Inhalt 
II. 

I.

Erzählung zum Thema Evolution

von  Lala

I.

Damals wehrte ich mich. Damals war ich bei einer Versicherungsgesellschaft in der Schadensabteilung. Ich machte Karriere. Wurde Abteilungsleiter. Ich musste immer dann entscheiden, wenn die Schadenssumme so hoch war, dass subalterne Kräfte einen Verantwortungsairbag brauchten.Die Summen, die ein kleiner Bearbeiter bewilligen durfte, wurden immer kleiner. Immer häufiger wurde ich als Schadensleiter befragt, ob die Gesellschaft zahlt oder klagt.

Ich habe mich davor nie gedrückt. Für mich waren dies Entscheidungen zwischen richtig oder falsch und genau diese Entscheidungen wollte ich treffen. Ich hätte das nicht machen müssen. Ich hätte jede Entscheidung noch weiter nach
oben delegieren, und verantwortungslos bleiben können. Das ist vielleicht der Witz an meiner Geschichte.

Anfangs habe ich gedacht ich könnte etwas bewegen. Anfangs war ich auch naiv. Das glauben die Leute wohl heute auch noch, wegen meiner Gläubigkeit. Ich glaube an Gott und nicht an Zahlen. Ich hatte gedacht, dass ich durch meinen Job ein wenig
die Schlechten von den Guten trennen und mein Scherflein dazu beitragen könnte, dass denen Anteilnahme gegeben wird, die schuldlos in Not geraten. Denen, die Märchen erzählten, denen zeigte ich schon immer im Rahmen meiner Möglichkeiten, dass ich einen Lügner an seiner Nase erkenne.

Es war im Sommer als alles begann. Ich ging den Tagen nach wie meiner Arbeit und kaufte mir einen Computer. Das Schreiben auf meiner Olympia war mir lästig geworden. Korrekturband, Tipp Ex, das Hüpfen einzelner Buchstaben, das wollte ich nicht mehr sehen. Schon zu Schulzeiten, hatte ich rumgetippt und geschrieben. Mit dem neuen, farbigen System konnte ich meine Schrift zentrieren, kursiv und in Blocksatz stellen. Vor allem sah es beim Schreiben schon so schön aus wie im Ausdruck.

Auch in der Firma hatte ich erste Schritte getan. Erfolgreich. Ich galt zwar als Eigenbrötler, aber der Kollege im Allgemeinen schätzte meine Zuverlässigkeit und mein Fachwissen. Wenn ich nach Hause kam, setzte ich mich an meinen Computer
und schrieb. Ich dachte mir Gedichte, Geschichten und immer mal wieder Gebete an Gott aus. Nichts besonderes, aber ich schrieb alles auf. Und eines Tages, während des Schreibens, stürzte mein PC ab.

Ich wusste erst gar nicht was geschehen war. Ich drückte wieder auf den Einschalter. Er fuhr fehlerfrei hoch. Alles schien normal. Doch als ich Word aufrief und meine Texte speichern wollte, erkannte ich, dass im Ordner mit meinen Dateien
sich noch mal mein Ordner mit all meinen Dateien befand und in diesem wieder mein Ordner und alles andere befand.
Es war wie ein Spiegel im Spiegel. Es war endlos. Ich wagte, eine Datei auf irgendeiner Ebene zu löschen. Erstaunlicherweise verschwand sie nur dort und blieb aber auf allen anderen erhalten. Ich verstand nicht wie das sein konnte und ich
fürchtete nun, dass all meine Texte und Schöpfungen dem elektronischen Untergang geweiht waren.

Mir war nicht entgangen, dass ein Mieter in unserem Wohnhaus auf seinem Klingelschild neben seinem Namen – Celary - eine Firmensignatur stehen hatte: Innovative Computer Technik. Das klang gut, aber es war nach achtzehn Uhr. Damals hatte Deutschland um diese Uhrzeit schon geschlossen. Es war sogar
schon halb neun. Was blieb mir also übrig? Ich nahm an, dass ein Computerfreak um diese Zeit noch wach oder schon aufgestanden sein müsste. Ich nahm also meinen Mut zusammen und stieg die zwei Etagen nach oben ins Siebte Geschoss. Ich
klingelte.

Ich hörte einen fürchterlichen Hustenanfall. Ich dachte es stirbt jemand. Dann herrschte Stille. Ich wagte nicht noch mal zu klingeln und verharrte vor der Tür. Dann nahm ich Schritte wahr und die Tür öffnete sich.

Ein älterer Mann erschien in der Tür. Groß, schlank, rauchend. Die Haare mittelblond, doch leicht ungepflegt und länger als nötig. Er hatte einen Schnurr- und Kinnbart. Er erinnerte mich an einen Musketier. Er wirkte überrascht.

„Kennen wir uns?“, fragte er leicht belustigt.
„Nein. Wir haben uns vielleicht ein, zweimal im Treppenhaus gesehen...“
Während ich sprach starrte er mich direkt an und verunsicherte mich zusehends.
„Schon gut“, unterbrach er mich, „Sie haben ein Problem mit Ihrem PC, stimmt ’s?“
„Ja. Es tut mir...“
„Papperlapapp. Wenn es eine einfache Sache ist, helfe ich Ihnen gerne. Nachbarschaftshilfe. Finde ich gut. Wollte noch keiner hier.“
„Also wenn es Ihnen zu ...“
„Kein Problem. Was stimmt nicht?“
Während ich ihm mein Problem schilderte, hatte er auch schon ein Täschchen und seinen Schlüssel gegriffen und mich beherzt wieder die Stufen zu meiner Wohnung hinuntergeführt.

Im Arbeitszimmer meiner Wohnung angelangt, nahm er wie selbstverständlich vor meinem PC Platz. Ich blieb unschlüssig neben ihm stehen. Er grummelte und schrieb kryptische Befehle in schwarze Bildschirmfenster. Zwischendurch nickte er mein Angebot ab, ihm einen Kaffee zu machen.

Als ich in der Küche stand und die Maschine bereitmachte, hörte ich ihn rufen: „Einen Whisky, einen Tullamore Dew, haben Sie nicht zufällig? Zum Feierabend?“
„Ich fürchte nein. Ich trinke nicht.“
„Nicht trinken – genießen! Darf ich rauchen?“
„Wenn es Ihnen nicht allzu viel ausmacht: bitte nicht.“
„Kein Problem. Den Kaffee bitte schwarz.“

Als ich mit dem Kaffeegedeck – ich hatte ihm noch von mir selbst gemachte Kekse dazugelegt – wieder ins Zimmer kam, grinste er mich an und bemerkte:
„Alles wieder schön.“
„Wie haben Sie das gemacht?“, fragte ich baff.
„Nebenher entwickle ich Programme. Dieser kommerzielle Kram ist mir zu langsam und zu affektiert. Ich habe mein eigenes Tool über ihre Festplatte laufen lassen. Sie haben eine Datensicherung, oder?“
Ich schüttelte langsam den Kopf und wusste überhaupt nicht, was er mir sagen wollte.
„Nicht?“, er presste die Lippen aufeinander, „War ich mal wieder zu voreilig. Nun, es ist gut gegangen. Alles ist schön. Ihre FAT, also Ihre Verzeichnisstruktur, Ihre Dateien, alle Bezüge und Adressen sind wieder in Ordnung und - einzigartig.“
Er lächelte mich wieder an.

„Entschuldigung, aber ich habe, fürchte ich, kein Wort verstanden.“
Sein Lächeln erstarb und ich spürte wie er sich in sich selbst zurückzog. Hatte ich ihn beleidigt?
„Habe ich etwas Falsches gesagt?“, fragte ich vorsichtig.
„Bitte?“, meine Frage schien ihn wieder in die Gegenwart geholt zu haben, „Nein. Im Gegenteil. Unverständlich zu sein, höre ich oft. Obwohl ich versuche den Ton zu treffen. Es ist schwer, die scheinbare, endlose Mehrfachspeicherung ihrer Dateien
zu erklären.“
„Versuchen Sie es.“
„Der Wegweiser zu ihren Dateien, Texten, die File Alllocation Table - FAT genannt -,war defekt. Das Inhaltsverzeichnis ihrer Eigenen Dateien wurde bei jedem Doppelklick auf ihren Eigenen Ordner wieder in den Eigenen Dateien Ordner hineinkopiert. Als würden sie von A nach B fahren und in B angekommen, feststellen, dass B in A liegt und sie gar nicht hätten losfahren müssen. Sie waren schon da.

In der FAT steht alles Geschrieben. Sie ist der Gott ihrer Festplatte. Steht da etwas falsches, findet der User keine Ordnung und kein Heil mehr. Sie nehmen mir die pseudoreligiöse Erklärung nicht übel, oder? Aber ich vermute wegen ihrer Texte, dass ich ihnen so vermitteln konnte, was geschehen wird, ach
was rede ich denn? War. Was geschehen war.“

„Sie haben meine Texte gelesen?“, ich war entsetzt. Wie hatte er es wagen können? Andererseits gewahrte ich, dass es seine Aufgabe, seine Tätigkeit mit sich brachte, dass er Einblick in intimste Geheimnisse seiner Kunden bekommen musste.

„Es waren drei Dateien, ausnahmslos Textdateien, die dieses Wirrwarr erzeugt hatten: ich musste sie mir angucken. In Ordnung?“
„Meine Texte schauen ein bisschen verrückt aus, nicht?“
„Ganz und gar nicht. Aber – ich will nicht verhehlen – mir ist Transzendentes fern.“
„Sie sind Atheist?“
„Atheist, das ist so ein Kampfbegriff, oder? Mag ich nicht. Bei mir hat sich Gott nich vorgestellt, oder an meine Tür geklopft. Ich vermisse Gott nicht. Ein jedes Teil, ein jedes Wesen, hat seine Eigenheit und verhält sich. Ich beobachte und bin immer
wieder überrascht, welche Entdeckungen es zu machen gibt. Ohne die Dinge beeinflusst zu haben. Das ist bei uns Zweien genauso. Wir interagieren und niemand kann sagen, was das nächste Wort gibt. Zwischen uns regiert der Zufall.“

„Ich glaube nicht an Zufälle. Ich muss nur in den Nachthimmel schauen. Das ist kein Zufall. Das sieht nur willkürlich aus. Aber jeder Stern und alles was wir nicht sehen, ist da, wo es sein muss. Alles was wir erleben hat einen tieferen Grund. Zufälligkeiten verehren nur die, die sich nicht trauen, ihr Leben mit Gottvertrauen selbst in die Hand und sich und seine Mitmenschen ernst zu nehmen. Verantwortung zu übernehmen
ist kein Zufall. Ich will mich nicht mit Ihnen streiten, aber an Zufall glaube ich nicht. “

Er und ich blickten uns an.

„Ich weiß nicht was mich mehr beunruhigt?“, unterbrach er unser Schweigen. „Die Vorstellung Teil eines Planes oder ein von einem Affen hingeschissenes Fragezeichen zu sein? Mag daran liegen, dass ich ein Waisenkind bin und mich schwer tue, einen Sinn oder eine faire Chance darin... Sie bluten.“
Verdutzt schaute ich auf meine rechte Hand. Ich hatte mich geschnitten. Wann? Wie? Ich wusste es nicht. Die Zeigefingerkuppe blutete. Ehe ich mich versah, hatte
er ein Stofftaschentuch gezückt und die Blutung gestoppt.
„Sie müssen vorsichtig sein, Herr Braun.“
„Ich weiß. Soll ich das Tuch für Sie waschen?“
„Nein. Das kann meine Haushälterin machen. Sind Sie auch alleinstehend?“
„Ja.“
„Falls Sie Hilfe im Haushalt brauchen? Ich kann Anjielika empfehlen. Sie ist zuverlässig und wie ich aus Krakau.“
„Krakau?“
„Ja. Die Stadt der Könige.“

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