Gerade noch waren wir Rythmus und Takt und Tanz

Kurzgeschichte zum Thema Angst

von  Seelensprache

Hälst mir deine Hände hin, wie einem kleinen Kind, das auf den Po gefallen ist und nun Hilfe beim Aufstehen benötigt. Ich sitze abseits am Rand auf der kleinen Anhöhung und schaue dich an. In Wirklichkeit tue ich das schon die ganze Zeit. Es ist, als existierst nur noch du. Was hast du mit mir gemacht? Hälst immer noch deine Arme hin.
Du lächelst. Ich lächel zurück. Ich hoffe du möchtest das. Dann höre ich auf und schaue weg. Ich befürchte, du fürchtest mein Interesse. Das möchte ich nicht.
Anschauen ohne zu starren. Interessiert sein ohne gierig zu werden. Nahe sein ohne zu besitzen. Das Leben ist kompliziert.
Ich stehe auf und tanze. Ich spüre den Alkohol, der durch meine Venen pulsiert. Ich lege den Kopf leicht in meinen Nacken und schließe die Augen. Ich hebe meine Arme hinauf in das freiliegende Deckengebalk und schwebe über den tanzenden Pulk. Das ist leicht. Ich kann das. Ich berühre das Licht, das noch frisch und ohne Schuld aus den Scheinwerfern dringt. Es ist vielfarben und tränkt uns mit Leben. Blau, rot grün und dann wieder blau.
Ich öffne meine Augen und kehre zurück. Bin wieder auf der Tanzfläche und für einen kurzen Moment spüre ich deinen Körper, der sich an mich drückt. Wir tanzen und ich weiß nicht mehr wer du bist und wer ich bin, denn wir für einen kurzen Moment sind wir eins. Wir werden einander zu einer zweiten Haut. 
Ich genieße dich wie einen süßen Sommerregen.
Dann weiß ich es wieder. Weiß, warum ich dies alles tue. Warum ich hier bin. Dass ich nur deinetwegen mich bewege. Dass ich den ganzen Abend lang nur auf dich gewartet habe. Ich habe die ganze Zeit auf den Eingang gestarrt, auf dieses leere Loch in der Wand. Mein Herz hat bis an den Hals geschlagen, als du hindurchkamst. Du hattest deine Haare hochgesteckt. Das hast du nicht oft. Du siehst gut aus. Ich möchte dir jedes mal sagen, wie schön du bist. Das bist du. Weißt du das? Möchtest du, dass ich es dir sage? Es wird mir keine Mühe machen.
Und nun weiß ich es wieder. Ich habe Angst vor Freunde sein. Ich würde ein Freundesein nicht ertragen. Nicht bei dir.
Einen Moment lang klingt alles nur noch dumpf. Alle Melodie ist einem dunklen Augenblick verschwunden und ich verstehe, dass das Pochen der Boxen erst durch dich zu Musik wird. In meinem Kopf bist nur noch du. Bist in meinem Blick, in meinen Gedanken und in jeder Zelle meines Körpers.
Ich vergesse zu tanzen. Muss mich konzentrieren. Ein Eimer Wasser wäre sicherlich hilfreich. Vielleicht sollte ich mich setzen.
Und dann spüre ich es wieder. Ich fürchte dich. Fürchte Nähe und deinen Körper, den zugleich ich begehre. Gerade noch haben wir einander ein Lachen geschenkt. Gerade noch hielt ich deine Hand. Gerade noch waren wir Rythmus und Takt und Tanz. Gerade noch einander nah in dem Wissen um Freiheit und den Moment. Nun fern einander in einem anderen Wissen. Schaust in meine Augen und meine Furcht wird zu deiner. Das macht mich traurig. Ich lache.
Lache zurück! Bitte.
Sie tut es. Vielleicht haben wir uns getäuscht. Was wissen wir schon? Vielleicht war alles anders?
Was wenn sie dich liebt?
Ich denke nicht.
Aber was wenn?
Nein, bin nur guter Freund.
Aber vielleicht.
Sei still.
Aber....
Hörst du nicht?
Es ist nun diese Wand zwischen uns. Wir schenken uns ein Lächeln und schauen dann wieder weg. Es ist unangenehm, fast unerträglich. Wir suchen einander den Blick, doch können uns im Blick nicht ertragen. Können uns nicht verraten. Nicht, nicht, nicht... Dieses Wissen, das wir nicht formulieren können. Wir tanzen ein wenig vor uns hin, lauschen den Stimmen aus der Musik und versuchen ihre Worte vorherzuschreien und uns selbst davon zu überzeugen, dass das Leben eine große Party und cool und so sei.
Sind wie ein Band, das sich dehnt und dann wieder zusammenzieht und einen jeden Moment die Gefahr birgt, auseinander zu reißen.
Irgendwann näherst du dich wieder und wir umtanzen einander wie Winde aus denen sich Stürme nähren, dann wieder zart wie Wassertropfen, die sich an ein Blatt schmiegen. 
Wir kennen uns schon lange. Doch bei dir finde ich keine Worte. Ich werde trivial. Trivialer als bei allen Fremden. Es ist weniger als Smalltalk. Ich ertrage keinen Smalltalk mit dir, aber kann nicht von mir erzählen, denn wieviel meiner Traurigkeit könntest du schon ertragen ohne mir nur deinen Rücken und eine blasse Erinnerung an dich zu hinterlassen. So muss ich also schweigen und du glaubst wohl, dass es an dir läge.
Ich weiß du magst mich. Ich spüre das. Lass uns den Moment genießen. Lass uns nicht sprechen. Was können unsere Worte schon sagen? Lass mich dich ansehen. Schau nicht weg. Gib mir deine Hand. Lass mich deine Wange berühren.
Ich trete ein paar Schritte auf dich zu. Ich blicke dich nun fest an. Ich fasse deine Hände und einen Moment spüre ich, dass du sie zurückziehen möchtest. Deine Augen sind groß und tiefer als ein Universum es jemals sein könnte. Dann verschwindet alle Angst. Ich beginne zu lächeln. Du reibst deine Lippen ein wenig aneinander und es ist, als würde ich jede ihrer kleinen Bewegungen fühlen. Ich sehe das Lachen an deinen Augen. Jeder deiner Gesichtsmuskeln möchte es ausdrücken. Alles in deinem Gesicht ist fein und zart und von tiefer Schönheit. Du zuckst ein wenig mit dem linken Mundwinkel und ich merke wie du ein Lachen verhindern willst. Du beißt auf deine Unterlippe und kurz schaue ich verlegen zu Boden. Dann fasse ich dein Gesicht mit beiden Händen, ziehe es an meines heran. Lieb mich, lieb mich, küss mich, küss mich. Ich drücke meine Lippen auf ihren Mund der halb geöffnet ist und warm und lieblich. Du schmeckst so gut, so süß. Du zitterst ein wenig. Ich spüre jede deiner kleinen Bewegungen. Deine Lippen sind voller Gefühl.
"Hey nicht rumstehen". Ich stehe. Sie wirbelt um mich herum und lacht. Ich bin zurück in der Realität. Ich spüre die Schwerkraft. Vielleicht sollte ich mich setzen.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram