12. Kapitel . der Brief der Mutter und die letzte, lange Fahrt des Lorez Küblböck .

Erzählung zum Thema Heimat

von  kirchheimrunner

Attenkirchen, den 17. April 1962

Mein lieber Lorenz,

Ich bete zum lieben Gott, dass Dir gut geht, mein Bub! Aber was machst Du bloß für Sachen? Jahrelang lässt du nichts von Dir hören, dann kommt ein liebes Paket, doch ohne gescheiten Absender.

Lorenz, was glaubst Du, welche Sorgen sich dein Vater und ich um dich gemacht haben? Wir haben ja nicht gewusst ob du noch lebst!

Der Stangassinger Hans hat herumerzählt, dass du bei der Fremdenlegion bist. Als Soldat in Indochina. Und dass du sowieso an Malaria sterben wirst.

Nächtelang habe ich durchgeweint, als ich in der Zeitung gelesen habe, dass es im Krieg dort drüben so elend und grausam zugeht.

Eine Hand voll Reis, gibt es in Lao - Tan,
eine Hand voll Reis, für einen Tag pro Mann!
.. so habe ich es gehört, und so wird es auch sein, dort im Krieg gegen die Chinesen und gottlosen Kommunisten.

Und nun muss ich lesen, dass du zur See fährst. Lorenz!
Warum tust du das? Deiner Mutter geht es nicht gut, denn ich werde alt, dein Vater ist ein stiller und trauriger Mann geworden. Wir haben niemanden nicht, der zu uns hält.

Wir sind alleine, Lorenz! Furchtbar alleine!

Wenn Dich mein Brief erreicht, dann musst du wissen, dass wir dich brauchen. Komm zurück. Wenn du Geld brauchst, - schreib uns - wir können Dir schon etwas schicken. Glaub mir, alle haben Dir das vergeben, was Du angestellt hast; und mit dem alten Weinzierl, haben wir sowieso nichts zu schaffen. Darum lass die weite Welt allein und komm zu uns zurück.

Deine Dich liebende Mutter,
Dein Dich liebender Vater.

P.S. Wenn du ein Mädchen hast, bring es halt mit.

Der Brief schlug wie eine Bombe beim Lorenz ein. Er war auf der Stelle wieder nüchtern. Der Rausch vom koreanischen Souchu, mit dem er sich den Verstand vernebeln wollte, war verraucht. Jetzt stand alles vor ihm, wie ein Mene Tekel an der Wand:

Seine Eltern, Attenkirchen, sein Heimatdorf, die Kirchtürme, die hinter den sanften Hügeln hervorlugten;
die Hopfengärten und ... und ... ja und auch die Marie.
Er musste nach Hause, so schnell als möglich! Pedro Ramirez, sein Kapitän hatte Verständnis für ihn.

Eine aller letzte Fahrt sollte er mit der Puerta Angelicos noch machen, dann würde er ihn mit dem Patent des Schiffsmaschinenmeisters nach Hause entlassen. Doch die Welt ist groß und die Meere weit. Von Hong Kong über Shanghai kreuzten sie durch die chinesische See nach Japan. Jetzt, auf dieser Fahrt, waren nicht nur die Nächte endlos lang; - auch die Stunden des Tages verrannen langsam und wollten einfach nicht vergehen. In Yokohama ging er von Bord. Alle seine Habseligkeiten hatten in einem Seesack Platz.

Das Geld aber, die vielen tausend Dollar, die er sich erspart hatte, lagen auf einem Deposite - Konto der Bank of China in Hong Kong.

Ein paar Tage brauchte er um ein Schiff ausfindig zu machen, auf dem er eine Passage nach Hause buchen konnte. In ein paar Tagen würde er auf einem Holländischen Liner seine Heimreise antreten. Eine knappe Woche musste er sich die Zeit noch vertreiben; - also entschloss er sich, das Land der aufgehenden Sonne für sich zu entdecken.

Aus einer Laune heraus, fuhr er von Shin - Yokohama mit der Keio - Line nach Kita - Kamakura, einer kleinen Stadt am japanischen Meer, nahe des Fuji - San.

Lorenz war neugierig auf die vielen anmutigen japanischen Gärten und die fremdartigen Zen - Klöster. Es war dann dort so ganz, ganz anders als seine halledauer Heimat.

Bevor man die Tempel betreten konnte, musste man durch ein mächtiges Tor schreiten. Und wie eigenartig! Jedes Tori hatte einen hohen Holzbalken als  Schwelle. Sehr hoch musste man die Knie heben um darüber zu steigen. Als er nach dem Sinn fragte, bekam er eine einleuchtende Antwort:

Die Kamis, die bösen Geister sind oft blind. Und wenn sie sich dann zusammen mit den frommen Menschen in den Tempel hinein schleichen wollen, stolpern sie an der Schwelle, machen ein furchtbares Geschrei, und müssen draußen
bleiben.

Das ist doch wunderbar!

Gäbe es doch auch so eine Schwelle vor der Halledau! Alle bösen Gedanken, Ängste, die Wut, der Zorn und der Neid, würden stolpern und müssten fern seiner Heimat bleiben.

Wenn man in Kamakura  die Sakura - Allee, - wo jeden Mai die Kirschbäume blühen -  zum Daibutsu - Tempel hinunter geht, kommt man an einem berühmten Shinto - Shrine vorbei.

Dem Tempel der unglücklich verliebten!
Vor mehr als 500 Jahren hat sich hier eine Tragödie abgespielt:
Die schöne Tochter eines Shoguns hatte sich in einen heldenhaften und jungen Samurai verliebt. Kotokanawe ein böser Krieger, gönnte aber dem jungen Paar ihr Glück nicht. Er selbst hatte ein Auge auf die bezaubernde Prinzessin Mitsu geworfen. An der Stelle wo sich heute der Tempel befindet, hatte der böse Nebenbuhler den jungen Toragawa aufgelauert und gemeuchelt und seine Kleider und die Rüstung gestohlen um die Prinzessin hinters Licht zu führen. In der nächsten mondlosen, dunklen Nacht hatte der eifersüchtige Kotokanawe die ahnungslose Mitsu verführt und ihr Gewalt angetan. Als sie bemerkt hatte, dass sie ganz übel getäuscht wurde, hatte sie sich aus Gram und Scham in ein scharfes Katana - Schwert gestürzt. Sie wollte dort sein, wo ihr geliebter Toragawa - San schlief; - im Reich der Toten!

Aber das wunderbarste an dieser Geschichte war, dass alle unglücklichen Liebespaare, die zu diesem Shrine pilgerten um ihre Räucherstäbchen anzuzünden, an einer riesigen, knorrigen Weide Papierfähnchen mit ihren großen und kleinen Wünschen anbanden.

Ganz weiß leuchtete das helle Seidenpapier im Abendlicht. Es war das helle Weiß der Liebe, das Weiß der Unschuld und der Reinheit. Auch die Marie hatte jetzt ein weißes Kleid; - die Ordenstracht der Benediktinerinnen.

Aber Trotzdem: So sollte es sein, wenn er nach Hause kam: Alles sollte weiß geschmückt sein, zum Zeichen dafür, dass ihm alle vergeben hatten.

Am 25. Dezember 1962 ging er in Yokohama an Bord.
Ein letztes Mal Taipei, ein letztes Mal die Straße von Sumatra, die Sunda Inseln und Jakarta; - Angel Lin, lebe wohl.

Alo Ahe, Alo Ahe,
die Heimat der Matrosen ist die See ...

Ein letztes Mal die Straße von Suez. Von Kairo aus, telegraphierte er nach Hause, zu seiner Mutter:

ankomme in bremerhafen am 24. Mai.... stop
freue mich euch alle wiederzusehen  .... stop
habe angst vor der heimat und den menschen dort .... stop
hängt weisse tücher auf die wäscheleinen in den gärten. stop damit ich weiss dass ihr ich willkommen bin .... stop... sonst kehre ich wieder um und fahre wieder  hinaus .... stop!

in liebe lorenz .... stop.

Es war sein falscher Stolz, den Lorenz immer noch nicht abgelegt hatte. Wie konnte er so dumm sein und so etwas verlangen? Wusste er nicht, was zu Hause los war? So viel stand dort auf Leben und Tod stand. Rot und blutig war die Geschichte der Weinzierls geworden, und nicht unschuldig weiß.; -  und der dumme Kerl fordert weiße Fahnen zum Zeichen der Vergebung!

Es wird wohl ein Drama geben, wenn er ankommt!

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