Veganes Restaurant Hiller

Glosse zum Thema Literatur

von  toltec-head

In dieser Stadt der Superlative gibt es nicht nur die älteste schwule Sauna Deutschlands, wohin die Schwulen aus Hamburg sich in den 60ern mit Bussen kutschieren ließen, sondern auch das älteste vegetarische Restaurant, das Hillers, das seit ein paar Jahren sogar vegan ist. Ich weiß nicht, wer sich hier noch an die Zeile aus dem alten Heaven17-Lied, she´s vegetarian except when it comes to sex, erinnern kann? Mir jedenfalls kommt sie oft in den Sinn, wenn ich ins Hillers gehe und bei dem Wörtchen she denke ich nicht an die zahnfitten Schabracken über ihrem Rohkostsalat, deren penetrierenden Blicken es so schwer auszuweichen ist, sondern an mein eigenes gebrochenes, sich schlechten Gewissens ein Glas frisch gepressten Möhrensaft bestellendes Ich.

Auf meinem Weg zum Hillers komme ich an zwei Wohnhäusern von Schriftstellern vorbei. Einmal dem von Gottfried Benn, der ja seinen Wechsel von Schöneberg nach Hannover „die aristokratische Form der Emigration“ bezeichnete, und der hier, wie ein angebrachtes Schild zu berichten weiß, einige seiner berühmtesten Gedichte und den Prosa-Text über das Weinhaus Wolf schrieb. Das Weinhaus Wolf existierte zeitweilig parallel zum Hillers, das Publikum war aber ganz sicher ein anderes. Zahnlose Maya-Priester pafften über Lindener Spezial, Wülfeler und dem Ricklinger Kaiserbier Zigarren und aßen, während sie sich über den Rückgang der Syphilis beklagten, sicherlich Fleisch. Das zweite Haus, nobler und auch mit einer Gedenkplakette und keinem bloßen Behördenschild versehen, ist das von Ludwig Klages, dem Verfasser des Kosmogonischen Eros, dessen Avatar man sich zuletzt noch als Heaven17 pfeiffenden Lehrer in der Odenwald-Schule aber auch nicht im Hillers vorzustellen vermag.

Wenn ich ins Hillers gehe, lese ich die ZEIT, die dort auf altmodischen Zeitungsbügeln hängt, und hinter der ich mich ob meiner Lederjacke vor den bösartigen Veganerblicken zu verstecken suche, während ich auf die Bestellung warte. Dort lese ich von den Büchern und Autoren, über die ich hier geschrieben habe, und die ich nie lesen würde, weil sie für mich Repräsentanten dessen sind, was Alfred Schuler, der wie Klages zeitweise Mitglied des George-Kreises war, das geschlossene Leben nannte, ein Leben, das sich nicht klar macht, dass für die römische Teppichmanufaktur Urin ein wichtiger Bestandteil war so wie der Mord für das Leben selbst. Ich vermute, dass das Feuilleton der ZEIT und die in ihm rezensierten Bücher genau für ein Publikum wie das im Hillers versammelte geschrieben wird, das zahlkräftig und gebidet sich aber anders als noch die Zahnärzte und Apotheker in den 70ern tragischer Weise nur noch für vegane Kochbücher oder Eckhart Tolle interessiert. Außer mir will jedenfalls nie jemand das Feuilleton der ZEIT lesen, das Feuilleton der ZEIT ist hier im Hillers auf einem extra separierten Zeitungsbügel neben all den ebenfalls ausliegenden Nahrungsbüchern ("Milch tötet") wie Benn und Klages ein Lichtschimmer aus einer vergangenen Zeit, weshalb ich es beinahe aus Mitleid dann doch irgendwie gerne lese.

Wenn ich aus dem Hillers komme, bin ich oft in dieser Stimmung, in der ich den Rest des Tages einfach nur noch Zuhause bleiben, Pornos schauen und Limo trinken möchte, nachdem ich auf dem Rückweg durch die Altstadt zum zigsten Mal vergebens das Wohnhaus von Haarmann gesucht habe (keine Plakette). Ich komme auch an der Thalia-Buchahndlung vorbei, die einzige, die ich in Hannover kenne, in der ich eines der in der ZEIT besprochenen Bücher kaufen könnte, wo ich zum Glück aber schon aus Angst vor mich ansprechenden Buchhändlerinnen nicht rein kann. Lewitscharoff, Enzensberger und Co. bei Amazon bestellen geht auch nicht, denn da fühlte ich mich ja schon im Moment ihres Anklickens unglücklich. Außerdem schau ich eh lieber Pornos, trinke Limo und wenn ich dann hinterher noch ein paar Wörter brauche, um mich ganz zu machen, google ich was im Internet, so wie kürzlich die Bedeutung der Donnerworte im Wake. So kam es, dass ich auf die Kirche des SubGenius stieß.

Das erste Gebot der Kirche des SubGenius ist, heißt es bei Wikipedia, to shun regular employment and stop working.

This encapsulates the Church's view that to repent is to "SLACK OFF" (sic), in opposition to the idea of working for a living. SubGenius leaders state that it is permissible for members to collect public assistance in lieu of maintaining employment.


Ähnlich wie für rimming gibt es im Deutschen kein Wort, das to slack off entspräche. Ich vermute mal, im Weinhaus Wolf abhängen, kam dem Gemeinten aber ziemlich nahe.


Anmerkung von toltec-head:

http://en.wikipedia.org/wiki/Church_of_the_SubGenius

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Kommentare zu diesem Text

Patroklos (36)
(31.10.14)
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 toltec-head meinte dazu am 31.10.14:
Metulskie wird Gänswein.
(Antwort korrigiert am 31.10.2014)
Patroklos (36) antwortete darauf am 31.10.14:
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mannemvorne (58)
(31.10.14)
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 toltec-head schrieb daraufhin am 31.10.14:
Guildo Horn?
mannemvorne (58) äußerte darauf am 01.11.14:
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9miles (49)
(31.10.14)
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 toltec-head ergänzte dazu am 31.10.14:
Die Stadt an der Leine bitte nicht mit der Leineweberstadt verwechseln.
9miles (49) meinte dazu am 31.10.14:
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parkfüralteprofs (57)
(31.10.14)
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 toltec-head meinte dazu am 31.10.14:
Ich glaube nicht, dass man sagen kann, Gottfried Benn habe im Weinhaus Wolf gechillt. Da der Zusammenhang jetzt klar ist, kann ich den Titel straffen.
parkfüralteprofs (57) meinte dazu am 31.10.14:
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