Aufbruch

Roman zum Thema Abschied

von  Mutter

Zwei Tage später verließen acht Gestalten, in dichte Wollmäntel eingehüllt, die morgendliche Stadt. Savena und Bragos gingen fast an der Spitze der Gruppe, hinter dem schnell ausschreitenden Turan. Die junge Frau atmete erleichtert auf, als sie die letzten Ausläufer der Stadt hinter sich ließen und sie ihre verkrampften Schultern etwas lockern konnte.
Vor zwei Stunden war sie mit ihrer Mutter, Bragos und zwei Männern ihres Vaters zu dem vereinbarten Treffpunkt im Gerberviertel, am Ostrand der Stadt, erschienen. Dort hatten sie sich von einander verabschiedet.
Ihre Mutter hatte darauf bestanden, zu kommen, und als erfahrene Hexerin bedeutete sie für ihre Tochter mehr Schutz als die drei bewaffneten Männer zusammengenommen. Ihr Vater hatte noch mehr mitschicken wollen, aber Mutter und Tochter hatten ihn davon abgehalten, mit dem Hinweis, kein Aufsehen erregen zu wollen.
Es waren noch ein oder zwei andere Leute da, um sich zu verabschieden, aber die klammen Morgennebel hatten die Zeremonie auf ein Minimum verkürzt und schienen der gedrückten Stimmung absolut angemessen.
‚Alles in Ordnung?’ erkundigte sich Bragos besorgt.
Savena nickte gedankenverloren. Sie dachte an ihren Abschied von Arram und Kelima. Am Abend vorher hatte sie mit den beiden gegessen und bis zum Schluss vergessen, warum die beiden eigentlich gekommen waren. Ursprünglich hatte sie das Lebewohl so kurz wie möglich machen wollen, aber es hatte immer noch etwas gegeben, was einem von ihnen eingefallen war. Etwas, das unbedingt gesagt werden musste, bevor sie sich trennten.
Bei dem Gedanken stiegen ihr wieder die Tränen in die Augen, aber gleichzeitig musste sie lächeln: Die beiden waren Arm in Arm gegangen, nachdem sie sich verabschiedet hatten und Savena fragte sich, ob sie wohl enger zueinander finden würden. Jetzt, wo sie weg war.

Es vergingen nur ein paar Stunden, bevor sie die ersten hügeligen Ausläufer des Gebirges erreichten, und Turan hatte sie gewarnt, dass es nicht lange dauern würde, bis sie die breiten Wege verlassen und sich auf kleinen Gebirgspfaden bewegen mussten.
Die Morgennebel lichteten sich und gaben einen weiten Ausblick auf das Tiefland um Avuto frei. Sie konnten bis Condono sehen und noch darüber hinaus.
Wie mit sich selbst redend überlegte Bragos irgendwann murmelnd, wo er Turan schon einmal gesehen hatte. Offensichtlich ließ er den Gedanken aber bald wieder fallen. Mit einem Blick auf ihren schlanken Führer dachte sie zurück an das Gespräch in der Villa. Und daran, welchen Motiven er wohl folgen mochte. 
Die Sonne, die sich immer wieder für kurze Augenblicke zeigte, ließ das Meer in einem tiefen Blau erscheinen, und mit einem Anflug von Ärger wünschte sich Savena, sie hätte die Route über die See nehmen können. Der Weg über den Pass würde längst nicht so angenehm verlaufen wie die Überfahrt in einer Kajüte, und einmal auf der anderen Seite würde sie noch einen Gutteil der Ostlande durchqueren müssen, bevor sie Purassur erreichte.

Bei einer kleinen Pause musterte sie unauffällig den Rest der Gruppe. Einer von ihnen, fett und rotgesichtig, sah nicht so aus, als ob er die Pässe schaffen würde. Ein Händler aus Difesi, hatte ihr Bragos berichtet.
Der Leibwächter hatte es offenbar als seine dringlichste Aufgabe angesehen, die Mitreisenden genauer in Augenschein zu nehmen und vor allem: Auszufragen. Der Händler mache sich Sorgen um seine Tuche aus dem Osten, hatte Bragos erzählt.
Ein Vater mit seinem Sohn, beide schon etwas abgemagert, waren auf dem Weg, um in den Ostlanden ihr Glück zu suchen, während zwei Söldner aus Bragan die Gruppe vervollständigten. Es gab Gerüchte über einen Krieg, und die Aussichten, dort Anstellung zu finden, waren momentan allemal besser als in Erinikia.
‚Gibt bloß Arbeit für die Seesoldaten‘, hatte einer von ihnen gesagt, und dabei ausgespuckt. Die beiden blieben meist für sich, und nur einer von beiden sprach ihre Sprache gut genug, um sich mit ihnen zu verständigen.
Ihr Blick wanderte zu ihrem Führer, und sie betrachtete den riesigen Bogen, den Turan über der Schulter trug. Die Waffe schien größer als er selbst, und es war ihr ein Rätsel, wie man damit umgehen, geschweige denn sich derart geschmeidig bewegen konnte. Außer dem Bogen trug er nur ein langes Messer, und eine Decke, in die seine wenigen Sachen eingewickelt waren. Außer Turan, ihr und Bragos, der eine kurze Keule am Gürtel trug, waren nur die beiden Söldner bewaffnet, die beide schwere Säbel an der Seite trugen und mit harten Lederpanzern gerüstet waren.

Jeder Tag verlief nach dem gleichen Muster. Sie brachen beim ersten Morgengrauen auf und liefen bis spät in die Dunkelheit. Savena war erstaunt darüber, wie gut die Gruppe mithielt. Selbst der Händler, so sehr er auch fluchte und keuchte, schaffte es immer, den Anschluss zu behalten. Sein Ansporn mochte groß genug sein, hatte Turan doch jedem, der das Tempo nicht halten konnte, versprochen, ihn zurückzulassen.
Der Junge war sicher nicht älter als Dreizehn, und Savena bewunderte, wie er das angeschlagene Tempo durchhielt. Turan fragte ein paar Mal nach, und jedes Mal versicherte ihm der Vater eilig, dass sein Sohn keine Schwierigkeiten haben werde, mit der Gruppe mitzuziehen.
Abend für Abend schlugen sie ihr Lager auf und meistens wurde dann noch weniger gesprochen als schon am Tage. Nach den Ereignissen in Avuto verspürte Savena kein gesteigertes Bedürfnis nach Gesellschaft. Nachdem der eine Söldner am ersten Abend eine herbe Abfuhr erhalten hatte, als er sich mit ihr unterhalten wollte, war er inzwischen genauso schweigsam wie der Rest der Gruppe. Bei dem Zwischenfall hatte Savena bemerkt, dass Turan die Szene sehr genau beobachtet hatte.
Mit gerunzelter Stirn überlegte sie, welches Interesse er an ihr haben mochte. Aber möglicherweise wollte er einfach keinen Streit in der Gruppe.
Die beiden Söldner waren beide von ähnlicher Statur wie Bragos, nicht besonders groß, und nicht besonders muskulös, und rein äußerlich ließ außer ihren Waffen nichts auf ihren Beruf schließen. Aber in verschiedenen Situationen bemerkte Savena, wie sie sich bewegten, sich gegenseitig deckten und selten schien ihre Wachsamkeit nachzulassen. Bragos hatte erzählt, dass der eine von beiden bereits einmal den Großen Rücken überquert hatte, und Savena fragte sich, ob er vielleicht von Gefahren wusste, von denen die anderen nicht einmal ahnten. Gefahren, von denen auch Turan noch nichts gesagt hatte.
Ein oder zweimal hatte ihr Anführer die Abenddämmerung dazu benutzt, frisches Wild, meistens Kaninchen, zu erlegen, und hatte so ihren Speiseplan etwas aufgelockert. Dabei hatte er bewiesen, dass man mit dem großen Bogen offensichtlich jagen konnte. Savena wäre gerne bei einem der Ausflüge mitgekommen, wollte aber nicht danach fragen.
Das Wetter hielt sich weitestgehend, und obwohl sie ein paar Mal nass wurden, blieb es bei vereinzelten Schauern. Die Nächte waren meistens trocken.
Aber je höher sie kamen, umso kälter wurde es, und bald war Savena nur noch warm, wenn sie in Bewegung blieb. Sobald sie Rast machten, oder nachts, wenn das Feuer herunterbrannte, kroch die Kälte in ihre Glieder und ließ sie nicht mehr los, bis sie sich wieder bewegte. Wie ein strenger, unerbittlicher Ausbilder ließ die Kälte sie marschieren, und obwohl es den anderen nicht besser erging, hatte Savena bald das Gefühl, als würde ein unerbittlicher Feind nur sie persönlich unnachgiebig antreiben wollen.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Elvarryn (36)
(19.05.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter meinte dazu am 20.05.09:
Boah ... :D

Das meiste ist gar nicht intendiert - keine Ahnung, da muss ich damals am Steuer eringeschlafen sein oder so. :)
Lässt sich aber ohne viel Gewesen beheben - schaue ich nachher mal drüber.

Danke ... :)

*edit: So, die einfachen Sachen, die ohnehin nicht hätten sein müssen/dürfen, habe ich mal gekillt - bei den letzten beiden Punkten ist das weniger einfach. Das schaue ich mir bei Gelegenheit noch mal an ...
(Antwort korrigiert am 20.05.2009)
Kitten (36)
(20.05.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter antwortete darauf am 20.05.09:
Wenn man das geschickt macht, kann man ein ganzes Buch füllen, ohne dass was spannendes passiert ... :D
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram