimmer und zeige aus sicherer Entfernung auf den Sessel. Ohne zu zögern schlüpft er in die mitgebrachten Gummihandschuhe, greift sich die schlafende Kröte und packt sie in den Karton, den ich ihm reiche. Ihr quiekender Protest wird durch die Decke gedämpft, die er geschickt um die Kiste wickelt.
Mit ihr unter dem Arm drückt er mir den Zehner in die Hand und nickt.
‚Viel Spaß’, sage ich gedämpft, als ich die Haustür hinter ihm schließe.

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Legendäre Drogen-Kröte
Gut erhaltene Aga-Kröte (Bufo marinus) aus zweiter Hand an Selbstabholer abzugeben. Transportbox ist vorhanden.
Dies ist eine Privatauktion! Ausschluss jeder Gewährleistung, keine Rücknahme!
Sofortkauf: 10 EUR


Anmerkung von Mutter:

Teil des Projektes „Vorgegebener Anfang mit vorgeschriebener Länge“. Guckstu hier:  Voll krasses Projekt, heh!

Erlaubt waren 1357 Wörter, dieser Text hat: 1357 Wörter.

Offensichtlich drogen-induziert durch KeinBs Text „Misdirected“  Wer KeinBs Kröte lecken will, klickt hier ...

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Kommentare zu diesem Text

KeinB (29)
(20.01.09)
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 Mutter meinte dazu am 20.01.09:
:D

a) Ganz bestimmt ...
b) Mmmh, schwer - was genau zählt noch mal alles als Droge? ;)
c) Der letzte richtige Drogenfilm war ... 'Leaving Las Vegas'? Und der ist doch schon urst-alt, oder?
d) Würde ich gerne, aber mein Therapeut redet nicht mehr mit MIR ...

Schönschön. :)
KeinB (29) antwortete darauf am 20.01.09:
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Steinwolke (65)
(20.01.09)
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 Mutter schrieb daraufhin am 20.01.09:
Ich kann Dir ja den Ebay-Nick vom Käufer geben - schätze mal, inner Woche könnteste sie für'n Zehner haben ... :D

Oder Du fragts KeinB, die hat bestimmt auch noch eine zu Hause ...

Danke schön.
KeinB (29) äußerte darauf am 20.01.09:
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The_black_Death (31)
(20.01.09)
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 Mutter ergänzte dazu am 20.01.09:
Ej, haste etwa auch an der Kröte geleckt? :D
shadowhunter (28)
(20.01.09)
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 Mutter meinte dazu am 21.01.09:
Was für ein großartiger Kommentar. :D
Das "Gott schütze Dich und das leckgeile Viech" lasse ich mir als T-Shirt machen ...
*stolzdiebrustschwell*
shadowhunter (28) meinte dazu am 21.01.09:
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 Mutter meinte dazu am 21.01.09:
Bekommste ...

ABER: Keine Garantie, keine Rücknahme.
shadowhunter (28) meinte dazu am 22.01.09:
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Kitten (36)
(21.01.09)
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Thor (30)
(22.01.09)
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 Mutter meinte dazu am 22.01.09:
:D

Keine Garantie, keine Rücknahme? *g*
Thor (30) meinte dazu am 25.10.09:
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