5. Kapitel . Weinzierls Marie, und das Moped vom Lorenz .

Erzählung zum Thema Heimat

von  kirchheimrunner

„Wenn jetzt nur die Zeit stehen bleiben tät; wenn alles immer so bleiben möcht! Der Lorenz war in dieser Nacht der glücklichste Mensch auf Erden.

Ihm war als tanzten sie in den Himmel hinein.

… hört mich an, ihr goldnen Stern …
… grüßt die Liebste in der Fern...
… mit Freud, mit Leid, verrinnt die Zeit …
… alles, alles liegt so weit, so weit …  …so schön, schön war die Zeit…

Wie eine Himmelselfe tanzte die Marie in seinen Armen. Aber der Lorenz traute sich gar nicht sie richtig anzufassen. So zerbrechlich wie sie war, so klein und so zart!

Wie Traumwandler spazierten die beiden im Mondenschein.   
Schüchtern und vorsichtig, ganz sachte legte der Lorenz die Arme, die von den Hopfenranken blutig gekratzt waren um Maries Schultern. Gerne folgte sie dem sanften Druck seines Armes und legte ihren Kopf an seine Brust.

... … hört mich an, ihr goldnen Stern …

so klang es noch einmal von der Scheune herüber. Das zarte junge Glück unter den Sternen war sich einig. Dazu brauchte es keine Worte. Daran glaubten die Marie und der Lorenz ganz, ganz fest. Darum ließ sie auch seine große Hand nicht mehr los, als er sie schüchtern drückte. Für die Verliebten gibt es kein Hindernis mehr.

... Wohl aber für den Kopfhammer Franz. „Das lass ich mir vor der Schickse nicht gefallen!

Dass der Mirko bei der Marie abgeblitzt war – recht geschieht ihm, dem Strolch. Aber dass sie sich dann dem Armeleute Lorenz an den Hals wirft, das konnte der Franz nicht verdauen.

Das würde er bitter büßen müssen! Der Hungerleider, der verkommene! Parasit elender!

Was in dieser schwülen Nacht, so ab Mitternacht unter dem sternenübersäten Halledauer Spätsommerhimmel geschah; - wollt ihr es wirklich wissen?

Unschuldig und glückselig, wie die Engel versanken der Lorenz und die Marie im duftenden Heu – und schliefen Arm in Arm bis zum ersten Hahnenschrei.

Aber es war nicht der vorlaute und gewissenhafte Gockel, der das junge Glück aus dem süßen Schlummer riss, sondern ein Rundumschlag mit dem Reisigbesen.

„Liederliches Frauenzimmer! Schämst dich gar nicht?„ ... so keifte die fast zahnlose Austragsmutter vom Weinzierlbauern. Beim Eiereinsammeln hatte die alte Fuchtel  das junge, unschuldige Glück entdeckt.

„Liegt mit dem Burschen im Heu, das schamlose Weibsbild!
Da muss man sich ja der Sünden fürchten! Schau bloß zu, dass du in die Kuchl kommst und die Schmalznudeln rausbäckst, du Mensch du verkommenes!„

„Dein’m Vater werd’ ich des schon stecken! Da kannst dich auf eine Tracht Prügel gefasst machen. Und du, - du notneidiger Häuselschleicher, schaug´ das du weiterkommst, sonst jagt dich der Bauer noch mit der Schrotflinte vom Hof!„

Ja so war das seinerzeit, die Weinzierl Therese hatte alles unter ihrer Fuchtel. Sie führte das Hauswesen, seit ihre Schwiegertochter Anna bei der Geburt von der kleinen Marie dem Kindbettfieber erlag.

Auch dieses Jahr ging das Hopfenzupfen mit einem Festgottesdienst in der Pfarrkirche von St. Antonius zu Pfettrach; - und mit Pauken und Trompeten zu ende.
Das war am Sonntag den 28. August 1956.

Es sollte das letzte Mal sein, dass sich die Marie und der Lorenz sehen würden. Aber es gab keine Treuschwüre, keinen Kuss und keine Abschiedstränen, keine Versprechen. Nicht einmal seine Hand konnte sie festhalten.

Dafür ging alles viel zu schnell: Die alte Theres hatte es ihrem Sohn brühwarm erzählt, wie es die Marie und der Lenz im Heu getrieben haben. Einen Tag und eine Nacht hat der Bauer getobt und gebrüllt wie ein wilder Stier. Ab September musste sie ins Kloster; - keine Widerrede! Nach Scheyern zu den Benediktinerinnen, - in die Haushaltsschule. Da würden sie ihr schon das Sünden fürchten lernen. Nach zwei oder drei Jahren konnte sie ja dann wiederkommen; -  für den Fall, dass sie dort was Gescheites gelernt hat.

Aber das hatte der verdatterte Lorenz gar nicht mehr mitbekommen. Das Herz war ihm stehen geblieben, als er gehört hatte, dass seine Marie ins Kloster geht.

Die Trennung tat dem Lorenz sehr weh! Eine Weltreise war es seinerzeit bis Scheyern. Mit der Hallerdauer Bockerlbahn über Au nach Pfaffenhofen - und dann noch einmal mit dem Postbus eine halbe Tagesreise. Und dann noch die klösterliche Klausur; -es war hoffnungslos!


Es dauerte bis zum 12. September, dann war dann der Lorenz liebeskrank! Er hielt es nicht mehr aus. Er musste die Marie wiedersehen, koste es was es wolle!

Es war kaum halbzwölf durch, da hatte der Lenz schon seine dritte Maß getrunken; „Wenn du so weiter saufst, dann müssen wir dich mit dem Schubkarren heimfahren“, meinte der Schusterhuber Franz und trank sein Weißbier auf einen Zug leer.

In der Wirtsstube des Krautkönigs war an diesem Sonntag viel los. Auch am Nachbartisch wurde gezecht: Und das ganz ausgiebig! Da saßen, wie jeden Kirchtag, die Söhne der Großbauern am Stammtisch. Wenn sich da einer dazwischen setzen wollte, da wurden ganz schnell die Rücken breit. Da passte kein Bierdeckel mehr dazwischen. Das konnten der Weinzierl Schorsch, dem Kopfhammer sein Franz-Xaver und der Stangassinger Hansi -  wie keine anderen.

Die geldigen Burschen grinsten: „Recht geschieht ihm, dem Filou, dem verlogenen, was muss er auch mit der Marie was anfangen, wo doch im Umkreis von zehn Stunden ein jeder weiß, das sie mir versprochen ist,„ lallte der Kopfhammer Franz.

Dann stand er schwankend auf, schnappte sich den vollen Maßkrug vom Stangassinger Hans und wankte zum Nebentisch.

Der Kopfhammer Franz - Xaver suchte wieder einmal Streit!

„Hock dich nieder, du damischer Uhu, du„, schimpfte der Schankkellner; - aber da war es schon zu spät.

Bevor er dazwischenfunken konnte, kippte der besoffene Hopfenbauer den vollen Krug über den Lorenz aus.
„Freibier für den Herrn Sautreiber, wohl bekomms!

Aber dann sag auch recht anständig „Danke Schön„ zum Herr Landwirt, du undankbarer Schürzenjäger, du!„

Der Lenz sah aus, als wäre er in die Odelgrube gefallen,
aber ihm war heute nicht nach einer Rauferei zumute.
„Ach, leck mich doch am Arsch, du hinterkünftiger Dorfdepp, du„!

Dann packte er den besoffenen Franz - Xaver und schleifte ihn zu seinen Saufbrüdern zurück.

„Ja wie redest du denn mit einen Großbauern? Weißt gar nicht mehr was sich gehört, du Dachrinnenaussaufer, du“, rief ihm noch der Schorsch nach, als der junge Küblböck aus der Gaststube hinaus stürmte und die Türe mit einem lauten Knall hinter sich zuschlug.

„Lange lass ich mir das nicht mehr gefallen von denen, darauf kannst du Gift nehmen,“ sage er zu sich selbst und machte sich – schwer beladen; – schwer von Sorgen und Bier, auf den Heimweg.

Gleich drüben am Dorfplatz, direkt unter dem Maibaum, stand das niegel-nagel-neue Motorrad vom  Weinzierl Schorsch.
Sogar der Schlüssel steckte.

„Warum auch nicht,“ sagte sich der Lenz, hockte sich auf den Schwingsattel, schaltete die Zündung ein und trat den Kickstarter nach unten. Mit einem lauten Klack rastete der erste Gang ein und der Lorenz brauste die Dorfstraße hinunter. Schadenfroh kicherte in sich hinein. „Bis der Schorsch seinen Rausch ausgeschlafen hat, bin ich längst wieder zurück.„

Ziellos fuhr er durch die Dörfer. Der frische Fahrtwind machte ihn wieder nüchtern. Seine Gedanken wurden klar.

Hinter der fürstbischöflichen Brauerei in Au gabelte sich die Landstrasse: Rechts nach Mainburg 18 km; - oder halblinks die Hopfenstrasse entlang: 15 Kilometer nach Pfaffenhofen/Ilm.

Da brauchte der Lorenz nicht lange überlegen. Spätestens um zwei Uhr nachmittags würde er in Scheyern bei der Marie sein; Benediktinerkloster hin oder her, das war jetzt egal!

Sein Herz hüpfte vor Freude, er legte noch einen Gang zu und gab Gas. Tränen liefen seine Wangen hinunter! Kam es vom Fahrtwind, vom Leid der Trennung, oder war es die Vorfreude auf das Wiedersehen?

Keiner wird es je erfahren! Denn, als sich der Lenz die Tränen mit dem Ärmel seiner Joppe abwischen wollte, wurde er von der Straße abgelenkt. Er übersah den Traktor, der links aus dem Wald heraustuckerte; - schwer beladen mit Schlagholz.

Der Lorenz bremste mit seiner freien Hand, aber das Vorderrad stellte sich auf der Sandstraße quer, das Motorrad geriet außer Kontrolle, er stürzte  - und rutschte samt der 250er DKW unter den vollbeladenen Holzanhänger.

Der Holzmair Korbinian, der von Sillertshausen hinüber nach Mitterscheyern wollte, hat von alledem nichts mitbekommen, zu laut tuckerte der Diesel seines Schleppers.

Das Moped schlitterte auf die Zwillingsachse des Pritschenwagens zu. Lorenz riss seine Arme hoch, wenigstens seinen Kopf wollte er schützten. Das letzte was im einfiel, bevor es um ihn herum Nacht wurde, war ein kurzes Stoßgebet:
„Heilige Maria, Mutter Gottes!„

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