Für nur ganz wenige Menschen schreiben

Glosse zum Thema Literatur

von  toltec-head

Judith Hermann schreibt, so las ich die Tage in der Zeitung, in Wahrheit  "für nur ganz wenige Menschen". Gleichzeitig stapeln die Bahnhofsbuchhandlungen ihren neuen Roman und ihr Nachrichtenansagesprecherinnen-Face sophofistiziert ein jedes Feuilleton. Wie geht das zusammen und warum schreibt sie nicht, wenn sie in Wahrheit für nur ganz wenige Menschen schreibt, der Einfachheit halber in einem Internetliteraturforum? Es geht sehr gut zusammen und sie und der Internetliteraturforen-Schreiber trennt in Wahrheit ein Abgrund, der mit dem Wörtchen Markt nicht annähernd beschrieben ist. Es ist das Kennzeichen ernsthafter Literatur, im Leser die Illusion zu erwecken, etwas zu lesen, das in Wahrheit für nur ganz wenige Menschen geschrieben ist. Beim Lesen von Texten in Internetliteraturforen, die ja tatsächlich in aller Regel für nur ganz wenige Menschen geschrieben sind, haben wir es hingegen mit dem gegenteiligen Tatbestand zu tun. Man spürt bei ihnen nämlich oft sofort die Absicht des Verfassers heraus, für ganz viele zu schreiben - und ist sofort verstimmt. Nicht dass dabei unbedingt ein Massengeschmack bedient wird. Viele Texte sind ja tatsächlich idiosynkratisch, hilflos veraltet oder hilflos autistisch, ohne Anschlussfähigkeit an das, was gerade halt in kleineren oder größeren Kreisen so läuft. Wenn es ihnen trotzdem nicht gelingt, die zutiefst erotische Illusion im Leser zu erwecken, für nur ganz wenige geschrieben zu sein, so liegt das an etwas anderem. Die wenigsten sind nun einmal so ausgefuchst wie eine gute Hure, die es zwar im Prinzip mit jedem macht, aber gleichzeitig jedem das Gefühl zu geben versteht, zu den ganz wenigen zu gehören, mit denen man es in Wahrheit tun möchte. Es ist aber diese Ausgefuchstheit, die dazu gehört, wenn man einen Text schreiben möchte, der in seinem Leser die besagte Illusion erwecken soll. Selbstverständlich handelt es sich bei diesem Handel mit einer Illusion um eine schmutzige Angelegenheit. Der Protestantismus ist auf Seiten der Internetliteraturforen-Autoren. Aber merke: In jedem noch so waschechten Protestanten schlummert ein heimlicher römischer Papst.  Denn so ganz "rein" darf sich ja selbst ein Internetliteraturforen-Autor nicht nennen. "Rein" dürfte sich nur nennen, wer tatsächlich nur so etwas macht wie einen Liebesbrief, ein Gedicht für eine Geburtstagsfeier, eine Belustigung nur für Freunde. 

Gibt es aber ein Drittes, jenseits von Schmutz und Reinheit? Ja, das gibt es: Den unschuldigen jungen Mann oder die unschuldige junge Frau, den oder die wir in der Straßenbahn mit Augen ficken. Ist so etwas aber in Literatur transformierbar? Vielleicht. Wenn dann aber mit Sicherheit nur unter der Bedingung, dass es sich nicht in Bahnhofsbuchläden stapelt, sondern auf ewig für den Blick der Nachrichtenansagesprecherin unsichtbar bleibt. Nichts hindert uns anzunehmen, dass Internetliteraturforen ein geeignetes Medium für Experimente dieser dritten Art sind.

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Kommentare zu diesem Text


 Irma (25.08.14)
Ach wie gut, dass niemand weiß,
für wen ich schreibe ... LG Irma
parkfüralteprofs (57)
(25.08.14)
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Patroklos (36)
(25.08.14)
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